Streit um dringend notwendige Restaurierung:Villa Kummerkasten

Weltkulturerbe - übergelaufen wie ein Glas Wasser. Im tschechischen Brünn überlässt man die Villa Tugendhat, Ludwig Mies van der Rohes Meisterwerk, den Launen des Wetters. Jetzt ist der Streit eskaliert zwischen den Erben und der Stadt, die dieses Kleinod nun besitzt.

Klaus Brill

Häuser haben ihre Schicksale, so wie Bücher. Diesem hier ist übel mitgespielt worden, man sieht es gleich: vermooste Fugen und verrostete Gittergestänge, Risse und Regenflecken im Putz, gesprungenes Holz. Aber ohne dass der Charme des Gealterten und Geachteten über dem Ganzen läge - Verwilderung und Verwahrlosung haben diesem einst so sehr auf die Gediegenheit seiner Oberflächen berechneten Gebäude in sieben Jahrzehnten zugesetzt. Am Gebäudebestand der Nachbargrundstücke signalisieren überwucherte Dachtraufen, knallfrische Farbfassaden und Firmenschilder auf Englisch, dass wir uns hier in einem Ex-Villenviertel befinden, das seine neue Bestimmung in der postkommunistischen Gegenwart noch nicht gefunden hat.

Streit um dringend notwendige Restaurierung: "Dies ist Schönheit. Dies ist Wahrheit", sagte der Besitzer über die Villa Tugendhat in Brünn

"Dies ist Schönheit. Dies ist Wahrheit", sagte der Besitzer über die Villa Tugendhat in Brünn

(Foto: Foto: SZ/Bauhaus-Archiv)

Haus Nr. 45 in der Cernopolni ulice ist die Villa Tugendhat, die jeder Architekturstudent als epochemachendes Meisterwerk des Funktionalismus durchzunehmen hat. Seit 2001 ist sie bei der Unesco als Teil des Weltkulturerbes registriert. Als Ludwig Mies van der Rohe das Einfamilienhaus 1930 fertiggestellt hatte, schwärmte bald danach der Bauherr, der Brünner Textilindustrielle Fritz Tugendhat: "Wenn ich diese Räume und alles, was sich darin befindet, auf mich als Ganzes wirken lasse, dann sehe ich deutlich: dies ist Schönheit, dies ist Wahrheit." Seine Ehefrau Grete stand nicht zurück: "Wir wohnen sehr gern hier, so dass wir uns nur schwer zu einer Reise entschließen können und uns befreit fühlen, wenn wir aus engen Zimmern wieder in unsere weiten, beruhigenden Räume kommen."

Man kann dergleichen noch immer nachempfinden, wenn man im Tross der Fremdenführerin das Wohngeschoss betritt. Weite ist ein viel zu schmaler Begriff für diese Dehnung und Erhellung des Raums mittels einer dünnen Wand aus marokkanischem Onyx und einer Außenfront aus Glas, die in suggestiver Stufung zwanglos in den Wintergarten, den kleinen Park, den Hang, die ganze Stadt hinüberleitet. Doch nimmt das überwältigte Auge in der Ferne nicht nur die Kathedrale auf dem Hügel wahr, sondern auch die Hochhäuser im Mittelgrund. Und wenn die Fremdenführerin, um eine der vielen technischen Finessen des Bauwerks vorzuführen, die große Glaswand zur Terrasse in die Versenkung schickt und das Gezwitscher der Vögel hereinlässt, kommt auch der Rost am Fensterrahmen in den Blick.

In der Bibliothek, wo im Regal noch die Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure in alten Jahrgängen gebunden steht, hat Sickerwasser an der Decke Schorf geworfen. Hier tut Restaurierung not, das ist evident. Viele Jahre musste das Haus vergeblich darauf warten, nun ist darum ein hochpolitischer Streit entbrannt. Der Brünner Oberbürgermeister Roman Onderka versucht gerade, ihn zu entschärfen, um seine mährische Metropole vor einer internationalen Blamage zu bewahren. Am Freitagabend empfing er zum Abendessen Daniela Hammer-Tugendhat, die Sprecherin der Familie, die mit ihrem Neffen Eduardo Tugendhat die drei überlebenden Kinder und die Enkel der Erbauer der Villa vertrat.

