Street Art - eine Typologie:Was die Spraydose kreiert

Grafitti sind mehr als Schmiererein an Wänden. Besonders in Großstädten sind sie zu einer Kunstform geworden, die sich zunehmend in verschiedene Techniken und Stile differenziert. Beispiele aus Berlin.

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Street Art - eine Typologie:Murals

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Quelle: SZ

Murals sind die größte und auffälligste Ausdrucksform der Street Art. Gerade in Kreuzberg sind viele Brandwände bemalt, also jene fensterlosen Fassaden, die durch Bau- oder Bombenlücken entstanden sind. Murals sind so gut wie immer Auftragsarbeiten und damit legal. Manchmal entstehen sie im Zuge von Street-Art-Festivals oder Open-Air-Ausstellungen.

Oft enthalten Murals politische Botschaften. Blu zum Beispiel hat an der Köpenicker Straße auf einem Wandbild die Mauer in Form von 100-Euro-Scheinen wieder auferstehen lassen. Er kritisiert so den Massentourismus zu den bemalten Mauerstücken an der East Side Gallery. In Kreuzberg findet man nahe der U-Bahnstation Schlesisches Tor in der Oppelner Straße auch Murals von den Brasilianern Os Gêmeos und von Nomad. Der Wahlberliner ist einer der am längsten aktiven Street-Art-Künstler Deutschlands. Sein Werk zeigt einen gesichtslosen Menschen, der eins wird mit einem Kapuzenwesen. International bekannt wurde Nomad, als er 2009 das Garagentor der Villa von Demi Moore und Ashton Kutscher verzieren durfte. Denen waren seine Murals bei einem Berlin-Besuch aufgefallen - woraufhin sie sich seine Handynummer besorgten.

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Street Art - eine Typologie:Guerilla-Marketing

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Quelle: SZ

Die Technik ist innovativ. Von der Schillingbrücke aus gut zu sehen, ist ein Gesicht in eine Wand gemeißelt, darunter der Spruch: "Go forth", also: Gehe vorwärts. Der Portugiese Alexandre Farto, der sich Vhils nennt, hat die Konturen des Gesichts mit dem Presslufthammer in die Wand gehauen. Ein Blickfang, trotzdem sehen die Berliner Street-Art-Künstler das Porträt eher kritisch - es ist Teil einer Werbekampagne von Levis. Vhils hatte den Auftrag, an Hauswänden Berliner zu porträtieren, und damit für die Marke zu werben.

Guerilla-Marketing nennt das, an der Schillingbrücke etwa ist das Konterfei eines Mitglieds der Berliner Künstlergruppe Various & Gould zu sehen. BMW lässt Autos verzieren, Sportartikelhersteller setzen auf Graffiti, um sich der Jugendkultur verbunden zu präsentieren - oft ist die Werbung nicht mehr von echter Street Art zu unterscheiden. Denn oft, wie bei den Porträts für Levis, taucht die Marke auf dem Bild an der Hauswand gar nicht auf. Die Unternehmen machen aber Werbung damit in Anzeigen und im Fernsehen. Für Street-Art-Künstler ist Guerilla-Marketing eine seltene Gelegenheit, mit ihren Arbeiten Geld zu verdienen. Viele lehnen das aus ideologischen Gründen ab.

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Street Art - eine Typologie:Protestbotschaften

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Quelle: SZ

Street Art beansprucht oft für sich, subversiven Charakter zu haben - gerade in Berlin, gerade in Friedrichshain-Kreuzberg. Der Kiez gilt als Künstlerbezirk, in dem sich die Punk- mit der Sponti- und der HipHop-Kultur mischt. Botschaften, einfach mit Farbe an die Wand gepinselt, sind deshalb keine Seltenheit. Erst ein paar Wochen alt ist der Spruch "Fickt eusch allee" an der Schlesischen Straße. Die Botschaft ist unmissverständlich: Der Spruch, da ist man sich einig, drückt den Zorn aus über die nächtlichen Exzesse in der Gegend.

