Kino und Coronavirus:Sofortmaßnahmen gegen Langeweile zu Hause

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Mark Wahlberg, der einen harten Kerl spielt? Erwartbarer geht es kaum - aber bei "Spenser Confidential" zählt eben auch Verlässlichkeit. (Foto: Netflix)

Das Gemeinschaftserlebnis "Kino" erlebt schwere Zeiten, Filmstarts werden reihenweise abgesagt. Was bieten stattdessen die Streaming-Plattformen, was startet neu?

Von Tobias Kniebe und David Steinitz

Wenn man einmal auf dem Gelände der Disney-Studios in Burbank, Kalifornien zu Gast war, weiß man, dass das Prinzip Zwangsoptimismus vermutlich hier erfunden wurde: Die Straßen heißen Mickey Avenue, Dopey Drive und Pluto's Corner, und die Mitarbeiter sind alle von einer zuckerwattigen Fröhlichkeit beseelt, die fast schon unheimlich ist. Vielleicht auch deshalb war Disney eines der letzten Studios, die an den Startterminen ihrer nächsten großen Blockbuster festgehalten haben, als Resthollywood wegen der Corona-Epidemie längst im Ausnahmezustand war. Der Bond-Film: verschoben auf November. "Fast & Furious 9": verschoben auf 2021. Aber es betrifft längst nicht mehr nur Blockbuster, auch Christian Petzolds Berlinale-Liebesgeschichte "Undine" ist auf Juni verlegt, das Biopic "Jean Seberg" auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Meldungen von abgesagten Filmstarts jagen sich im Stundentakt.

Nach längerem Zögern hat Disney nun nachgezogen. Drei der größeren Kinostarts der nächsten Wochen - "Mulan", "The New Mutants" und "Antlers" - wurden abgesagt, dazu werden von Montag an alle Freizeitparks weltweit geschlossen. Neue Starttermine stehen noch nicht fest - und für das Kino, diese alte Idee des sicheren Zusammengluckens in dunklen Räumen, um sich im spontanen Kollektiv von Emotionen durchschütteln zu lassen, brechen nun wirklich harte Zeiten an.

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Die Homeofficisierung der Welt ist aber speziell für den Disney-Konzern Fluch und Segen zugleich. Als hätte man dort etwas geahnt, hat das Unternehmen Ende des vorigen Jahres in den USA erfolgreich seinen Streamingdienst Plus gestartet, der von 24. März an auch in Deutschland online geht und die bedeutendste Alternative zu den großen Streamingdiensten Netflix und Amazon werden dürfte.

In der Filmbranche wird bereits spekuliert, ob Disney nicht einen Werbecoup landen könnte, indem die Firma einen ursprünglich fürs Kino produzierten Film wie "Mulan" direkt auf Disney Plus veröffentlicht. Aber natürlich wird es auf der Videoplattform auch bereits direkt für den Streamingdienst produzierte Inhalte zu sehen geben. Neben der "Star Wars"-Serie "The Mandalorian" ist das im Filmbereich ein Realfilm-Remake des Trickklassikers "Susi & Strolch". Die Hundeliebesgeschichte ist ein Musterbeispiel des familienfreundlichen Eskapismus, mit dem Disney schon die vergangenen 100 Jahre viel Erfolg hatte - und vermutlich jetzt erst recht. Und wer sich ohne Ansteckungsgefahr von daheim aus auf dem Disney-Gelände umsehen möchte, der kann das mit dem für Plus produzierten Kurzfilm "Ein Tag bei Disney" tun.

Was gibt's es dort Neues, wenn man das Angebot nach den eigenen Interessen und Empfehlungen schon weitgehend abgegrast hat?

Bei großer Zuhause-Langeweile zählen aber vor allem Sofortmaßnahmen, was derzeit auch dem Marktführer Netflix nützt. Der veröffentlicht keine aktuellen Zahlen, nach Berechnungen von Analysten sollte er aber beim Abonnentenwachstum in Coronazeiten schon weit über Plan liegen. Was gibt es dort Neues, wenn man das Angebot nach den eigenen Interessen und Empfehlungen schon weitgehend abgegrast hat? Da ist seit voriger Woche der Film "Spenser Confidential" von Peter Berg zu sehen, ein Versuch, den Bostoner Hardboiled-Detektiv Spenser, den Ro- bert B. Parker in den Siebzigerjahren erschaffen hat, in die Gegenwart zu holen. Das ist nichts Neues und Überraschendes, aber mit dem allzeit verlässlichen Mark Wahlberg in der Hauptrolle, der wie immer einen tough guy spielt kann schon das in Zeiten, wo sonst alle Sicherheiten wegbrechen, sehr beruhigend sein. Am Freitag geht die spanische Privatschul-Thrillerserie "Elité" weiter, mit einer dritten Staffel - und wer die spanische Art des Erzählens mag, wird auch bald wieder mit dem Bankräuberdrama "Haus des Geldes" bedient (vierte Staffel am 3. April). Ende März geht auch die amerikanische Hinterwäldler-Drogenserie "Ozark" in die dritte Runde.

