Streaminganbieter Spotify:Dabei sein ist alles

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Keine Lust mehr auf Spotify: Taylor Swift. (Foto: REUTERS)

Der Internet-Dienst Spotify hat den Musikmarkt auf den Kopf gestellt. Geld lässt sich damit nur wenig verdienen - aber wer nicht drin ist, existiert quasi nicht. Sängerin Taylor Swift, die Spotify kürzlich medienwirksam den Rücken kehrte, ist da die Ausnahme.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Die Schweden haben es mit Humor versucht: Taylor Swift hat ihre Songs von Spotify zurückgezogen. Der schwedische Streamingdienst reagierte mit einer Playliste, einer Folge von Songs als Botschaft an die 24-Jährige: "Hey" (Red Hot Chili Peppers) "Taylor" (Michael Ethington) "We wanted to play" (Pinhead Society) "Your Amazing" (Epic Connection) "Love Songs" (DJ Dodger Stadium) "And" (The Telescopes) "They're not" (Utenzil) "Here Right Now" (Original Cast Recording).

Witzig? Für Spotify geht es um mehr, räumt das Unternehmen in derselben Nachricht ein. Fast 16 Millionen Nutzer hätten sich Swifts Songs in den vergangenen 30 Tagen auf Spotify angehört. 40 Millionen Menschen nutzen den Dienst, kostenlos mit Werbeunterbrechungen oder bezahlt ohne. Für Swift kommt dies fast Diebstahl gleich, glaubt man ihrem Gastbeitrag im Wall Street Journal: "Piraterie, File Sharing und Streaming haben die Anzahl der verkauften Alben drastisch gesenkt", beklagte sie im Sommer. Musik sei Kunst, Kunst sei selten und daher wertvoll. "Für wertvolle Dinge sollte bezahlt werden."

So kann man es sehen. In Schweden, der Heimat von Spotify, sieht man es meist anders: "Es ist schade, dass Taylor Swift sich so entschieden hat", sagt Ludvig Werner, der den schwedischen Teil des Musikindustrieverbands IFPI leitet. Viele Schweden würden die Songs nun wahrscheinlich gar nicht mehr hören. Sie spielen Musik fast nur noch über Spotify ab.

Musik-Streaming
:Taylor Swift verlässt Spotify

Beim On-Demand-Dienst gehörte Swift zu den beliebtesten Künstlern, trotzdem hat die Sängerin ihre Alben zurückgezogen. Die Entscheidung macht ein Problem der Plattform deutlich.

Der Streamingdienst hat den schwedischen Musikmarkt auf den Kopf gestellt. Im Spotify-Gründungsjahr 2008 war er "in einem furchtbaren Zustand, der Umsatz auf dem Niveau von 1982 - also auf Vor-CD-Niveau", erklärt Daniel Johansson, der an der schwedischen Linnaeus University zur Musikindustrie forscht. Umgerechnet etwa 116 Millionen Euro nahm diese damals ein. Während es für die Musikindustrie in den Jahren danach global weiter bergab ging, schaffte sie in Schweden die Wende. 2013 stiegen die Erlöse IFPI zufolge bereits auf etwa 155,7 Millionen Euro, Spotify sei Dank. Fast drei Viertel dieser Summe kamen aus dem digitalen Geschäft - und das besteht in Schweden zu mehr als 90 Prozent aus Streaming.

Illegale Tauschbörsen waren die Wegbereiter für die Streamingdienste

Grund für den Streaming-Erfolg ist jedoch vor allem eine andere schwedischen Erfindung: Pirate Bay, eine Art Tauschbörse für Raubkopierer, führte die Skandinavier noch vor Spotify ins digitale Musikzeitalter. "Schweden war schon immer besonders, es war Ground Zero für Spotify, aber auch für die Piraterie", sagt Jonathan Forster, Spotify-Chef in Skandinavien. "Die Schweden haben damals eine Menge Musik gestohlen." Wenn er mit Freunden aus der Branche sprach, waren sie meist unglücklich darüber, aus Schweden zu stammen, erzählt der Brite.