Der Wrangelkiez, so nennen die Berliner das Ausgehviertel an der Schlesischen Straße, verkommt immer mehr zur Besäufnismeile für jugendliche Hauptstadt-Touristen. Der Verfasser der Verwünschung ist unbekannt. Das Haus, dessen Fassade er über Nacht bemalt hat, ist aber auch wegen seiner Historie interessant: Die Sängerin Nena soll hier aufgewachsen sein. Wer genau hinsieht, erkennt um die Buchstaben herum kleine ovale Kleckse in verschiedenen Farben. Sie stellen Luftballons dar, die der ehemalige Hausmeister vor etlichen Jahren an die Fassade gemalt haben soll. Als Erinnerung an die Sängerin - und im Einklang mit den örtlichen Street-Art-Gepflogenheiten.

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Street Art - eine Typologie:Cut-outs

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Quelle: SZ

Street Art besteht nicht nur aus gemalten, gesprayten oder in die Wand gemeißelten Bildern und Texten. Auch Plakate, Sticker und sogenannte Cut-outs zählen zur Kunst. Cut-outs sind auf Papier oder Holz gezeichnete Figuren und Formen, die ausgeschnitten und aufgeklebt werden. Besonders bekannt geworden durch seine Cut-outs ist ein US-Amerikaner, der sich Above nennt. In mehr als 90 Städten in 50 Ländern hat er sein Markenzeichen bereits hinterlassen - einen aus Holz gefertigten Pfeil, der nach oben zeigt. Die Cut-outs kleben an Wänden oder Fenstern, gerne auch an Masten von Stromleitungen.

Manchmal sind die Pfeile nur bunt, bei einigen steht einfach Above darauf, und wieder andere beklebt der Künstler mit dem Konterfei von Hollywood-Stars - wie bei dem Pfeil mit Jack Nicholson in der Falckensteinstraße, direkt neben der Oberbaumbrücke. Die Botschaft ist banal: Das Leben ist ein Kampf, die Pfeile, schreibt Above auf seiner Homepage, sollen die Menschen anspornen, über sich hinauszuwachsen. Es gibt subtilere Ideen, Above hat vor allem durch seine extreme Reisefreudigkeit auf sich aufmerksam gemacht. Manche halten seine Pfeilkampagne aber auch einfach für ein bisschen verrückt.

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Street Art - eine Typologie:Graffiti-Writing

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Quelle: SZ

Es ist in Eile an die Wand geklatscht, es sieht schmutzig aus, ist illegal, und nur wenige erkennen den Sinn dahinter: das klassische Graffitiwriting. Manche sprühen einfach ihren Namen an Fassaden, man nennt das Tags. Andere, wie bei dem "u.t." in der Schlesischen Straße, sprühen Farbe auf eine Hauswand und formen dann mit Linien die Konturen von Buchstaben auf die Fläche - das nennt man Bombing.

Meist stehen die Kürzel für die Namen der Crews, also der Gruppen, die für das Graffito verantwortlich zeichnen. "u.t." steht für Ugly Teens, viele Gruppen spielen aber auch mit ihrem Namen: "u.t." kennt man auch als Unangenehme Typen oder Ultra Tight. Mit Bombings und Tags treten Graffitiwriter in Wettbewerb zueinander: Wer seine Kürzel oder Namen möglichst oft an möglichst schwer zu erreichenden Stellen und in möglichst guter Qualität an Fassaden sprüht, der macht sich in der Szene einen Namen.

Gute Qualität bedeutet nicht, dass es schön aussieht, sondern dass sich der Schriftzug durch einen unverwechselbaren Stil auszeichnet. Passanten sollen diese Graffiti nicht verstehen. Es geht darum, die anderen Writer wissen zu lassen, dass man hier war.

© sueddeutsche.de/caja/js/pak
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