Streit um ägyptologische Sammlung Steindorff:Unverzeihliche Groteske

Einem Juden rückblickend zu bescheinigen, dass er während der NS-Zeit auf einer Insel der Verschonung gelebt habe, fällt begreiflicherweise schwer. Trotzdem hat sich das Gericht viel zu sorglos des Problems entledigt, dass die Uni Leipzig nun womöglich der Jewish Claims Conference ihre eigene Sammlung abkaufen muss.

Andreas Zielcke

Diesen Mittwoch, am 22. Juni, beginnt eine Verhandlungsrunde, die besser erst gar nicht stattfände. Die Universität Leipzig wird mit der Jewish Claims Conference (JCC) um ihre berühmte altägyptische Sammlung ringen. Was in anderen Fällen eine normale Restitutionssache wäre, ist hier eine widersinnige Situation, die ausgerechnet die Justiz heraufbeschworen hat.

Streit um Steindorff-Sammlung - Uni hofft auf Einigung

Eine Öllampe in der Ausstellung aus der Sammlung des jüdischen Wissenschaftlers Georg Steindorff im Ägyptischen Museum der Universität Leipzig. Nach der verlorenen Klage gegen die Rückgabe der altägyptischen Steindorff-Sammlung hofft die Universität Leipzig doch noch auf ein glückliches Ende. Sie setzt auf Verhandlungen mit der Jewish Claims Conference.

(Foto: dpa)

Am 26. Mai hatte das Verwaltungsgericht Berlin die Klage der Universität abgewiesen, mit der sie verhindern wollte, den Museumsschatz, den sie einst von dem großen Ägyptologen Georg Steindorff erworben hatte, an die JCC herausgeben zu müssen. Das zuständige "Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen" hatte die Universität zu dieser Herausgabe verpflichtet.

Dem Urteil des Gerichts kann die unterlegene Universität nur mehr die Hoffnung auf Gnade der JCC entgegensetzen. In der Tat hat diese in den letzten Tagen Entgegenkommen signalisiert. Das ändert aber nichts daran, dass sie im Besitz des Rechtstitels auf Herausgabe ist und jederzeit die Daumenschrauben ansetzen kann. Kommt es zu keiner Einigung, bleibt der Universität nur die Möglichkeit, ihre eigene Sammlung der JCC abzukaufen; es geht um 163 Exponate.

Die Vorgeschichte: Steindorff lehrte in Leipzig mehr als vier Jahrzehnte, von 1893 bis 1934. In dieser Zeit baute er für seinen Fachbereich die "bedeutendste ägyptologische Lehrsammlung in Deutschland" auf (Jan Assmann). Den größten Teil erwarb er durch Ausgrabungen und Aufkäufe mit eigenen Mitteln, aber von Anfang an stellte er sie der Universität als Leihgabe zur Verfügung. 1936 bot er ihr die Exponate, deren Wert er selbst mit 10.260 Reichsmark bezifferte, für 8000 Reichsmark zum Kauf an. 1937 einigte man sich, die letzte Rate des Kaufpreises erhielt er 1939, kurz bevor er auswanderte.

Steindorff war gebürtiger Jude. Alles deutet darum darauf hin, dass er seine Sammlung unter dem Druck der NS-Repression verkauft hat. So sieht es auch das hier einschlägige Vermögensgesetz, das zugunsten der damals rassisch Verfolgten die Beweislast umkehrt.

Haben sie in der Zeit zwischen 15. September 1935 und 8. Mai 1945 Wertobjekte veräußert, dann gilt die Vermutung, dass der Verkauf eine "verfolgungsbedingte" Vermögensverfügung war. Folglich muss jeder heutige Besitzer die Wertsachen zurückgeben - es sei denn, er kann die Vermutung widerlegen, indem er den Gegenbeweis antritt und zeigt, dass die Verfügung "verfolgungsneutral" war.

Dass diese pauschale Beweiserleichterung angesichts der flächendeckenden nationalsozialistischen Verfolgung, vor allem der Juden, absolut legitim ist, bedarf keiner Worte. Doch der Fall Steindorff stellt nach allem, was man weiß, die Ausnahme von der Regel dar. Darüberhinaus tritt hier ein prinzipieller Konflikt zwischen dem Erben und der JCC zu Tage, den das Gericht unüberlegt vom Tisch gewischt hat.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, was der Enkel möchte.