Illegale Downloads waren im Land damals quasi akzeptiert. Sie galten lange als einziger Weg, an digitale Musik zu gelangen. Als Apple später mit iTunes nach Schweden kam, war es bereits zu spät. "Damals war hier jeder so daran gewöhnt, Musik illegal umsonst zu bekommen, dass es niemand genutzt hat", so Experte Johansson. Spotify dagegen nutzen die meisten anfangs kostenlos. Erst wenn die Werbeunterbrechungen nerven, abonniert man den Premium-Dienst für 9,99 Euro im Monat. Mehr als zehn Millionen zahlende Nutzer weltweit meldete Spotify im Mai 2014.

"In Deutschland ist es wichtig, etwas zu besitzen und nutzen zu können, wann immer man möchte, einen Download etwa", versucht Johansson, den Kulturunterschied zu erklären. "In Schweden ist Besitzen nicht so wichtig, sondern der Zugang." Eine Rolle dabei hat sicher gespielt, dass es im Norden früher als anderswo fast überall schnelles Internet gab.

In Schweden erzielt Spotify bereits Gewinne, weltweit investiert er noch mehr, als er einnimmt. Etwa 70 Prozent der Einnahmen reicht der Dienst nach eigenen Angaben an die Musikindustrie weiter - bis Ende 2013 waren das eine Milliarde Dollar. Das Geld wird nach einem bestimmten Schlüssel unter den Vertriebspartnern, meistens Labels, aufgeteilt. Theoretisch lässt sich daraus ein Preis pro Stream ausrechnen, der zwischen 0,006 bis 0,0084 Dollar liegt. Beim Musiker selbst kommt auch davon oft nur ein Bruchteil an - etwa zehn Prozent sind es laut Per Herrey, Anwalt bei der schwedischen Musiker-Gewerkschaft.

Labels reagieren auf Spotify

Spotify hält er für eine gute Sache, für besser jedenfalls als die Piraten. Doch die Labels, die anders als bei CD-Verkäufen keine Kosten mehr für Lagerung, Druck oder Material hätten, müssten die Einnahmen gerechter mit den Künstlern teilen. Drei von diesen vertritt Herrey vor Gericht, ihre Namen nennt er nicht. Viele kämpften gar nicht erst um Geld, sondern hätten sich damit abgefunden, dass Spotify zwar eine Werbeplattform, aber keine Einnahmequelle sei. Sie bleiben trotzdem, denn: "In Schweden gilt: Wer nicht bei Spotify ist, der existiert nicht", so Herrey.

Jacob Herbst, bei Sony Schweden fürs digitale Geschäft zuständig, ist nicht der Meinung, dass Labels einen kleineren Anteil vom Honorar erhalten sollten. "Die Rolle der Labels ist dieselbe, die sie immer war: Wir verkaufen die Musik unserer Künstler", sagt er. Lange ging es vor allem darum, dass die Fans für das neue Album bezahlen. Wie oft sie es danach gehört haben, konnte dem Label egal sein. Bei Spotify ist das anders, hier zählt jeder Stream, und das Album als Song-Bündel verliert an Bedeutung. Stattdessen werben Labels nun für Playlisten. "Spotify hat sie gezwungen, kreativer zu werden", so Herbst.

Platin - ohne Spotify

Vor allem bei Newcomern entscheidet Spotify in Schweden längst über Erfolg und Misserfolg. So war es bei Aron Michael Ekberg, Künstlername Aron Chupa, der mit seinem Song, "I'm an Albatraoz" dank Spotify auf Platz eins der schwedischen Charts landete. 31,5 Millionen Mal wurde er beim Streamingdienst bereits abgespielt. "Das Wichtigste in Skandinavien ist, dass man erhältlich ist", sagt Aron, der nicht daran glaubt, dass seine eher jungen Fans auch alle eine CD gekauft hätten. "Streaming hat meine Karriere gemacht."

Bei Taylor Swift ist das anders. Sie hat Spotify verlassen, und prompt erreichte ihr neues Album "1989" bereits nach einer Woche Platin-Status. Das letzte Mal gelang das einem Künstler vor zwölf Jahren. Auf die Fans in Schweden scheint die Sängerin locker verzichten zu können. Bei der Welttour zum neuen Album ist ein Stopp in Skandinavien bisher nicht geplant.

© SZ vom 08.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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