Süddeutsche Zeitung

Streit um Degussa:Der Mahnmal-Sponsor

Die Berliner Senatsverwaltung hatte sich für Degussa eingesetzt - nachdem diese angeboten hatte, "die benötigten Oberflächenschutzprodukte durch eine Sponsoringaktion anzubieten". Zum konkurrenzlosen Vorzugspreis. Von Hans Leyendecker

Das Firmenmotto des Chemieunternehmens Degussa lautet: "Bei uns hat Zukunft Tradition". Manchem Zeitgenossen klingt das wie eine Drohung, aber der Berliner Senatsverwaltung muss der Spruch wie eine Verheißung vorgekommen sein. Die Behörde drängte darauf, beim Bau des Holocaust-Mahnmals ein Degussa-Produkt zum Schutz der 2700 Stelen zu verwenden. Dies geht aus Unterlagen des Chemieunternehmens hervor. Die Baufirma Hermann Geithner Söhne GmbH & Co aus Wilhelmshaven wollte ursprünglich das Produkt "PSS 20" eines Schweizer Herstellers verwenden. Dieses Produkt sollte die Stelen gegen Graffiti-Angriffe sichern. Dann brachte sich im Dezember 2002 und März 2003 die Firma Degussa ins Spiel.

Ein Marketing-Manager des Unternehmens teilte der Senatsverwaltung mit, Degussa habe sich "auf Grund der historischen Bedeutung des geplanten Denkmals entschlossen, die benötigten Oberflächenschutzprodukte durch eine Sponsoringaktion anzubieten". Da die Produktion dieser Spezialprodukte eine "gewisse Vorlaufzeit" benötige, werde um baldige Entscheidung gebeten. Kurz darauf teilte die Senatsverwaltung unter "Sponsoring des Graffitischutzes" den Beteiligten mit, die "Stiftung und unsere Verwaltung" würden es sehr begrüßen, wenn es zu einer Zusammenarbeit käme. Daraufhin erhielt nicht die Schweizer Firma den Zuschlag, sondern Degussa, das der Senatsverwaltung für sein Fabrikat "Protectosil Antigraffiti" einen Vorzugspreis einräumte, der einschließlich Verarbeitung bei 540 000 Euro liegt.

Die Angelegenheit war heikel, weil eine Degussa-Tochterfirma in der NS-Zeit das Giftgas Zyklon B für die Ermordung der Juden in den Konzentrationslagern hergestellt hatte. Darüber hinaus war Degussa in den achtziger Jahren durch Zulieferungen an den Irak aufgefallen, mit denen der Diktator Saddam Hussein die Reichweiten seiner Scud-B-Raketen verlängert hatte, um Israel ins Visier zu bekommen. Andererseits war Degussa Vorreiter des Entschädigungsfonds für die NS-Zwangsarbeiter gewesen.

Jetzt ist das Desaster komplett: Das Mahnmal-Kuratorium hat entschieden, das Degussa-Produkt nicht zu verwenden. Es gibt einen Baustopp, da keine Einigung über die Verwendung eines anderen Produktes gefallen ist. Der Architekt des Mahnmals, Peter Eisenmann, hat gegen den Ausschluss Degussas protestiert. Das Vorhaben drohe zur Geisel der "political correctness" zu werden, schreibt Eisenmann in einem Beitrag für Die Zeit: "Wäre das Projekt schon in dem Geist begonnen worden, in dem es nun fortgeführt zu werden droht, hätte ich nie mitgewirkt." Der Schriftsteller Rafael Seligmann plädierte in einem Beitrag für die neue Ausgabe des Stern dafür, den Bau des Holocaust-Mahnmals in Berlin endgültig zu stoppen.

Der Firma Geithner Bau aus Wilhelmshaven, die sechzig Mitarbeiter für die Herstellung der Stelen abgestellt hat, drohen bei einem längeren Baustopp schwere wirtschaftliche Schäden. Zwei Hallen sind mit Tausenden von Stelen gefüllt. Die Arbeiten können nicht fortgesetzt werden. Was fehlt, ist die Schutzimprägnierung der Oberfläche.

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