Süddeutsche Zeitung

Comic "Stockhausen":Wie man mit dem Hammer komponiert

Thomas von Steinaecker und David von Bassewitz erzählen von Karlheinz Stockhausen - und visualisieren seine Musik.

Von Fritz Göttler

Ein gewaltiger Sog geht von diesem Buch aus, er gleicht dem Sog, den einst die Musik von Karlheinz Stockhausen auslöste, als er mit rigoroser Unbedingheit in den Fünfzigern begann, ganz neu Musik zu schaffen, jenseits des Melodiösen und Klangfarblichen, eruptiv und dissonant, eine Musik wie aus einer anderen Welt, die das ganze Jahrhundert aufgenommen hat, bis hinein in die Weiten des Alls.

Es ist kein gradliniger Bio-Comic, eher eine abenteuerliche Reise auf fremdes Terrain. Der Junge, der hier Stockhausen und dessen Musik entdeckt, ist der zwölfjährige Thomas von Steinaecker, und seine Reise beginnt ganz plötzlich im Juli 1989 mitten in der Provinz, in Oberviechtach, Regierungsbezirk Oberpfalz, nahe der Grenze zur Tschechoslowakei. What a wonderful world ... Die Familie von Steinaecker wohnt hier, eine angenehm bürgerliche Familie, die Eltern sind kulturell interessiert - die SZ-Lektüre gehört zum täglichen Leben -, auch Progressivem gegenüber durchaus aufgeschlossen. Der junge Thomas und sein Bruder bringen die Sommerferien herum mit Ministrieren in der Kirche, der Hitparade, tschechischen Märchenfilmen und "Raumschiff Enterprise". Der Boden ist noch verseucht von der Katastrophe von Tschernobyl drei Jahre zuvor, die Wiedervereinigung steht unmittelbar bevor.

Thomas und sein Bruder kugeln sich vor Lachen, als sie Stockhausens "Gesang der Jünglinge" hören

In diese "Große-Ferien-Langeweile-aber-trotzdem-irgendwie-voll-schöne-Idylle" platzt plötzlich aus heiterem Himmel eine Platte der Deutschen Grammophon mit Stockhausens frühem "Gesang der Jünglinge". Die Jungen kugeln sich erst mal vor Lachen, aber dann, beim erneuten Anhören, packt sie eine unerklärliche Faszination. Sie fangen an, sich in den Kosmos Stockhausen einzuhören, holen weitere Platten, dann eine Biografie des Komponisten, versuchen ihre Kameraden für diese Musik zu begeistern, mit mäßigem Erfolg.

Thomas von Steinaecker, der auch in der SZ über Comics schreibt, liebt die Kunst, die Grenzen ignoriert, die sich übernimmt und scheitert, scheitern muss - Stockhausen und dessen "Licht"-Zyklus ist schon ein Kapitel in Steinaeckers Buch "Ende offen" gewidmet, über gescheiterte Kunstwerke. Ende Oktober startet im Kino sein Film "Radical Dreamer", den er mit und über Werner Herzog machte - auch der ein Grenzgänger so selbstgewiss und radikal und esoterisch wie Stockhausen.

Unten ist die Hölle, oben der Himmel, diese für Stockhausen wichtige Formel taucht früh auf in der Graphic Novel - aber der Zeichner David von Bassewitz reißt die natürliche Ordnung, die der Satz suggeriert, sofort auf, mit einem erregenden Wirbel von Bild und Schrift und Zahl, in dem Stockhausens abstrakte Musik - serielle, aleatorische, Momentmusik - konkret und körperlich wird. Er visualisiert Stockhausens Kompositionen, rote, formelhafte Noten sieht man von Bild zu Bild über die Linien tropfen. Die Bilder taumeln, in eine emotionale Offenheit; der Comic hat, wie das Kino auch, mehr mit Musik und Rhythmus zu tun als mit linearem Erzählen. Der Rahmen, die Kadrierung - im Comicbild wie auf der Leinwand - ist nur da, um gesprengt zu werden, die "Bewegung aus dem Inneren des Blickfelds nach außen zu vermitteln", wie der Kinokritiker Serge Daney es 1968 formulierte, sie zwingen den Betrachter, "seinen Blick ununterbrochen anzupassen, das heißt zu wissen, dass er schaut".

Der Band "erzählt" die ersten Jahrzehnte Stockhausens, geboren 1928, seine Erlebnisse in den Lazaretten im Weltkrieg - Schreie, Blut, Schmerzen -, spirituelle Erfahrungen in wuchtigen Kathedralen (in die auch der Kölner Karneval dringt), die Lektüre der Bibel und der Mystiker, die Einsamkeit, die Wahrnehmung, dass er Außenseiter ist. Man erlebt die Buh-Kaskaden der frühen Aufführungen, die Verehrung von Komponisten aus aller Welt - die Moderne kommt fast unmerklich, in einem Kino wird Jean-Luc Godards Film "Außer Atem" gespielt. Stockhausen studiert in Paris, von da an ist der Komponist Pierre Boulez oft an seiner Seite, das Glühen seiner Zigarette ist wie der inspirative Glimmer der neuen Musik: Wie man mit dem Hammer komponiert ... "Solche Musik würde Menschen verwandeln", erklärt Stockhausen, " ... und eine bessere Gesellschaft hervorbringen, die wir so dringend brauchen."

Mit dem Ende des Sommers 1989 endet dieser Band - Stockhausen hat sich zu dieser Zeit aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, er ist ein Mythos, ist Kult, womöglich ein Messias. Den Steinaecker-Jungs wird eine Reise nach Wien angekündigt, wo es Stockhausen-Aufführungen geben wird, in Anwesenheit des Komponisten. In Wien soll dann der zweite Band dieses mitreißenden Werkes einsetzen, der junge Steini trifft das Idol "Stocki", eine Freundschaft beginnt, der Zyklus "Lichter" entsteht.

Was Anfang des Sommers den Kids half in ihrer noch unsicheren Begeisterung für Stockhausen, waren die Beatles. Die hatten ihn vergöttert und 1967 in ihren Olymp platziert, auf das legendäre Cover ihres Albums "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band", da taucht er auf neben Aleister Crowley und Mae West, Edgar Allan Poe und C.G. Jung.

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