Fritz und Grete Tugendhat war es seinerzeit nicht vergönnt, sich lange des neuen Hauses zu erfreuen. Als Juden mussten sie 1938 vor den Nazis fliehen, sie emigrierten über die Schweiz nach Venezuela. Zu ihren fünf Kindern gehören neben der Jüngsten Daniela die Zürcher Psychoanalytikerin Ruth Guggenheim-Tugendhat und der Philosoph Ernst Tugendhat, der als Professor in Deutschland lebt und die ersten Lebensjahre in der Villa in Brünn verbrachte. Die Trennung der Familie von der Villa ist bis heute nicht aufgehoben. Das Bauwerk wurde erst von den Nazis, dann von der Sowjet-Armee, danach vom kommunistischen Regime der Tschechoslowakei in einer Weise genutzt, dass manches wertvolle Objekt, zum Beispiel die halbkreisförmige Umfassung des Esstischs aus Ebenholz, dabei zuschanden ging. Das kostbare Gehäuse, das den Ruhm von Mies mit begründete, war Wohnraum für Banausen, Anstalt für Körperkultur und Rehabilitationszentrum für Kinder, ehe Brünner Experten es in den sechziger Jahren gegen vielfältige Erschwernisse unter Denkmalschutz stellen lassen konnten.

1985 wurde es notdürftig restauriert, und in all den Jahren war Daniela Hammer-Tugendhat, die als Professorin für Kunstgeschichte in Wien lebt, schon um eine professionelle Betreuung bemüht. Ihr Ehemann Ivo Hammer, Professor in Hildesheim, ist ein international renommierter Restaurator und hat mit anderen Experten und auch mit seinen Studenten seit der Wende von 1989 die Villa vielfach untersucht und Konzepte für eine dauerhafte Sanierung entwickelt. Dass nichts von alledem bisher umgesetzt wurde, dass nur immer wieder neue Hindernisse sich türmten und immer neu gestritten wurde, hat dann vor kurzem das Ganze "einfach wie ein Glas Wasser" überlaufen lassen, wie Daniela Hammer-Tugendhat sagt. Sie drohte mit Klage.

Ursprünglich hatte die Familie eine Rückerstattung des Hauses, die ihr gesetzlich zustünde, nicht verfolgt. Sie beließ es der Stadt Brünn, die es 1994 als Museum dem Publikum öffnete. Die Brünner Kommunalpolitiker schrieben einen Architektenwettbewerb aus, dessen Ergebnis jedoch von einem Ausgeschiedenen vor Gericht erfolgreich angefochten wurde. Schließlich entschied der Stadtrat im Januar, das Haus der Familie zurückzugeben. Es gab Probleme mit einer absurd hohen Schenkungssteuer, und am 20. März nahm das Brünner Parlament den eigenen Beschluss zurück - wohl auch enttäuscht darüber, dass mittlerweile die Tugendhats eine Statue von Wilhelm Lehmbruck aus der Villa bei Sotheby's in London hatten versteigern lassen. Die Zeitung Mlada fronta Dnes zu kam zu dem Schluss, der Fall sei "zum Symbol der städtischen Unfähigkeit, des Klientelismus und der Streitsucht" geworden - was weniger die jetzigen Regenten in Brünn trifft als deren Vorgänger.

Nach dem Treffen des OB Onderka mit Daniela Hammer-Tugendhat hieß es, man wolle sich nicht vor Gerichten fetzen, sondern zusammenarbeiten. Onderka bot der Familie an, sie möge sich an der Restaurierung beteiligen - wobei Daniela Hammer-Tugendhat und ihr Mann den größten Wert darauf legen, dass nicht nur Architekten und Statiker, sondern auch Restauratoren beigezogen werden. OB Onderka versichert seinerseits, die Stadt habe im Haushalt schon 1,5 Millionen Euro für das Projekt eingestellt, weitere Gelder folgten, in nächster Zukunft solle die Arbeit beginnen. Jenseits ihrer kunsthistorischen Weltgeltung hat die Villa Tugendhat im übrigen auch einen Platz in der politischen Geschichte des Landes. Am großen Esstisch unterzeichneten 1992 die Politiker Vaclav Klaus und Vladimir Meciar den Vertrag über die Auflösung der Tschechoslowakei.

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