Streit um Kinofilm "Feuerherz":Die Meute braucht Stoff

Strafbefehl für eine schöne Frau: Ein Gericht entschied, dass die Biographie von Senait Mehari über Kindersoldaten Fehler enthält. Der Film, der darauf basiert, soll trotzdem auf der Berlinale laufen.

Hans Leyendecker

Afrikas verlorene Kinder sind ein Herz erweichendes Elend. Legionen von ihnen werden eher verharmlosend Kindersoldaten genannt. Der Begriff Killermaschinen wäre oft treffender.

Streit um Kinofilm "Feuerherz": Ursprünglich hieß es, dass der Film "Feuerherz" eine wahre Geschichte erzählt. Ein Berliner Gericht hat anders entschieden.

Ursprünglich hieß es, dass der Film "Feuerherz" eine wahre Geschichte erzählt. Ein Berliner Gericht hat anders entschieden.

(Foto: Foto: Reuters)

Auf der 58. Berlinale, die nächste Woche beginnt, soll als eine von zwei deutschen Produktionen der Spielfilm "Feuerherz" gezeigt werden. Er beschreibt das Elend. Der Bayerische Rundfunk (BR) sowie diverse Filmförderungsanstalten und -fonds haben das Werk großzügig unterstützt. "Feuerherz" - das wird zünden und lodern. Genauso hieß auch der Weltbestseller der Autorin und Sängerin Senait G. Mehari, die etwa 1974 in Eritrea geboren wurde und seit zwei Jahrzehnten in Deutschland lebt.

Andreas Bareiss, einer der Produzenten des Films, legt "Wert darauf", dass die Autoren sich von dem Buch nur hätten "inspirieren lassen". Vor einer Weile noch war der Film als "wahre Geschichte, basierend auf Senait Meharis internationalem Bestseller", angekündigt worden. Das sei "obsolet" sagt Bareiss: "Eine Fiktionalisierung, verstehen Sie, frei nach einer Lebensgeschichte".

Fälschliche Herabwürdigung

Hoffentlich sehr frei. Das Buch Feuerherz, in dem Frau Mehari beschrieb, wie sie in einem Camp angeblich Kindersoldatin wurde und welche Gräuel angeblich alltäglich waren, ist ein bisschen zu schauerlich und zu phantastisch geraten.

Das Amtsgericht Tiergarten hat vorigen Monat, wie das Medienmagazin Zapp des Norddeutschen Rundfunks (NDR) jetzt berichtete, einen Strafbefehl gegen die Autorin über 90 Tagessätze verhängt, der allerdings noch nicht rechtskräftig ist, weil die Beklagte Einspruch einlegte. Ihre Behauptung, eine frühere Mitschülerin, die heute in Karlsruhe lebt, sei "eine brutale Kommandantin" mit dem Spitznamen Agawegatha gewesen, stellte das Gericht nach ausführlicher Beweisaufnahme fest, habe die Angeklagte nicht belegen können. Sechs Zeugen hatten die Version bestritten. Frau Mehari sei "bewusst gewesen, dass diese Behauptungen geeignet waren, die Geschädigte verächtlich zu machen und in der öffentlichen Meinung als quasi menschenverachtende Mörderin und Schinderin herabzuwürdigen", fand das Gericht. Das habe die Angeklagte "zumindest billigend in Kauf genommen".

In diesen Tagen ging bei der Kammer für Presserecht des Landgerichts Hamburg eine weitere 60 Seiten dicke Klage auf Widerruf, Unterlassung und Geldentschädigung gegen Frau Mehari und den Verlag Droemer ein, der die Inspiration für den Film zwischen Buchdeckel gebracht hatte. Vergeblich hatte der Verlag in Vergleichsgesprächen versucht, durch Veränderungen von Namen und Geldzahlungen die Klage zu verhindern. Die Frankfurter Anwältin, Julia Grißmer, die die Klage verfasst hatte, in dem auch viele neue Zeugen gegen Frau Mehari angekündigt werden, sagt, sie werde sich jetzt den Berlinale-Film anschauen und dann möglicherweise auch gegen dieses Werk vorgehen.

