Sterbeglocke schlägt für Kirchensteuer:Glaube? Unbezahlbar

Der Kirchenrechtler Hartmut Zapp wollte aus der Körperschaft der Kirche austreten, seinen Glauben aber beibehalten. Ein Präzedenzfall, der das Ende der Kirchensteuer einläutet.

Alexander Kissler

Es war ein leiser Klang, doch er war unüberhörbar: Mitte Juli schlug das Sterbeglöcklein für die deutsche Kirchensteuer. Das Verwaltungsgericht Freiburg entschied, es sei zulässig, sich der Steuer zu verweigern, gleichzeitig aber auf der fortgesetzten Mitgliedschaft in der Kirche zu beharren. Sollte in den kommenden Instanzen und schließlich auch in der kirchlichen Gerichtsbarkeit das Urteil Bestand haben, müssten die Fundamente des heiklen Verhältnisses von Staat und Kirche völlig neu gegossen werden.

Sterbeglocke schlägt für Kirchensteuer: Befürworter der Kirchensteuer argumentieren: Wenn die Kirche sparen muss, geht das nur auf Kosten anderer. Das Bistum Essen etwa wollte 6000 Kita-Betreuungsplätze streichen.

Befürworter der Kirchensteuer argumentieren: Wenn die Kirche sparen muss, geht das nur auf Kosten anderer. Das Bistum Essen etwa wollte 6000 Kita-Betreuungsplätze streichen.

(Foto: Foto: dpa)

Auslöser war ein Austritt der besonderen Art. Im Juli 2007 erklärte der Freiburger Kirchenrechtler Hartmut Zapp vor dem Standesamt seine Abkehr von der Kirche, hielt aber in einer Zusatzerklärung fest, sein Schritt beziehe sich ausschließlich auf die Körperschaft öffentlichen Rechts. Der Glaubensgemeinschaft fühle er sich weiter zugehörig. Aus durchaus frommen Gründen wagte er die rebellische Tat. Weder pekuniäre noch kirchenkritische Motive gaben den Ausschlag. Nicht länger aber soll mit Exkommunikation bestraft werden, wer die Kirchensteuer ablehnt, ohne auch den Glauben zu negieren. Der Körperschaftsaustritt sollte einen Präzedenzfall schaffen.

Steuerpflicht wegen Taufe, warum?

In der bisherigen Praxis, die Ausfluss ist des Kooperationsmodells von Volkskirche und Staat, sieht Zapp einen Verstoß gegen weltkirchliche Bestimmungen. In der Tat mutet es seltsam an, dass eine Willenserklärung vor einer weltlichen Behörde automatisch den Kirchenbann nach sich zieht. Darf der säkulare Staat mitwirken bei einem Vorgang mit so gewaltigen religiösen Konsequenzen? Dürfen die Kirchen es dem Staat überlassen, einen solchen fundamentalen Schritt zu beglaubigen? Und warum soll überhaupt die Taufe eine Steuerpflicht begründen? Zapp wirft den deutschen Bischöfen in dieser Hinsicht einen strukturellen Ungehorsam vor.

Anfang 2006 nämlich erklärte der Vatikan detailliert und auf Anordnung Benedikts XVI., wie der "formale Akt" auszusehen habe, damit ein Kirchenaustritt gültig ist. Im Schreiben des "Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte" heißt es, der Wille zur Trennung aus Glaubensgründen müsse klar ersichtlich sein, er müsse schriftlich niedergelegt und von der "zuständigen Autorität" entgegengenommen und geprüft werden. Der Staat ist hierfür inkompetent. Ergo folgert der Kirchenjurist Gero P. Weishaupt, Mitarbeiter am besagten Päpstlichen Rat: "Die Austrittserklärung vor einer staatlichen Behörde ist kein Kirchenaustritt im kirchenrechtlichen Sinn. Damit hat sie auch keine Rechtsfolgen in der Kirche." Die einzige, allerdings rein weltliche Konsequenz sei die Steuerbefreiung.

Das Wort aus Rom hielt die deutschen Bischöfe nicht davon ab, eher beschwörend denn argumentierend den Status quo zu rechtfertigen. Im April 2006 beriefen sie sich knapp auf die "deutsche Rechtstradition". Es bleibe alles beim Alten: Der Austritt vor der staatlichen Behörde sei als Schisma zu werten; er führe deshalb zur "Tatstrafe der Exkommunikation". Denselben Gedankengang repetierte nun das Erzbistum Freiburg. Man könne aus der Kirche "nur insgesamt austreten". Eine Aufspaltung in Körperschaft und Glaubensgemeinschaft sei unmöglich. Eben deshalb hat die Diözese gegen das Urteil Berufung eingelegt.

