Ausstellung:Die Mystik der Steine

Ausstellung: Einmal im Jahr dürfen neoheidnische Gruppierungen zu dem mythischen Steinkreis "Stonehenge". Eine Ausstellung im British Museum macht die Welt, der er entstammt, noch einmal lebendig.

Einmal im Jahr dürfen neoheidnische Gruppierungen zu dem mythischen Steinkreis "Stonehenge". Eine Ausstellung im British Museum macht die Welt, der er entstammt, noch einmal lebendig.

(Foto: Andre Pattenden)

Eine Ausstellung im British Museum setzt dem ewig rätselhaften Stonehenge-Monument ein Denkmal in London. Was das mit dem Brexit zu tun hat.

Von Alexander Menden

Ein Kalksteinzylinder, ringsum verziert mit Spiral- und Winkelmustern, Dreiecken und Rhomben. Massiv und enigmatisch steht er hinter Glas, nur wenige Zentimeter vom Betrachter entfernt. Die Nähe und materielle Greifbarkeit dieses fantastischen Artefakts bilden einen bemerkenswerten Kontrast zur Ungewissheit seiner Bedeutung und Nutzung. Entdeckt wurde die sogenannte "Burton-Agnes-Trommel" 2015 bei einer Ausgrabung in Yorkshire. Sie gilt als einer der bedeutendsten archäologischen Funde auf britischem Boden in der jüngeren Vergangenheit. Jetzt ist sie erstmals öffentlich zu sehen, im British Museum, als Teil der Ausstellung "Die Welt von Stonehenge".

Ausstellung: Die Zwilling-Pferde-Schlange reiste aus Dänemark an - überhaupt werden vor allem Migrationsströme und Handelswege sichtbar, die die Britischen Inseln mit dem Kontinent verbinden.

Die Zwilling-Pferde-Schlange reiste aus Dänemark an - überhaupt werden vor allem Migrationsströme und Handelswege sichtbar, die die Britischen Inseln mit dem Kontinent verbinden.

(Foto: Søren Greve, National Museum of Denmark)

Trotz ihrer Bezeichnung war diese Trommel wohl kein Instrument. Sie war eine Grabbeigabe mit ungewissem Zweck. Verweisen die drei in den Stein getriebenen Löcher auf die drei Kinderskelette, bei denen die Trommel gefunden wurde? Welche Rolle spielten die Kalksteinkugel und der polierte Knochenstift, der unter dem Kopf eines der Kinder lag? Man weiß es nicht. Das Einzige, das aufgrund von Radiokarbondatierungen sicher erscheint, ist das Alter des Grabs: zirka 5000 Jahre.

Die mystische Bedeutung der Goldhüte und Steinkugeln bleibt verborgen

Obwohl die wissenschaftlichen Erkenntnisse über Dinge, die gemeinhin als "prähistorische" Funde bezeichnet werden, immer genauer werden, obwohl Materialauswertungen und stilistische Vergleiche vieles zu verraten scheinen - der tiefere, rituelle, man kann durchaus auch sagen: der mystische Sinn dieser Dinge bleibt uns verborgen. So deuten etwa das Rehbockgeweih und die Fragmente anderer Tierknochen, die in der sogenannten Bestattung von Bad Dürrenberg in Sachsen-Anhalt gefunden wurden, darauf hin, dass die Frau, die hier bestattet wurde, ungefähr 6500 vor Christus als eine Art Schamanin fungierte. Doch was genau war ihre Rolle in der Gruppe, in der sie lebte? Was repräsentieren die vier sogenannten Goldhüte, rund dreieinhalbtausend Jahre alte, konische Konstrukte aus fein gehämmertem Metall, von denen zwei in London ausgestellt sind? Und worum handelt es sich bei jenen aufwendig mit Mustern verzierten Steinkugeln, wie die Kalktrommel rund 5000 Jahre alt, die größtenteils im heutigen Schottland ausgegraben wurden? Waren sie Projektile? Gewichte? Die steingewordene Manifestation des mathematischen Konzepts eines Platonischen Körpers? Oder wurden auf ihnen Megalithe zu ihrem Bestimmungsort gerollt?

Ausstellung: Was repräsentieren die sogenannten Goldhüte, rund dreieinhalbtausend Jahre alte, konische Konstrukte aus fein gehämmertem Metall? Dieser wurde in Rheinland-Pfalz gefunden.

