Streitfall Kunstfreiheit:Was Kunst darf - und was nicht

Christoph Schlingensief ruft "Tötet Helmut Kohl" und Bushido will Claudia Roth durchlöchern. Über Kunstfreiheit wurde auch schon vor Böhmermann gestritten.

Von Julian Dörr

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Titanic-Cover zu Vatileaks

Presserat r¸gt ´Titanicª-Cover zum Papst

Quelle: picture alliance / dpa

Der Streit:

Im Juli 2012 zeigte das Satiremagazin Titanic Papst Benedikt XVI. mit beschmutzter Soutane. Unter dem Titel "Halleluja im Vatikan - Die undichte Stelle ist gefunden": ein großer gelber Fleck im Schritt des Oberhaupts der katholischen Kirche. Zuvor hatte ein Whistleblower interne Dokumente aus dem Kirchenstaat veröffentlicht. Gegen die Darstellung des Papstes als inkontinentem alten Mann versuchte der Vatikan juristisch vorzugehen.

Das Ergebnis:

Das Hamburger Landgericht untersagte den Titel, dagegen legte die Titanic Widerspruch ein. Kurz vor Prozessbeginn zog der Vatikan jedoch den Antrag auf einstweilige Verfügung zurück - die Ausgabe durfte weiter vertrieben werden. Anders als im Fall Kurt Beck. 2006 titelte das Satiremagazin mit einem Bild des SPD-Politikers. Darunter - in Anspielung auf den Problembären Bruno: "Knallt die Bestie ab". Kurt Beck erwirkte daraufhin eine einstweilige Verfügung, die der Titanic untersagte, das Heft weiter zu vertreiben.

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Jonathan Meeses Hitlergruß

Jonathan Meese

Quelle: picture alliance / dpa

Der Streit:

Jonathan Meese ist ein Wiederholungstäter. 2012 zeigte der Künstler während eines Gesprächs im Rahmen der Documenta in Kassel gleich zweimal den Hitlergruß und forderte eine "Diktatur der Kunst". Auch beim Literaturfest München hob Meese zwei Jahre später die Hand zum verbotenen Gruß. In beiden Fällen wurde er wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen angezeigt.

Das Ergebnis:

Jonathan Meese wurde freigesprochen - insgesamt vier Mal. Seine Auftritte seien als Performance anzusehen und müssten deshalb als Werke der Kunst behandelt werden. Oder wie der Künstler selbst es ausdrückte: "Man muss strikt trennen zwischen der Bühnenperson Jonathan Meese und dem mickrigen Privatmenschen Jonathan Meese."

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Hildegard Knef in "Die Sünderin"

Plakatausstellung - Die erotischen 50er

Quelle: picture alliance / dpa

Der Streit:

Hildegard Knefs Karriere begann mit einem Skandal. 1951 spielte sie in "Die Sünderin" die Prostituierte Marina, die ihrem lebensmüden Geliebten beim Selbstmord assistiert. Prostitution, Sterbehilfe und Hildegard Knefs nackte Brüste: "Die Sünderin" führte zu einem Streit der Produzenten mit der FSK, die Kirche rief zum Boykott auf. Es kam zu lokalen Aufführungsverboten und sogar zu Straßenschlachten zwischen Befürwortern und Gegnern des Films.

Das Ergebnis:

Der Filmverleih klagte gegen ein lokales Aufführungsverbot von "Die Sünderin". 1954 entschied das Bundesverfassungsgericht in dritter und letzter Instanz gegen dieses Verbot. "Die Sünderin" gelte als Kunstwerk und sei damit durch die die Kunstfreiheit geschützt.

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Martin Kippenberger: "Zuerst die Füße"

Werkschau Kippenberger

Quelle: picture alliance / dpa

Der Streit:

In Südtirol löste ein gekreuzigter Frosch eine Kunstdebatte aus. 2008 sollte die Skulptur des deutschen Künstlers Martin Kippenberger wegen eines Papstbesuches aus dem Bozener Museum für Moderne Kunst entfernt werden, weil sie angeblich die Gefühle von gläubigen Katholiken verletze. Dabei stellt der Frosch nach Aussage des Künstlers ein ironisches Selbstporträt nach dessen Alkohol- und Drogenentzug dar. Der Papst schrieb einen Brief, der Präsident des Regionalrats von Südtirol trat sogar in Hungerstreik.

