Streit über Zölibat:Papst und Gegenpapst

Pope Emeritus Benedict XVI, Pope Francis

Wer ist unfehlbar? Papst Franziskus oder der emeritierte Papst Benedikt XVI.? Oder gar beide?

(Foto: AP)
  • Der zurückgetretene Papst Benedikt hat mit einem Text in einer Neuveröffentlichung seinem Amtsnachfolger in der Zölibatsfrage widersprochen.
  • Kommentatoren befürchten deshalb Zwist in Glaubensfragen und ein neues "Gegenpapsttum".
  • Das bei seiner Erlassung heftig umstrittene Kirchengesetz von der Unfehlbarkeit beweist in diesem Fall allerdings seine institutionelle Weisheit.

Von Gustav Seibt

Alles an dem Zwiespalt zwischen dem amtierenden Papst Franziskus und seinem zurückgetretenen Vorgänger Benedikt XVI. ist ungewöhnlich. Erstens die Tatsache zweier Päpste in einem auf Lebenszeit angelegten wahlmonarchischen System; zweitens die konkrete Ausgestaltung dieses Nebeneinanders; und drittens der Umstand, dass der gewesene Papst sich zu einer konkreten Frage mit einer Äußerung gegen seinen amtierenden Nachfolger vernehmen lässt.

Denn Benedikts Intervention fürs Festhalten an einem kompromisslosen Zölibat erscheint unmittelbar vor einer angekündigten Stellungnahme von Franziskus zu diesem Problem. Zwar hat Benedikt die Co-Autorschaft bei einem Vorwort zu dem am Mittwoch erscheinenden Buch des afrikanischen Kurienkardinals Sarah zu dieser Frage geleugnet. Doch dass der in das Buch aufgenommene Text von ihm selbst stammt, bleibt unbestritten. Außerdem hat Kardinal Sarah dem Dementi Benedikts (oder seiner Entourage) auf dem schnellsten möglichen Weg widersprochen, nämlich auf Twitter. Dort publizierte er einen Briefwechsel vom letzten Oktober, der Benedikts Zustimmung zu Sarahs Redaktion der Einleitung dokumentiert.

Worum geht es? In Reflexionen zum Priesteramt wendet sich Benedikt gegen die Möglichkeit, dass verheiratete Männer als Viri probati zum Priesteramt zugelassen werden - eine Option, mit der Papst Franziskus sympathisiert. Sie würde einem Problem, dem Priestermangel, ein wenig abhelfen, sie wäre zudem ein erster Schritt zur Aufweichung der auf Keuschheit und Sexualitätsverzicht verpflichteten Lebensform der Priester. Diese ist durch die weltweite Serie von Missbrauchsfällen durch katholische Geistliche unter begründeten Verdacht geraten.

Den Titel eines "Papa emeritus" kennt die bisherige Kirchengeschichte nicht

Die Frage selbst ist schon dramatisch genug. Doch nun drängt sich ein anderes Problem in den Vordergrund, nämlich das der Kirchenverfassung. Katholische Kommentatoren sprechen schon von einem "Gegenpapsttum" und erinnern damit an besonders finstere, spätmittelalterliche Zeiten, als ein großes Schisma die Christenheit spaltete mit (mindestens) zwei Päpsten an zwei unterschiedlichen Orten (meist Avignon und Rom) - eine Zeit der Unordnung, die der moralischen Autorität der Kirche irreparablen Schaden zufügte.

Streit in Heilsfragen? Das betraf alle Gläubigen, und so könnte es auch heute sein. Denn es geht um die Legitimität der Kirchenspitze in einer das Glaubensleben tief berührenden Frage. Der Zwist und die bizarren Formen, in denen er ausgetragen wird, zeigen den schlimmsten möglichen Fall. Nun wird deutlich, wie fatal die Ausgestaltung der Rolle ist, die sich Benedikt für die Zeit nach dem Papstamt genehmigt hat. Denn den Titel eines Papa emeritus kennt die bisherige Kirchengeschichte nicht, ebenso wenig die Fortdauer päpstlicher Insignien und Ehrenzeichen, wie des Titels "Heiligkeit" und des weißen Gewandes. Die abgesetzten oder zurückgetretenen Päpste des Hoch- und Spätmittelalters verschwanden hinter Klostermauern oder traten in den regulären Kirchendienst zurück. Ausgerechnet der dogmatische Traditionalist Ratzinger vollzog als Papst einen radikalen Traditionsbruch.

Darauf wies im Herbst 2017 der Kardinal und Kirchenhistoriker Walter Brandmüller hin, den man als konservativen Hardliner beschreiben kann. Der Bruch mit einer zweitausendjährigen Tradition habe nicht nur die Kardinäle umgehauen, ließ er die FAZ wissen. Dass Benedikt daraufhin überhaupt antwortete und ausgerechnet in der Bild-Zeitung mit einer Gegenfrage ("Wenn Sie einen besseren Weg wissen und daher glauben, den von mir gewählten verurteilen zu können, so sagen Sie es mir bitte"), konnte den Traditionsbruch nicht heilen.