Kind des Krieges

Das wäre auch für den BR nicht angenehm. Der Regisseur von "Feuerherz", Luigi Falorni, der das Buch las und die Idee zum Film hatte, wird vielerorts hochgeschätzt. Der 36-Jährige ist mit dem ebenfalls vom BR geförderten Film "Die Geschichte vom weinenden Kamel" im Jahr 2005 für den Oscar nominiert worden. Bei dem Streit geht es um Glaubwürdigkeit aller Beteiligten und auch um Positionskämpfe der Medien.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Authentizität im Kampf um Quoten leidet.

Die Meute braucht Stoff

Zapp hatte vor einem Jahr mit mehreren Beiträgen den Skandal um "Feuerherz" entzündet. Die Redaktion hält nach langen Recherchen Meharis Geschichte nicht für glaubwürdig. Die in diversen Talkshows als Kindersoldatin präsentierte Popsängerin hatte auf die Frage, ob sie wirklich Kindersoldatin gewesen sei, geantwortet: "Nein, so würde ich das nicht sagen. Ich würde sagen, ich bin ein Kind des Krieges". Die "Presse sucht sich doch das aus, was am wirksamsten ist. Selbst wenn sie mich ständig als Kindersoldatin betiteln, sag ich: Okay, wenn sie das brauchen. Hauptsache, ich komme an mein Ziel".

Streit um Kinofilm "Feuerherz": Senait G. Mehari wehrt sich gegen Vorwürfe: Letztes Jahr sagte sie noch der "Berliner Zeitung", sie sei Kindersoldatin gewesen.

Senait G. Mehari wehrt sich gegen Vorwürfe: Letztes Jahr sagte sie noch der "Berliner Zeitung", sie sei Kindersoldatin gewesen.

(Foto: Foto: ddp)

Mehari hatte in dem Streit Unterstützung etlicher Medien bekommen. Ihre Geschichte ist bewegend, und wer weiß genau, was in Eritrea so los ist? Im Kampf um Auflagen, Quoten und Zuschauer leidet schon mal die Authentizität.

Reine "Faktion"

Mancher Kritiker fühlt sich bei der anschwellenden Debatte an das Werk der Mitten in Afrika-Autorin Ulla Ackermann erinnert, die angeblich 16 Jahre lang als Kriegsberichterstatterin berichtet hatte und dann unter Druck einräumte, "weite Teile der Biografie erfunden" zu haben. Oder die hochgeschriebene angebliche Autobiografie des Juden Binjamin Wilkomirski alias Bruno Dössekker, der sich in eine Opferrolle versponnen hatte. "Es ist sehr schwer, eine solche Leidensbiografie in Frage zu stellen. Er wirkte absolut glaubwürdig", bekannte später eine renommierte Kritikerin.

In diesem Genre gibt es Hochstapler, Erinnerungskünstler, Traumatiker, und die Grenzen zwischen Facts und Fictions verschwimmen unauflöslich, weshalb auch die Amerikaner gern von "Faction" reden. "Wir finden die Geschichte wahnsinnig spannend" sagt die beim BR für "Feuerherz" zuständige Redakteurin Gladziejewski. Der Sender tritt als Co-Produzent auf. Es handele sich um die "fiktionale Verfilmung eines fiktionalen Werkes", sagt sie und fügt hinzu: "Es kann doch nicht bestritten werden, dass es in Afrika Kindersoldaten gegeben hat."

Genau das ist das Problem. Darf man mit gezinkten Geschichten aufklären? Verstellt die inszenierte Realität den Blick auf das echte Grauen? Und was ist mit denjenigen, die in dieser Mischwelt aus Fiktion und Fakten als angebliche Mordmaschinen auftauchen wie die angebliche ehemalige Kommandantin, die nach eigenem Bekunden nur eine harmlose Mitschülerin war? "Ich habe nicht geglaubt, dass das in die Kinos kommt. So weit gehen sie nicht, habe ich gedacht. Ich bin keine Mörderin". Sagte sie Zapp.

In ersten Ankündigungen des Films war von der Kommandantin Agawegatha die Rede, einer "hübschen und charismatischen jungen Frau". Jetzt legen alle Beteiligen Wert darauf, dass es sich in dem Film um eine Erwachsene handele, die nichts mit der Buchfigur zu tun habe.

Was aber ist, wenn der Filmbetrachter auch das Buch gelesen hat und die falschen Rückschlüsse zieht? Müssen Opfer gebracht werden? Die Meute braucht Stoff, und die afrikanische Tragödie soll doch die steinernen Herzen erschüttern.

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