"Street Art" und ihr Preis:Im Zweifel ist das Kun$t

Wie es kommt, dass Banksy-Originale nicht erkannt werden und die entdeckten Werke von völlig Unbeteiligten mit einer Straßensteuer belegt werden. Aus gegebenem Anlass ein kleiner Streifzug durch die Kunstdiskurse der Geschichte.

Von Bernd Graff

Szene in NY

Szene aus New York: Banksy-Verhüllung.

(Foto: screenshot)

In New York hinterlässt der britische Street-Art-Künstler Banksy seit einigen Wochen immer mehr Spuren. Aber es geht drunter und drüber: Längst nicht jedes seiner Werke wird als solches erkannt, manche Anwohner wittern das schnelle Geld. Wie soll man das alles verstehen? Ein Rückblick auf die Kunstdiskurse der vergangenen Jahrhunderte könnte helfen.

Eine der größten Kulturleistungen basiert auf einem Irrtum.

Dem Irrtum, dass Kunst etwas anderes als Leben sei. Denn nur so, nur im Glauben, dass Kunst etwas anderes ist als die Materialien, die sie hervorbringen, konnte man ihr andichten, anders, ja, besser als das Leben zu sein, wahrer, schöner. Und - aber das gilt erst ab der Mitte des 20. Jahrhunderts - nur so konnte man die teils horrenden Preise für Kunstwerke rechtfertigen.

Seitdem aber klar ist, dass Kunst nichts mehr mit Kunstfertigkeit und Meisterschaft zu tun hat, und das ist mit den historischen Avantgarden ab dem frühen 20. Jahrhundert so, seitdem also Kunst nicht mehr von Können kommt, seitdem flottiert der Begriff von dem, was jetzt noch Kunst ist. Alles kann Kunst sein, nichts ist Kunst. Weiß man's?

Dieses Dilemma kam historisch betrachtet so: In einem Dreisprung.

Schritt 1: Noch um die Mitte des 18. Jahrhunderts herum war jeder Ästhet vollkommen sicher, dass Kunst und schönes Werk dasselbe sind. Man benötigte diese Identifizierung, um über die Idee des Schönen, die im schönen Werk ansichtig wird, das Wahre und Gute kommunizieren zu können.

Das Absolute - noch bei Hegel etwa - zeigt sich immer am Objekt, die Wahrheit und die Idee der Schönheit nehmen im schönen Werk Gestalt an. Dieser Glaube stützt dann auch die Schillersche Vorstellung, dass das Schöne das Politische und Philosophische übertrumpft und zur Veredelung des Charakters beiträgt. Nicht umsonst schreibt Schiller in einem Essay mit dem bezeichnenden Titel: "Über die ästhetische Erziehung des Menschen": "Alle Verbesserung im Politischen soll von Veredelung des Charakters ausgehen - aber wie kann sich unter Einflüssen einer barbarischen Staatsverfassung der Charakter veredeln? Man müsste also zu diesem Zweck ein Werkzeug aufsuchen, welches der Staat nicht hergibt. Und dieses Werkzeug ist die schöne Kunst."

An anderer Stelle heißt es dort sogar: "Gib also, werde ich dem Freund der Wahrheit und der Schönheit zurufen, gib der Welt die Richtung zum Guten, so wird der ruhige Rhythmus der Zeit die Entwicklung bringen." Das Ist Idealismus pur!

Der wahre Wert eines Kunstwerks entspricht seinem Warenwert.

Schritt 2: Die Avantgarden, die sich ab dem Ende des 19. Jahrhunderts gegen die Bilderwelten und Schönheitstraktate der Malerfürsten, der Museums- und Kunstpalast-Ästheten wenden, haben das Urvertrauen ins Werk verloren, und nicht nur das ins schöne. Während der (schillerschen) Vorstellung einer Werk-Kunst-Identität die Frage nach dem Kunstgehalt der Werke völlig schnuppe sein konnte, weil sie erstens nach Wahrheit sucht und zweitens für sie Kunstwerke ja immer sofort erkennbar sind an ihrer Schönheit, ist den Avantgarden von nun an diese Frage eine allererste Herzensangelegenheit.

Wenn Kunst - so die Vorstellung jetzt - nicht mehr allein deshalb schon wahr ist, weil sie schöne Werke hervorbringt, wo bitte sind dann noch Kunst und Werk, was ist dann Kunst, was ein Werk? Im Leben, sagen die Avantgardisten, die raus aus dem Ghetto der Museen wollen.

Sie tun fortan alles, um ihren Kunstanspruch in der Lebensunmittelbarkeit zu suchen. Das heißt: in zerstörten Werken und/oder im objet trouvé oder Ready Made (wie in Marcel Duchamps 'Urinoir') zu artikulieren. Wenn aber Kunst dann nicht mehr notwendigerweise das ist, was Schönes hervorbringt, sie also nicht mehr fraglos an sich selbst festgestellt werden kann, sondern das ist, was man ihren Gehalt, ihre Idee nennen könnte, dann wird Kunst abstrakt.

Sie wird zum Anspruch, dem Dahinter oder Darüber der Werke. So paradox es klingt: Die Avantgarden, die Kunst ins Leben überführen wollten, haben erst dafür gesorgt, dass Kunst nun niemals mehr Leben sein kann. Sie haben zum einen die Kunst bloßgestellt als das, was nicht Leben ist. Aber auch sie haben Werke geschaffen. Auch ein Urinoir kann ausgestellt werden.