Aber auch beim lokalen, im deutschsprachigen Raum produzierten Netflixstoff tut sich einiges: Der Österreicher Marvin Kren hat in "Freud" acht Episoden um den jungen Seelendoktor Sigmund F. gestrickt, der im Wien des Jahres 1886 in eine Verschwörung verwickelt wird (23. März). Und "Unorthodox", Deborah Feldmans Erzählung von ihrer Flucht aus einer ultraorthodoxen jüdischen New Yorker Glaubensgemeinschaft, ein Buch, das besonders in Deutschland erfolgreich war und dessen Autorin jetzt in Berlin lebt, haben Anna Winger und Maria Schrader in vier Teilen verfilmt, mit der israelischen Neuentdeckung Shira Haas in der Hauptrolle (26. März).

Netflix' bislang größter Streamingkonkurrent Amazon schickt im Serienbereich derzeit die Sci-Fi-Neuaflage "Stark Trek: Picard" in den Kampf um die Zuschauer - und hat mit diesem Nostalgieprogramm viel Erfolg. Aus demselben Grund hat Amazon auch die Rechte an der Neunziger-Sitcom "Friends" erworben, deren zehn Staffeln nicht nur ehemalige, sondern auch neue Zuschauer anlockt, die sich nach New Yorker Romcom-Charme sehnen.

Wer gar nicht mehr weiß, was er schauen soll, kann auf streng kuratierte Empfehlungen setzen

Im Filmbereich allerdings setzt Amazon statt auf Hochglanzware mehr auf Indie-Power. Am 20. März startet "Blow the Man Down", eine wilder Genremix aus dunkler Komödie, Drama und Mystery. Der Film hatte beim renommierten Tribeca-Festival Premiere und erzählt von zwei Schwestern, die im kleinen Fischerdorf Easter Cove in Maine in eine finstere Mordgeschichte mit Harpune verwickelt werden. Gerade Indie-Filme findet man aber nicht nur bei den großen Anbietern, sondern auch bei den kleinen, lokalen - und manchmal sogar viel besser kuratiert. Die ausgezeichnete amerikanische Criterion Collection kann man in Deutschland derzeit leider nicht streamen, aber dafür gibt es einige andere interessante Anbieter, die sich um Klassiker und Arthouse verdient machen.

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Besonders geeignet, wenn einem langsam die Ideen ausgehen, was man noch schauen könnte, ist der schon viel gelobte Anbieter mubi.com. Hier herrscht das Prinzip der streng kuratierten Empfehlung - ein kleines Programm, in dem jeder Film nur für einen Monat verfügbar ist. Es gibt immer Klassiker von großen Regisseuren, aktuell unter anderem von Kenji Mizoguchi, Alain Resnais, Rainer Werner Fassbinder, Alfred Hitchcock und Werner Herzog - dessen großer "Aguirre" ist beispielsweise noch sieben Tage zu sehen.

In ähnlichen Bereichen wie Mubi sind auch lokale deutsche Anbieter aktiv, so wie zum Beispiel Alles Kino oder Filmfriend. Letztere kooperiert mit Bibliotheken in ganz Deutschland, deren Mitglieder die Mediathek mit ihrem Bibliotheksausweis nutzen können. Die Betreiber teilen mit, dass sie bereits eine leicht höhere Nutzung ihres Portals feststellen können, wobei noch nicht ganz klar sei, ob die wirklich auf die Epidemie zurückgehe. Filmfriend hat keine Eigenproduktionen, bietet aber Werkschauen einzelner Filmemacher (derzeit zum Beispiel Claude Chabrol und Hannelore Elsner) und hat eine gute Auswahl an deutschen Kinoklassikern - auch viele Produktionen der DDR-Filmschmiede Defa.

Und wenn das immer noch nicht genug Futter ist? Dann startet am 6. April in den USA die Plattform Quibi, auf der Stars und Meister wie Steven Spielberg in handytauglichen Kurzformaten die Zukunft des Entertainment-Häppchens erproben, mit Studio-Unterstützung und Milliardenbudget. Noch ist unklar, wann Quibi nach Deutschland kommen wird, aber eines ist sicher: Was bis vor Kurzem noch unter dem Schlagwort "Streaming Wars" wie ein totaler Overkill neuer Angebote wirkte, sieht in den Zeiten der Corona-Krise fast schon wie vorausschauende Produktionsplanung aus. Die Geschäftsphilosophie des Streaming, das die Menschen mit Entertainment versorgt werden müssen, wo immer sie gerade sind oder sein können, schien selten so vorausschauend zu sein wie in diesem Moment.

© SZ vom 14.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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