Streit um Spike-Lee-Film:Die Wunde von Sant'Anna

Spike Lees neuer Film "Das Wunder von Sant'Anna" heizt in Italien einen Streit über Faschismus an, der nach dem Zweiten Weltkrieg nie aufgearbeitet wurde.

Henning Klüver

Als Spike Lees neuer Film "Das Wunder von Sant'Anna" am Freitag in den italienischen Kinos anlief, erreichte die Debatte um die italienische Vergangenheit einen Siedepunkt, der mit dem Film nur noch wenig zu tun hatte. Vielmehr zeigt die Auseinandersetzung mit dem Kino, wie sehr sich der italienische Blick auf die eigene Vergangenheit in den Berlusconi-Jahren verzogen hat.

Streit um Spike-Lee-Film: Die Buffalo Soldiers: Die 92. US-Army-Division im Zweiten Weltkrieg bestand ausschließlich aus farbigen Soldaten. Darauf wollte Spike Lee in seinem neuen Film ursprünglich aufmerksam machen.

Die Buffalo Soldiers: Die 92. US-Army-Division im Zweiten Weltkrieg bestand ausschließlich aus farbigen Soldaten. Darauf wollte Spike Lee in seinem neuen Film ursprünglich aufmerksam machen.

(Foto: Foto: Touchstone Pictures)

Schon vergangene Woche wurden Proteste laut, der amerikanische Regisseur stelle eines der brutalsten Ereignisse des Zweiten Weltkrieges nicht korrekt dar.

Der Film spielt im Sommer 1944, als im toskanischen Bergdorf Sant'Anna di Stazzema bei einer sogenannten Säuberungsaktion der 16. SS-Panzergrenadier-Division "Reichsführer SS" 560 Frauen, Kinder und Greise auf grauenhafte Weise umgebracht und teilweise verbrannt wurden.

Der Schmerz dieser Erinnerung ist heute größer denn je, denn einige der 2005 von einem italienischen Gericht zu lebenslangen Haftstrafen verurteilten SS-Männer leben heute noch auf freiem Fuß in Deutschland.

"Propaganda gegen die Partisanen"

Nun stellt der Film das Massaker als Vergeltungsaktion der Deutschen bei der Suche nach einer Widerstandsgruppe dar. Der Veteranenverband der Partisanen (ANPI) sprach von "historischer Fälschung". So sei der Angriff auf Sant'Anna im Film durch den Verrat eines Partisanen ermöglicht worden.

Missverständliche Aussagen von Spike Lee, dass die Widerstandskämpfer von den Italienern nicht geliebt worden seien, heizten die Debatte zusätzlich an. Sprecher des ANPI zeigten sich in einem Artikel im Corriere della Sera "entrüstet".

Spike Lee antwortete darauf, als Regisseur müsse er sich bei niemandem entschuldigen. Woraufhin der 88-jährige Publizist Giorgio Bocca, der aktiv am Widerstand teilgenommen hatte, am Dienstag dem Regisseur auf der Titelseite der Repubblica Propaganda gegen die Partisanen vorwarf. Außerdem dürfe man den historischen Ablauf einer Tragödie wie der von Sant'Anna nicht einfach verändern, nur weil das so besser in die Dramaturgie eines Filmes passe.

Spike Lee antwortete ihm ein Tag später: "Signor Bocca, nicht ich bin ihr Feind." Der Film, den Bocca offensichtlich noch gar nicht gesehen hatte, würde die Partisanen nicht diskreditieren. In der Tat ging bei er teilweise überzogenen Debatte unter, dass etwa Staatspräsident Giorgio Napolitano, der aus der Tradition der kommunistischen Partei Italiens kommt, nach einer Voraufführung den Film und die Darstellung des Widerstands lobte.

Tiefer Riss durch das Land

Doch die Erinnerung an Vorgänge im Zweiten Weltkrieg heizt in Italien historische Konflikte neu an, die nach dem Zweiten Weltkrieg nie aufgearbeitet wurden.

Nach dem Herbst 1943, als das Land von deutschen Truppen besetzt worden war, die mordend und brandschatzend nicht nur gegen Widerstandsgruppen, sondern vor allem gegen die Zivilbevölkerung vorgingen, zog sich ein tiefer Riss durch das Land.

