Im Buch Daniel im fünften Kapitel wird vom Gastmahl des Belsazar erzählt. Der babylonische Regent feiert ein rauschendes Fest und sieht plötzlich, wie von einer Geisterhand geschrieben, eine Schrift an der Wand erscheint. Belsazars Schriftgelehrte können diese nicht entziffern, aber der Prophet Daniel schafft es, sie als Untergangsprophezeiung zu deuten. Noch in der gleichen Nacht wird Belsazar von seinen Knechten erschlagen. Auf seinem Gemälde "Das Gastmahl des Belsazar" hat Rembrandt den Schockmoment der auftauchenden Schrift dargestellt. Und neben dem Text ist tatsächlich eine Art Geisterhand zu erkennen.
Mit etwas Fantasie könnte man in dieser Hand einen der frühesten Graffiti-Writer sehen. Und vielleicht haben ähnlich schockiert wie Belsazar Menschen in München reagiert, als 1983 immer mehr Graffiti an den Wänden auftauchten. Denn auch diese waren plötzlich da. Woher sie kamen? Da müssen sich wohl Rotzbuben einen Streich erlaubt haben. Heute weiß man es besser, kennt einige der Urheber der seltsamen Figuren und abstrakten Zeichen, die als wichtige Zeugnisse für den Beginn der Graffiti-Bewegung in Deutschland und Europa leider verschwunden sind. Aber zum Glück sind Fotografien davon erhalten.
Einige davon sind nun in dem Buch "Zar Zip Fly Zoro. Die erste Schicht Graffiti in München" versammelt, das bei Klick Klack Publishing erscheint und am Samstag um 19 Uhr im Kunstverein vorgestellt wird. Die Bilder stammen von Konrad Kittl und Peter Kreuzer, zwei wichtigen Zeugen der Münchner Graffiti-Geschichte. Der vor drei Jahren verstorbene Kittl hat nicht nur seit Anfang der 80er Graffiti fotografiert, sondern als Rechtsanwalt junge Sprayer vor Gericht verteidigt. Der emeritierte Volkskunde-Professor Kreuzer hat 1986 für das Stadtarchiv-Projekt "Alltag in München" Graffiti dokumentiert, das erste Münchner "Graffiti-Lexikon" publiziert und auch die ersten hochschulischen Vorträge über das damals neue Phänomen gehalten.
Kittl und Kreuzer sind also keine Unbekannten. Und natürlich ist "Zar Zip Fly Zoro" nicht das erste Buch zur Münchner Graffiti-Geschichte. Neben Kreuzers Lexikon seien hier etwa die Bücher von Martin Arz zum Thema erwähnt. In der Ausstellung "Magic City" im vergangenen Jahr gab es außerdem dazu ein eigenes Kapitel, und ansonsten ist die Färberei in punkto Graffiti seit Jahren eine wichtige Anlaufstelle. Was das Buch dann aber doch hervorhebt, ist, dass es mit den Jahren 1982 bis 1989 ausschließlich auf die Ur- und Frühgeschichte der Graffiti blickt. Eben auf "die erste Schicht", den wilden und chaotischen Urgrund.
Das heißt: Man sieht hier eine Bewegung im Werden. Man sieht erste Versuche mit Farbe und Form. Man sieht die Unerfahrenheit, den Mangel an Regeln, Ausstattung, an Vorwissen. Und so wirkt vieles, seien es Schlangen, Katzen, Sprüche oder Comic-Figuren, wie einfach drauflos gemalt. Man sieht aber auch den Willen und Mut, dem grauen Einerlei, dem dumpfen Alltag aus "Tracht, Wurscht, Kas, Bier und Franz Joseph Strauß", wie es im Begleit-Essay von Gregor Schliep heißt, etwas entgegenzusetzen. Und sei es auch nur ein einfaches "Beat", "Boom", "Blash".
Dass Vielen das wie sinnloses Gekritzel erschien, gerade darin lag für Schliep die subversive Kraft. Und die poetische Kraft lag darin, dass die Macher, indem sie sich "Blash", "Fly" oder "Zoro" und ihre Bilder "Pieces" oder Abstellanlagen "Yards" nannten, indem sie "Spots gesketcht" und "Trains gemullert" haben, sich auch über die Sprache eine neue Identität, eine neue Welt schufen. Auch wenn diese faktisch weiterhin Pasing oder Geltendorf hieß. Am heutigen Freitag wird übrigens die Glyptothek "gemullert", denn die Herausgeber werden von 19 Uhr an Graffiti-Fotos auf deren Rückwand projizieren. Die Ur- und Frühgeschichte der Graffiti trifft dann auf die Antike.
"Zar Zip Fly Zoro" , erhältlich über klickklack-publishing.com, Buchpräsentation: Sa., 19 Uhr, Kunstverein, Galeriestr. 4; Foto-Projektion, Fr., ab 19 Uhr, Glyptothek, Königsplatz 3