Und sie haben zum anderen Kunst in etwas Diskursives verwandelt, eine bloße, werklose Geste, einen Anspruch, eine Ironie, dem man die Frivolität des Preisschilds zumutet. In einem Aufsatz in der Zeit aus dem Jahr 1987 mit dem schönen Titel "Kun$t" heißt es: "Ob Leonardo oder Picasso, Jasper Johns oder Chagall - klingende Namen, klingende Münze: der wahre Wert eines Kunstwerks entspricht heute seinem Warenwert. Ein Bild ist soviel wert, wie zwei Leute bereit sind dafür zu zahlen." Denn seit den Kunstgesten der Avantgarden kann alles zur Kunst erklärt werden. Und wurde es auch, sobald es einen Markt dafür gab.

Ein Original-Banksy für 60 Dollar ist ein Schnapper und der feuchte Traum von Kunstschnäppchenjägern

Schritt 3: Glaubt man dem amerikanischen Maler David Hockney, so hat sich die Kunst heute von den Schlachtfeldern im Kampf um ihre Anerkennung endgültig zurückgezogen: "Die Idee einer ewigen Avantgarde, die immer und immer andauert, scheint mir völlig absurd zu sein. Der Kampf für die moderne Kunst ist heute gewonnen. Ein gewisses Spießertum ist zwar noch da, aber das ist nicht mehr das, was es mal war. Deshalb ist die Idee einer immer noch währenden Schlacht unsinnig und setzt ein Drama voraus, wo es kein Drama gibt."

Tatsächlich ist dieser Befund kein Anlass zur Beruhigung. Denn wenn Kunst und Werk gesiegt haben sind auch sie besiegt. So ist etwa zu fragen: Was ist es noch, was sie erkennbar macht? Alle Theorien zur Postmoderne kreisen um diese Frage.

In einem 1986 erschienenen Band zum Begriff der Postmoderne und ihrer Kunst heißt es: "Für die Revolte gegen die Tradition lässt sich sagen, dass ihre besondere Anstößigkeit heute niemanden mehr schockiert. Alles gilt in institutionalisierter Form als Gütezeichen offizieller westlicher Kultur." Denn, so heißt es dort weiter: "Das Dilemma der Avantgarden war ja ihre Unfähigkeit, trotz bester Absichten eine wirkliche Kritik vornehmen zu können. Vor allem das Schicksal der Avantgarden hat gezeigt, wie die Kunst selbst dort, wo sie gegen das Prinzip 'der Kunst um der Kunst willen' rebellierte, letztlich immer wieder ins ästhetische Ghetto zurückgedrängt wurde."

Oder noch einfacher und kürzer: "Kunst ist, was die Institution, das System Kunst als Kunst wahrnimmt. Innerhalb ihrer Bannmeile sind farbige Dinge im Zweifelsfall Kunstwerke."

Und was hat das alles mit Banksy in New York zu tun? Es gibt zwei Banksy-Momente, die den monetären versus den artifiziellen Aspekt beinhalten. Zum einen die Tatsache, dass Banksy-Werke als solche nicht erkannt werden, wenn sie von einem ältlichen Herrn an einem Straßenstand in der Touri-Hölle am Central Park verkauft werden.

Es ist klar, dass ein Original-Banksy für 60 Dollar zwar der feuchte Traum von Kunstschnäppchenjägern ist, aber erstens spielt der Begriff des Originals keine Rolle mehr, weil die Idee eines Originalwerks an jene alte Vorstellung von Meisterschaft, Genie und Schönheit anknüpft, die Schillers Ästhetik auszeichneten, aber im ästhetischen Kontext unwichtig ist, da Kunst sich nicht am Werk abspielt sondern in der Wirtschaft.

Und zweitens benötigt - wie gesehen - Kunst "ihre Bannmeile", um sie zu erkennen. Wenn sie in Kontexten auftaucht, in denen man sie nicht erwartet, dann nivelliert sich ihr Preis gegen null oder gegen den Liebhaberwert. Wir lernen also: Der ästhetische Diskurs erkennt Banksy als Banksy nur am Originalschauplatz der Graffiti-Wand.

Das bringt uns zum Beispiel zwei: Hier gibt es ein paar aufgeregte Hipster, die Original-Banksy an New Yorker Haus-Wänden fotografieren wollen. Wie auf http://instagram.com/capnyc# (Video vom 10. Oktober) berichtet wird, haben sich vor diese Originale aber ein paar "Niggas" mit Papptafeln gestellt, die nun für die Abfotografiererei in ihrem Viertel eine "Hood Tax" in Höhe von 20 Dollar pro Person erheben. Und die Hipster zahlen.

Damit ist nicht nur der Sinn eines Graffitis als einer öffentlichen Farbanbringung und Bildgestaltung in sein Gegenteil verkehrt, hier ist auch eine unmittelbar sozialdynamische Komponente mithinein gebracht: Hier wittert jemand das schnelle Geschäft mit etwas, mit dem er nichts zu tun hat außer durch seine Ortszugehörigkeit und das Wissen um die Robustheit seines Mandats im Fall zahlungsunwilliger und widerspenstiger Hipster. Was würde wohl Banksy zu solcher Vereinnahmung seiner "Werke" sagen?

Und was sagt noch gleich der zahlende capnyc# dazu so unwiderstehlich: "Ich weiß, jeder markiert jetzt hier den starken Maxe und sagt: Ich hätte nicht bezahlt. Hätte ich unter anderen Umständen auch nicht. Aber es ist, wie es ist. Die Graffitis sind eigentlich frei, so wie Pussy auch, aber wir enden alle damit, immer in irgendeiner Form dafür zahlen zu müssen."

Kunst, selbst die subversive, kommt von Geldbeutel.

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