Süddeutsche Zeitung

Stephen Kings "Doctor Sleep":Das Böse lauert in uns

Stephen King hat einen Fortsetzungsroman zu "The Shining" geschrieben. Zweite Teile sind oft verdächtig, aber mit "Doctor Sleep" weckt King vor allem die Geister seiner Schriftstellerjugend. Und gerade für Geisterbeschwörungen liebt man seine Bücher.

Von Andrian Kreye

Viele Bücher von Stephen King entwickeln ihre eigentliche Größe erst, wenn sie verfilmt werden. Seine ersten drei Romane zum Beispiel, die er zwischen 1974 und 1977 veröffentlichte, gingen eher in die Film- als in die Literaturgeschichte ein. Seine Schulfesthorrorgeschichte "Carrie" war der Durchbruch für den Regisseur Brian de Palma und machte die Schauspielerin Sissy Spacek zum Star. "Salem's Lot" wurde zum Vorläufer für die literarischen Fernsehserien der letzten Jahre.

Sein bestes Buch bleibt aber sein dritter Roman "The Shining". Weil der Regisseur Stanley Kubrick daraus ein filmisches Meisterwerk gemacht hat.

36 Jahre nach der Veröffentlichung des ursprünglichen Romans, kam nun die Fortsetzung heraus. Sie heißt "Doctor Sleep". Der kleine Danny, der im Film auf seinem Dreirad durch die endlosen Gänge des Overlook Hotels fährt, auf denen ihm die Spukgestalten aus dem Jenseits begegnen, ist nun erwachsen geworden. Noch immer hat er das Grauen nicht ganz verarbeitet, das er mit seiner Gabe der Hellsicht voraussehen konnte, eben jenem "Shining". Das Grauen, als sich bei seinem schriftstellernden Vater in der Einsamkeit der winterlichen Berge eine Schreibblockade in einem mörderischen Tobsuchtsanfall entlädt.

Geister der Schriftstellerjugend

King hat sich lange mit dem Gedanken getragen, seinen großen Horrorroman fortzusetzen. Fortsetzungen sind natürlich immer verdächtig. Zu offensichtlich ist der geldgierige Versuch, einen Erfolg ein zweites Mal zu melken. Nun hat King selbst nie einen Hehl daraus gemacht, dass er Unterhaltungsliteratur produziert. Geld allerdings braucht er keines.

Mit einer Gesamtauflage von 350 Millionen Büchern, sowie unzähligen Film-, Fernseh- und Comiclizenzverträgen, tut Stephen King mit seinen 66 Jahren schon lange nur noch das, was ihm gefällt. Erst letztes Jahr brachte er zum Beispiel gemeinsam mit den Musikern John Mellencamp und T-Bone Burnett das Rockmusical "Ghost Brothers of Darkland County" auf die Bühne.

Wenn der erwachsene Dan in "Doctor Sleep" also telepathischen Kontakt zu dem Mädchen Abra aufnimmt, die ihm davon erzählt, wie ein Kult Kinder mit der Gabe des Shining jagt und nun eines von ihnen opfern will, erweckt Stephen King vor allem die Geister seiner Schriftstellerjugend zu neuem Leben. Und gerade für solche Geisterbeschwörungen liebt man seine Bücher ja so.

Sicher, kaum einer beherrscht die Tricks der Spannung so wie King, der einen mit einer ersten Seite so in die Geschichte ziehen kann, bis man sie gesamt verschlungen hat. Doch der eigentliche Reiz seiner Bücher ist es, dass sich der Alltag mit seinen Dingen gegen die Menschen der Vor- und Großstadt verschwört, wie einst die Naturgeister gegen die Bewohner des Waldes. Egal ob es die Nachbarn, der Haushund oder das Auto sind - das Böse lauert in uns. Wenn das Shining nun so lange in Stephen King gegärt hat, wird man schon sehen, wir grausam es wird.

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Quelle:
SZ vom 05.11.2013/ahem
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