Das Ergebnis:

Der Protest blieb erfolglos, der gekreuzigte Frosch durfte weiter in Bozen hängen. Der Stiftungsrat des Museums entschied sich in einer Abstimmung für die Kunst - und gegen den Heiligen Vater.

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Christoph Schlingensief: "Tötet Helmut Kohl"

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Quelle: imago

Der Streit:

Wieder Kassel, wieder Documenta. 1997 rief der deutsche Aktionskünstler Christoph Schlingensief dort zum Mord auf: "Tötet Helmut Kohl", ein Teil seiner Theateraktion "Mein Filz, mein Fett, mein Hase - 48 Stunden Überleben für Deutschland". Die Polizei stürmte den vollbesetzen Kunstraum und führte Schlingensief und Schauspieler Bernhard Schütz ab. Kurze Zeit später formierte sich ein Demonstrationszug, der "Freiheit für Christoph und Freiheit für Bernhard" skandierte.

Das Ergebnis:

Als der Protestmarsch an der Polizeistation ankam, waren Schlingensief und Schütz schon wieder frei und bedankten sich für die Solidarität. Eine Anzeige wegen Verunglimpfung des Kanzlers blieb folgenlos und Schlingensiefs Aktion straffrei.

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Bushido & Shindy: "Stress ohne Grund"

Bushido

Quelle: dpa

Der Streit:

Natürlich hat sich Rapper Bushido im aktuellen Böhmermann-Fall auch schon zu Wort gemeldet. In einem Tweet beschwerte er sich wortgewandt ("Fickt Euch Ihr Feuilleton Lutscher!!!") darüber, dass bei der Kunstfreiheit mit zweierlei Maß gemessen werde. Während sie für Böhmermann gelte, sei er als Rapper davon nicht geschützt. Er bezog sich dabei auf den Song "Stress ohne Grund" vom Debütalbum seines Kollegen Shindy. Für Textzeilen wie "Ich schieß auf Claudia Roth und sie kriegt Löcher wie ein Golfplatz" und "Ich will, dass Serkan Tören jetzt ins Gras beißt" wurden Bushido und Shindy heftig kritisiert, der FDP-Politiker Tören erstattete Strafanzeige. Eine Woche nach Veröffentlichung wurde der Song samt Album von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert.

Das Ergebnis:

Am Ende behält Bushido mit seinem Tweet nicht recht. Zwar wurde gegen ihn zunächst Anklage wegen Volksverhetzung und Beleidigung erhoben, das Berliner Amtsgericht wies die Klage jedoch mit Hinweis auf die Kunstfreiheit ab. 2015, zwei Jahre nach ihrer ursprünglichen Veröffentlichung, wurden "Stress ohne Grund" und das Album "NWA" wieder vom Index genommen.

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Maxim Biller: "Esra"

Streitfall Kunstfreiheit

Quelle: imago stock&people

Der Streit:

Die Kunst imitiert das Leben: Der deutsche Schriftsteller und Journalist Maxim Biller schilderte in seinem 2003 erschienenen Roman "Esra" eine komplizierte und intime Liebesgeschichte zwischen dem Ich-Erzähler Adam und seiner titelgebenden Freundin. Billers ehemalige Geliebte, die deutsch-türkische Schauspielerin Ayşe Romey, erkannte sich in der Figur der Esra und sah ihre Persönlichkeitsrechte verletzt.

Das Ergebnis:

Der Verkauf von "Esra" wurde schon kurz nach Erscheinen unterbunden. Auch eine zensierte Fassung des Romans, in der die Stellen geschwärzt wurden, aus denen man Rückschlüsse auf Romey ziehen konnte, durfte nicht veröffentlicht werden. Billers Verlag legte 2005 Verfassungsbeschwerde gegen das Verbot von "Esra" ein. Das Bundesverfassungsgericht wägte die Verletzung des Persönlichkeitsrechts mit der Kunstfreiheit des Autors ab - und entschied gegen Biller.

© SZ.de/jobr/holz
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