Unglaubliche Vorgänge das alles, zumal da sie sich anders als im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert vor den Augen einer neugierigen Tagesöffentlichkeit abspielen. Dem liberalen Papst kommt in dieser Notlage ausgerechnet eine berüchtigt illiberale Festlegung der Kirche zu Hilfe, nämlich das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit in Fragen des Glaubens. Es wird in diesem Jahr 150 Jahre alt, und ausgerechnet jetzt könnte es gute Dienste leisten. Dabei war kaum eine kirchliche Lehre so umstritten wie diese.

Die Unfehlbarkeit ermöglicht gerade nicht persönliche Willkür

Als die Konstitution, die sie kodifizierte, am 18. Juli 1870 im Petersdom verkündet wurde, ging ein Gewitter über Rom nieder. Der Donner rollte, Blitze zuckten. Schwarze Wolken hatten den Himmel so verdüstert, dass ein Kandelaber gebracht werden musste, um Pius IX., dem Papst, der sie auf dem Ersten Vatikanischen Konzil durchgesetzt hatte, die Verlesung zu ermöglichen.

Die Stimmung auf der abschließenden Sitzung des Ersten Vatikanischen Konzils war fürchterlich, denn das die Kirchenverfassung krönende Dogma war im Dissens zustande gekommen: Eine widersprechende Minorität von Kirchenlehrern hatte das Konzil vorzeitig verlassen, und die katholischen Großmächte Frankreich und Österreich-Ungarn zeigten ihre Missbilligung, indem sie ihre Gesandten von der feierlichen Schlusssitzung fernhielten. Auch Bayern verweigerte die Teilnahme. In denselben Stunden begann der große Krieg zwischen Frankreich und Preußen, der zur Reichseinigung führen sollte. Acht Wochen später war der Kirchenstaat Geschichte, denn das besiegte Frankreich war nun nicht mehr fähig, das Territorium des Papstes zu garantieren.

Die katholische Kirche hat sich seither mit der höchsten Lehrautorität schwergetan. Sie schien vielen die spontane Lebendigkeit der Gläubigen zu beschneiden und damit den Zusammenhang von kirchlicher Doktrin mit dem geschichtlichen Wandel. Mit der Unfehlbarkeit wurde nämlich nicht der persönlichen Willkür unumschränkter Kirchenfürsten Raum gegeben. Im Gegenteil band sie die Päpste an die Verlautbarungen ihrer Vorgänger, denen der gleiche Status der Unfehlbarkeit zukam wie dem jeweils amtierenden Kirchenmonarchen. Allerdings war der Geltungsbereich der Unfehlbarkeit strikt auf den Sprechakt der Ausübung des Lehramts durch den Papst beschränkt. So ist das Dogma mit einer zweifachen Fessel verbunden: Bindung an die Überlieferung, Äußerung ex cathedra.

Wenn sich Kirchenfürsten mit Pressemitteilungen und Tweets in die Haare kommen, hilft nur noch Tradition

Selbst aufwendig begründete theologische Stellungnahmen fallen nicht darunter, schon gar nicht die eines zurückgetretenen Papstes. Der Titel des Papa emeritus bleibt insofern tönendes Erz und klingelnde Schelle, um es biblisch zu sagen. Ratzinger-Benedikt liefert einen Debattenbeitrag, nicht mehr und nicht weniger, vor allem nicht mehr.

Das so fatal zur Welt gekommene Kirchengesetz von der Unfehlbarkeit beweist nun seine institutionelle Weisheit. Es ist einerseits gerade kein Instrument päpstlicher Willkür, andererseits fixiert es den Ort für ein letztes Wort in Streitfragen. 1870 diente es auch dazu, den Kirchenstaat als Basis der Unabhängigkeit zu ersetzen, weil nun kein Papst unter der Drohung von Kanonen oder Bomben traditionswidrige Beschlüsse durchsetzen konnte. Auch wechselnden Mehrheiten kann er sich nicht unterwerfen.

Zugleich gibt es nun eine durch Überlieferung und Amtsautorität gesicherte letzte Instanz, die inneren Spaltungen vorbeugt. Das gilt auch dann, wenn der Papst noch nicht zum letzten Mittel der dogmatischen Verkündigung greift. Schließlich kann er auf unterer Ebene nichts verlautbaren, was er im Ernstfall der Dogmatik nicht aufrechterhalten könnte. Wer hätte gedacht, dass diese ausgeklügelte Festlegung so wertvoll sein könnte? Aber wenn Kirchenfürsten sich mit Pressemitteilungen und Twittermeldungen in die Haare kommen, hilft nur noch eiserne Tradition.

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