Extremer Ausnahmefall

Gelungen ist der Gegenbeweis, sagt das Gesetz, nur dann, wenn der heutige Besitzer belegt, dass der damalige Verkäufer einen angemessenen Kaufpreis erzielt hat, frei über ihn verfügen konnte und das Rechtsgeschäft auch ohne die NS-Herrschaft abgeschlossen hätte.

Die Hürde ist nicht nur, zu Recht, außerordentlich hoch, sie ist vertrackt. Denn streng genommen ist der Nachweis eines hypothetischen Verlaufs (der unterstellte Verkauf ohne die NS-Herrschaft) beweislogisch unmöglich und kann nur als lebensnahes Gedankenexperiment erbracht werden: Hätte Steindorff nach aller heute rekonstruierbaren Wahrscheinlichkeit die Sammlung auch unter freien Umständen an die Universität verkauft? Zu diesem Preis? Es liegt auf der Hand, dass die Antwort auf eine Fiktion hinausläuft, die von stets bezweifelbaren Projektionen in die Geschichte abhängt.

Nimmt man die Indizien zusammen, die in dem Prozess vorgetragen wurden, dann hat die Universität diesen hypothetischen Unterstellungsbeweis so überzeugend geführt wie nur möglich. Steindorff wurde zwar, wie allen seinen jüdischen Kollegen, 1934 die Lehrerlaubnis entzogen, aber da war der bereits 73-Jährige längst emeritiert. Vor allem jedoch genoss er weiterhin die Achtung und Arbeitsmöglichkeiten als Herausgeber und Mitforscher an der Universität wie zuvor. Nach eigenem Bekunden fühlte er sich bis zum Novemberpogrom 1938 nie selbst bedroht, sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl behandelte ihn, wie Steindorff ebenfalls selbst erklärte, stets "ritterlich und respektvoll", man ehrte ihn auch außerhalb der Universität seinem Rang entsprechend, selbst NS-Funktionäre ließen sich Ovationen nicht nehmen. Offensichtlich wurde er von höheren Parteikreisen geschützt. Ein extremer Ausnahmefall.

Noch bei seiner Ausreise 1939 durfte er ungehindert sämtliche Wertsachen ausführen, darunter viele weitere altägyptische Exponate, wertvolle Möbel, einen Konzertflügel, et cetera - ein "Privileg", das sonst bekanntlich so gut wie keinem Verfolgten zugestanden wurde. Trotz Ausreise zahlte man ihm sogar seine Pension bis 1941 weiter.

Auch die Reduktion des Kaufpreises von 10.260 auf 8000 Reichsmark widerlegt diese NS-untypische Ausnahmestellung nicht. In der Fachwelt galten damals 20-prozentige Abschläge (im Vergleich zur Summe der Einzelwerte) beim Ankauf ganzer Sammlungen auf dem Antiquitätenmarkt als normal. Entscheidend aber ist die unbestrittene Tatsache, dass Steindorff die Sammlung, die er für die Lehre an "seiner" Universität aufgebaut hat, unbedingt auch "seiner" Universität erhalten wollte.

Noch heute wird sein Enkel nicht müde, diesen Herzenswunsch des Großvaters immer und immer wieder zu betonen. Steindorff selbst hat auch noch nach dem Krieg (er starb 1951) der Universität brieflich versichert, wie sehr es ihn freue, seine Lehrsammlung dort zu wissen. Er forderte Pensionsrückstände ein, doch nie eine Nachzahlung zum Kaufpreis der Sammlung.

Das alles genügte dem Gericht nicht. In seinen Urteilsgründen betont es zwar ausdrücklich, dass die Universität "ein stimmiges und auch plausibel erscheinendes Szenario dargestellt hat". Doch ein mögliches Geschehen sei kein zwingend bewiesenes im Sinne des Gesetzes.

Das ist rechtstechnisch korrekt, überspannt aber hier die Dogmatik des Gegenbeweises gehörig. So rigoros wie das Gericht argumentiert, erhebt es die Vermutung der Verfolgungsbedingtheit zum unwiderleglichen historischen Faktum. Genau das aber will das Vermögensgesetz nicht.