Je klammer die Kassen, desto mächtiger die Kassenwarte

Wie auch immer die nächste Instanz entscheiden wird: Die Debatte ist in der Welt, und sie betrifft die evangelischen Kirchen und die anderen Religionsgemeinschaften nicht minder. Die gegenwärtige Regelung hat ein "G'schmäckle" bekommen, das sie nur dann verlieren kann, wenn die Gemeinschaften nicht länger funktional argumentieren. Angesprochen auf die erstaunliche Nähe von Staat und Kirche, heißt es meist, mit den Steuermitteln würden Kindergärten, Sozialstationen, Beratungsdienste unterhalten, die der Allgemeinheit zugutekämen.

Das stimmt natürlich, doch wahr ist auch: Viel kirchenfremdes, glaubensfernes Allotria wird getrieben mit den Steuermitteln, die zunächst an die Verwaltungen in den Bistümern und Landeskirchen fließen, ehe ein Teil an die Ortsgemeinden weitergeleitet wird. Und wahr ist auch: Je klammer die Kassen sind, desto mächtiger werden die Kassenwarte. Angesichts eines bis zum Jahr 2030 erwarteten Rückgangs des Kirchensteueraufkommens um 50 Prozent, angesichts auch von 96 allein im Bistum Essen umgewidmeten Kirchengebäuden und deren 22 im Bistum Hildesheim, schlägt die Stunde der Verwalter, hat theologisches Denken schlechte Karten. Vielleicht ist es symbolisch zu nehmen, dass an der Spitze der Bischofskonferenz mit Robert Zollitsch ein Mann steht, der 20 Jahre lang in der Verwaltung tätig war.

In manchem konzeptlos dahintreibenden Schwundbistum lässt sich das Debakel einer Kirche besichtigen, die vor allem in Strukturen, Prozessen und Sachwerten denkt. In Magdeburg etwa hat ein Bischof nicht bemerkt, dass seine Verwaltung durch missglückte Immobiliengeschäfte seit 2001 einen Schuldenberg "im deutlich zweistelligen Millionenbereich" anhäufte. Wäre das winzige Bistum auch ohne den Zufluss der Kirchensteuer auf die Idee verfallen, sich an Biogasanlagen, Windparks und dem defizitären Magdeburger "Hundertwasser-Haus" zu beteiligen?

Vorbilder Italien und Spanien

Natürlich böte eine Reform der Kirchensteuer keine Garantie, aber doch einen gewissen Schutz vor solcher Inkompetenz oder vor jener selbstherrlichen Autokratie, wie sie in der Diözese Aachen Einzug hielt. Dort, beschwerte sich unlängst ein Pfarrer, werden mit brachialer Gewalt und im Befehlston "Seelsorgekolchosen", riesige Pfarrverbünde, über die Köpfe der Betroffenen hinweg aus dem Boden gestampft. Bischof Mussinghoff prügele so "die Herde auf einen Weg, von dem alles andere als klar ist, ob man auf ihm überhaupt neue Weideplätze erreichen wird".

Das bestehende System hat trotz solcher Auswüchse auch Vorteile. Paul Kirchhof weist darauf hin, dass bei rein freiwilligen Spenden die "Stetigkeit der Aufgabenerfüllung" gefährdet wäre. Die staatlichen Organe seien lediglich "Verwaltungs- und Vollstreckungshelfer", dank derer die Haushalte der Kirchen entlastet werden. Eine selbständige Verwaltung schlüge mit zehn bis 30 Prozent der Steuer zu Buche, während sich der Staat mit einem Entgelt zwischen zwei und vier Prozent begnügt. Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht heißt die "Ertragsgemeinschaft" von Staat und Kirche schließlich auch deshalb gut, weil auf diesem Weg der Freiraum wachse für die "Gemeinwohlverpflichtung der Christen und ihre Einsatzbereitschaft im Staat".

Man kann es auch umgekehrt sehen. Durch die enge Zusammenarbeit eigentlich getrennter Welten wächst die Versuchung der Kirche, sich selbst weltlich zu begreifen, und es schwindet der Mut, der Welt zu widersprechen. Die Bereitschaft, den Staat so scharf ins Auge zu fassen, wie es theologisch oft geboten wäre, nimmt ab, weil Staat und Kirche gemeinsam eine Gläubigergemeinschaft bilden, mit und ohne Gläubige. In Spanien und in Italien zahlt jeder Bürger sechs beziehungsweise acht Promille seiner Einkommensteuer für einen gemeinnützigen Zweck. Die meisten Kirchenmitglieder wählen ihre jeweilige Kirche als Empfängerin - und wenn sie es einmal nicht tun, müssen sie keinen Ausschluss, keine Exkommunikation fürchten. Die Attraktivität dieses Modells auch für Deutschland wird wachsen, je länger Hartmut Zapps Gang durch die Instanzen andauert. Ein Automatismus ist begründungspflichtig geworden.

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