Auf der einen Seite standen die sich neu organisierenden Einheiten des faschistischen Marionettenstaates der "Repubblica Sociale" von Salò (RSI), auf der anderen Seite die "Resistenza" mit ihren so unterschiedlichen politischen und moralischen Werten.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum sich die Italiener erst sehr spät mit ihren faschistischen Verstrickungen auseinandergesetzt haben.

Die Wunde von Sant'Anna

Nach dem Krieg allerdings nahm die siegreiche Resistenza teilweise blutig Rache an den faschistischen Gegnern. Die Werte der Widerstandsbewegung aber gingen in die Verfassung der neuen Republik ein, die Erinnerung des heldenhaften Kampfes gegen den "Nazi-Faschismus" wurde gleichsam zum Gründungsmythos eines neuen Italien.

Zugleich wollte sich eine Mehrheit der Italiener in den Werten des Widerstands wiedererkennen, als wäre der Faschismus im Land nie mehrheitsfähig gewesen. Das hat dazu geführt, dass sich dieses Land erst sehr spät mit den Verstrickungen der faschistischen Jahre zwischen 1922 und '45 auseinandergesetzt hat.

Doch in den letzten Jahren wurde eine neue Sichtweise salonfähig. Die Soldaten der faschistischen RSI, so wurde argumentiert, hätten zwar objektiv die falschen Werte vertreten, aber nach der Kapitulation am 8. September 1943 doch subjektiv die Ehre des Vaterlands retten wollen.

Besonders die post-faschistische Partei Alleanza Nazionale vertrat diese Sichtweise, nachdem sie durch eine Koalition mit Silvio Berlusconi in den neunziger Jahren "regierungsfähig" geworden war.

Der "ehrenhafte" Krieg

Gleichzeitig richtete sich der Blick vieler Konservativer auf die Schattenseiten des Widerstands. Das gehe so weit, beklagte sich vergangene Woche der legendäre Regisseur Mario Monicelli, dass man heute jedes Mal, wenn man der Helden des Widerstands gedenke, die Toten der RSI an ihre Seite stellen müsse. Monicelli, der aus einer antifaschistischen Familie stammt, fragte verbittert, ob man denn Revisionist werden müsse, um als objektiv zu gelten?

Wenn man heute die Debatten im Land verfolgt, hat man manchmal den Eindruck, der Bürgerkrieg von damals würde heute kulturell fortgesetzt. Alle, die damals auf der Seite der Freiheit und der Demokratie standen, müssen sich heute für ihre Haltung rechtfertigen oder zumindest die Erinnerung ihrer Unterdrücker als gleichberechtigt anerkennen.

"Das Wunder von Sant'Anna" behandelt dabei eher eine amerikanische als eine italienische Geschichte. Sie beruht auf dem gleichnamigen Roman von James McBride, der das Schicksal einer Gruppe von Angehörigen der 92. US-Army-Division erzählt, die ausschließlich aus afroamerikanischen Soldaten gebildet wurde, die man "Buffalo Soldiers" nannte.

Erfunden

Spike Lee will mit diesem Film die Verdienste der farbigen Soldaten in einem Krieg würdigen, den er "den letzten ehrenhaft Krieg der USA" nennt. Dabei dienen das Massaker von Sant'Anna und die anderen Gräueltaten nur als historische Folie. Es sei eine erfundene Geschichte, unterstreicht James McBride, der auch das Drehbuch zum Film geschrieben hat. Er habe sie sich nach einem Besuch in Sant'Anna ausgedacht, als niemand in Italien etwas von den Vorgängen im Sommer 1944 wissen wollte.

Die Akten über das Massaker blieben jahrzehntelang in einem römischen Kellerschrank "versteckt" und wurden erst Mitte der neunziger Jahre nach Presseveröffentlichungen wieder hervorgeholt.

Heute werden in Sant'Anna, Lucca und anderen Orten der Toskana in jedem Sommer Friedenskonzerte gehalten. Dass eine politisch harmlose Fiktion, wie der Film von Spike Lee, in Italien eine kulturhistorische Debatte von solcher Heftigkeit auslösen kann zeigt, dass dem inneritalienischen Frieden nicht zu trauen ist.

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