Natürlich muss man bei der Beweiswürdigung den Richtern ihren fachkundigen Beurteilungsspielraum zubilligen. Einem Juden rückblickend für die NS-Zeit zu bescheinigen, dass er - zumindest in Vermögensdingen - auf einer Insel der Verschonung inmitten eines Ozeans an Verfolgung und Entrechtung gelebt habe, fällt begreiflicherweise schwer. Viel zu sorglos aber hat sich das Gericht des zweiten Problems entledigt.

Steindorffs Enkel ist dessen heutiger Erbe. Wenn also die Sammlung herauszugeben ist, falls sein Großvater sie unter Verfolgungsdruck hergeben musste, dann doch, sollte man meinen, an den Erben als Rechtsnachfolger. Doch das Gericht sieht die JCC als rechtmäßigen Inhaber der Herausgabeforderung an, obwohl der Erbe energisch protestiert und die Sammlung der Universität belassen will, wie vom Großvater stets gewünscht.

Tatsächlich hatte es der Erbe versäumt, innerhalb der Verjährungsfrist den Restitutionsantrag zu stellen; Ende 1992 lief die Frist aus. Vorwerfen kann ihm das allerdings niemand, denn die Frist lief unabhängig davon, ob Berechtigte je von dem Gesetz, der Frist und ihrer Antragsbefugnis Kenntnis erlangten oder nicht.

Steindorffs Erbe lebt in Nevada, das deutsche Bundesgesetzblatt gehört bei den wenigsten Amerikanern zur täglichen Lektüre. Viele jüdische Berechtigte im Exil wurden so um ihre Rückforderung gebracht, der deutsche Gesetzgeber hat es sich zu leicht gemacht.

Der eigentliche Einwand aber ist ein anderer. Im Unterschied zum Erben hatte die JCC die Rückgabe der Sammlung Steindorffs rechtzeitig beantragt. Das Gesetz gibt ihr dieses Recht, "soweit Ansprüche von jüdischen Berechtigten ... nicht geltend gemacht werden".

Was aber, wenn der jüdische Berechtigte wie in diesem Fall den Anspruch dezidiert nicht erheben will, weil er dem jetzigen Besitzer die Sache überlassen möchte, noch dazu in bester Absicht? Der Sinn des Gesetzes kann nicht sein, dass sich die JCC über diesen erklärten Willen hinwegsetzen darf.

Krasser Fehlschluss

Doch das Gericht stützt sich auf einen Satz, den es einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts entnimmt; dieses wiederum hat ihn ohne jede eigene Problematisierung direkt aus einer Erklärung der Bundesregierung übernommen, mit dem diese im September 1990 die supplementäre Rolle der JCC begründet hatte. Dass die damalige Erklärung der Bundesregierung auf einem krassen Fehlschluss basiert, ist beiden Gerichten entgangen.

Als einzigen Grund dafür, dass die JCC an die Stelle passiv bleibender Erben treten soll, nannte die Regierung, dass andernfalls "unbeanspruchtes Vermögen ... den Fiskus des Staates begünstigen würde, in dessen jüngster Geschichte sich das wiedergutzumachende Unrecht ereignet hat". Diese Begründung ist bizarr, denn in den allermeisten Fällen wäre, würden sich die Erben nicht rühren, nicht der deutsche Fiskus, sondern der heutige Besitzer der Sache (bei Kunstobjekten meist also Galerien, Stiftungen oder Unternehmen) begünstigt.

Vor allem aber besagt diese Begründung dann nicht das geringste, wenn der Erbe dezidiert den aktuellen Besitzer "begünstigen" und ihm die Sache - wie im vorliegenden Fall mit höchst ehrenwertem Motiv und eben im Sinne des ursprünglichen Verkäufers - erhalten will.

Dass Steindorff und sein Erbe im nachhinein von genau dem Staat, "in dessen jüngster Geschichte sich das wiedergutzumachende Unrecht ereignet hat", entmündigt und um ihren Willen gebracht werden, ist eine unverzeihliche Groteske. Die Sammlung gebührt der Leipziger Universität, wie es Großvater und Enkel bestimmt haben.

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