Was repräsentieren die sogenannten Goldhüte, rund dreieinhalbtausend Jahre alte, konische Konstrukte aus fein gehämmertem Metall? Dieser wurde in Rheinland-Pfalz gefunden.

(Foto: Historisches Museum der Pfalz Speyer)

Vielleich kamen auf solchen Kugeln tatsächlich die riesigen Dolerit-Blöcke, aus denen Stonehenge besteht, die mehr als 240 Kilometer vom Steinbruch in Wales ins heutige Wiltshire, womöglich von Ochsen gezogen. Die Schau im British Museum, in Zusammenarbeit mit dem Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale erarbeitet, nimmt ihren Ausgangspunkt in dem berühmtesten Steinkreis der Welt. Die gigantische Megalithstruktur aus mehr als 82 hufeisenförmig angeordneten Steinen auf der Salisbury Plain ist Radiokarbondatierungen zufolge um die 4500 Jahre alt. Sie entstand in drei Phasen, deren erste in der Jungsteinzeit begann, und deren letzte, bedeutendste, in der Bronzezeit endete. Heute bestimmen das Bild von Stonehenge die Überreste der sogenannten Trilithen, bestehend aus je zwei mächtigen aufrechten Tragsteinen und einem quer aufliegenden Deckstein, und der innere Sarsenkreis. Sie wurden von etwa 2600 v. Chr. an errichtet und in den folgenden tausend Jahren mehrmals neu arrangiert.

Der Eingang auf der nordöstlichen Seite des Erdwalls sowie die Öffnung der Hufeisenform der Steine sind so ausgerichtet, dass in der Bronzezeit zur Sommersonnenwende die Strahlen der aufgehenden, zur Wintersonnenwende die der untergehenden Sonne genau in diese Achse fielen. Doch obwohl eine astronomische und religiöse Nutzung wahrscheinlich ist, bleibt die wirkliche Bedeutung dieses überwältigenden Bauwerks unklar. Alljährlich dürfen neoheidnische Gruppen hier die Winter- und Sommersonnenwende feiern, sonst ist der Steinkreis nicht mehr öffentlich zugänglich.

Auch die Himmelsscheibe von Nebra wird in London ausgestellt

Statt sich in Spekulationen über solche letztlich niemals lösbaren Rätsel zu verlieren, präsentiert die Londoner Schau eine Welt der Deep History, die von regem materiellem Austausch, von Migration zwischen dem Kontinent und den Britischen Inseln, von gegenseitiger technischer und ästhetischer Beeinflussung zwischen kleinen Populationen über große Entfernungen hinweg geprägt war. Dabei sind kunstvolle und unschätzbare Artefakte wie der Goldumhang aus der Sammlung des British Museum selbst oder der ungefähr 1400 vor Christus entstandene dänische Sonnenwagen von Trundholm fantastische Highlights, die das Zentrum eigener Ausstellungen bilden könnten - ganz zu schweigen von der mindestens 3700 Jahre alten Himmelsscheibe von Nebra, die als wohl spektakulärste Leihgabe der Schau im selben Raum mit ihnen gezeigt wird.

Ausstellung: Neben Sonnenscheiben und kultischen Geräten ist auch die Himmelsscheibe von Nebra zu sehen. Schließlich ist auch die Form von Stonehenge eng verbunden mit dem Lauf der Himmelskörper.

Neben Sonnenscheiben und kultischen Geräten ist auch die Himmelsscheibe von Nebra zu sehen. Schließlich ist auch die Form von Stonehenge eng verbunden mit dem Lauf der Himmelskörper.

(Foto: LDA Sachsen-Anhalt, Juraj Lipták)

Gold und Zinn, die in der Himmelsscheibe, der ältesten bisher bekannten konkreten Darstellung des Kosmos, verarbeitet wurden, stammten aus Cornwall im äußersten Südwesten Britanniens. Diese Verwendung von Metallen aus einer Tausende von Kilometern entfernten Mine bekommt hier ein besonderes Gewicht. Die Vorstellung von abgekapselt lebenden bronzezeitlichen Gemeinschaften ist längst überholt. Doch wie rege die Güter und Menschenbewegungen tatsächlich waren, lässt sich immer besser nachvollziehen. In einem Grab bei Stonehenge wurden Dolche aus Frankreich gefunden, deren Knauf mit winzigen Goldnägeln besetzt ist. Bei deren Anbringung wurde eine Technik verwendet, die man auch an Artefakten aus dem griechischen Mykene gefunden hat.

Der "Amesbury Archer", einer der letzten Menschen, die in Stonehenge beigesetzt wurden, starb vor ungefähr 4400 Jahren. Er stammte wohl ursprünglich aus dem Alpenraum und gehörte der sogenannten "Glockenbecherkultur" an, die sich am Übergang von der Jungsteinzeit zur Bronzezeit in Westeuropa ausbreitete. Diese "Glockenbechermenschen" waren offenbar besonders bewandert in Metallverarbeitung und wanderten nach Großbritannien um die Zeit ein, in der die Bautätigkeit in Stonehenge nachließ. Der "Amesbury Archer" starb eines gewaltsamen Todes, getötet von mehreren Pfeilen.

Der Respekt der eingewanderten Kulturen vor den Bauwerken ist offenkundig

Da er selbst vermutlich auch ein Bogenschütze war, fiel er möglicherweise in einem Gefecht zwischen Einheimischen und neu zugewanderten Gruppen. Der Austausch war also anscheinend nicht nur vom Handel, sondern auch von Konflikten geprägt. Was die Beisetzung des "Amesbury Archer" mit vielen Grabbeigaben in direkter Nähe von Stonehenge auf jeden Fall anzuzeigen scheint, ist ein gewisser spiritueller Respekt der eingewanderten Kulturen vor dem, was sie vorfanden. Die Ehrfurcht vor Bauwerken, die zu diesem Zeitpunkt schon sehr alt waren, ist offenkundig.

Die Überreste des sogenannten "Seahenge" sind ein Kreis aus hölzernen Pfosten, den 1998 die See an der Küste von Norfolk freilegte. Die Anlage bestand aus einem äußeren Ring, der aus fünfundfünfzig kleinen, gespaltenen Eichenstämmen bestand, die eine etwa kreisförmige Anlage von etwa sieben mal sechs Metern bildeten. Einige dieser Stämme sind im British Museum zu sehen. Und obwohl auch hier der Zweck obskur ist, scheint dieses uralte Holz eine Verbindung mit den Menschen herzustellen, die es einst in die Erde an der Ostküste rammten.

Ausstellung: In Anlehnung an das berühmte Monument wurde der Kreis aus Eichenpfosten, der im Jahr 1999 am Holme Beach entdeckt wurde, "Seahenge" getauft.

In Anlehnung an das berühmte Monument wurde der Kreis aus Eichenpfosten, der im Jahr 1999 am Holme Beach entdeckt wurde, "Seahenge" getauft.

(Foto: Wendy George)

Es ist verlockend, die Migrationsgeschichte, die Stonehenge umgibt, im Licht gegenwärtiger Ereignisse zu sehen. Die Kuratoren vermeiden eine allzu wohlfeile Aktualisierung. Doch es ist schwer, eine Geschichte unzähliger Wellen von Einwanderern, die diese Inseln prägten, nicht mental in Kontrast zu der nicht eben einwanderungsfreundlichen Politik der gegenwärtigen britischen Regierung zu setzen.

Die Funde beispielsweise aus dem sogenannten Langdon-Bay-Wrack, das in der Bronzezeit vor der Küste von Kent unterging, scheinen in tragischer Weise aktuell. Denn während man die Axtköpfe, Speerspitzen und sonstigen Gerätschaften betrachtet, die aus dem Wrack des bronzezeitlichen Boots geborgen wurden, und bedenkt, dass in immer wieder Menschen aus aller Welt beim Versuch, den Ärmelkanal zu überqueren, kentern und ertrinken, dann scheint die Vergangenheit plötzlich näher. Dann scheinen die Menschen jener Jahrtausende mit all ihren zeitlosen Bedürfnissen und Konflikten aus dem Dunst der Vorgeschichte herauszutreten, der Stonehenge selbst einhüllt und zu einem ewigen Rätsel macht.

The World of Stonehenge im British Museum, London, bis 17. Juli. britishmuseum.org. Der Katalog kostet 35 Pfund.

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