Süddeutsche Zeitung

Stephen King und Frank Darabont im Interview:"Die Angst muss Gassi gehen"

Stephen King vertraut dem Regisseur Frank Darabont erneut einen seiner Romane an. Im Interview sprechen die Freunde über ihren neuen Film "Der Nebel" und gestehen, wovor sie sich immer noch fürchten.

Jörg Häntzschel

Stephen King ist eine Eidechse im Acrylpullover, Frank Darabont ein Bär in Hollywood-Chic. Und doch scheint es keine besseren Freunde zu geben. Anlässlich der amerikanischen Premiere von "Der Nebel - The Mist" schauen sie auf ihre lange Zusammenarbeit zurück. Der Regisseur Darabont, der schon Kings Erzählungen "The Green Mile" und "Die Verurteilten - The Shawshank Redemption" verfilmt hat, überschüttet den Meister mit seiner Verehrung, der pariert mit schiefem Grinsen - aber genießt es sichtlich, mal wieder aus dem Haus und unter Menschen zu kommen.

SZ: Mr. King, "Der Nebel" haben Sie vor fast dreißig Jahren geschrieben. Wie kamen Sie damals auf die Idee für die Geschichte?

Stephen King: Ganz banal: Mir fielen im Supermarket die riesigen Panoramascheiben auf. Ich dachte mir: Wenn da draußen mal etwa Schlimmes passiert, gehen die sofort zu Bruch. So ticke ich nun mal. Es ist nicht unbedingt gesund, aber es hat sich über die Jahre als sehr profitabel erwiesen.

SZ: Wie verstehen Sie die Katastrophe, die sie beschreiben - als Horror oder als Science Fiction?

King: Für mich ist das Science Fiction - mit der Betonung auf Fiction. Ich war nie ein Streber, ich war nie gut in Chemie oder Physik. Aber ich habe in den fünfziger Jahren genügend Filme wie "Das Ding aus einer anderen Welt" oder "Them" gesehen, um zu wissen, dass Strahlung Monster erzeugt. Wenn wir zu viel mit dem Unbekannten spielen, wird Schreckliches passieren.

Frank Darabont: Auch ich liebe dieses Zeug, so bin ich ja überhaupt erst zu diesem Meister gekommen. Horror? Ja. Science Fiction? Ja. Aber das Einzigartige an Stephen King ist, dass es immer um den Menschen geht. Hier handelt es sich um eine Analyse von Menschen in einer Art Dampftopf, wo die Vernunft von Angst verdrängt wird. Deswegen fand ich die Geschichte so interessant. Die Viecher im Nebel sind Nebensache.

SZ: Religiöser Fanatismus spielt eine große Rolle. Wie stark beziehen Sie sich auf die Bibel?

King: Ich habe da genügend eigene Erfahrungen: Kirche am Sonntag, Bibelschule am Donnerstag. Ich habe oft genug gehört, was passiert, wenn man lügt oder masturbiert. Das ganze Zeug. Mit Chris, meinem Freund aus Kindertagen, hörten wir uns immer Jack van Impe an, einen der frühen Fernsehprediger. Er wusste alles über die internationale Verschwörung, wann die Apokalypse kommen würde, und dass wir uns vorbereiten müssten. Irrer Typ. Ich habe nichts gegen Religion, aber wenn sie sich mit Politik vermischt, wird es gefährlich. Und das passiert in jeder Krisensituation.

SZ: Angst ist ein zentrales Motiv in Ihren Büchern.

King: Angst ist eine Überlebensfunktion! Gehen Sie mal nachts auf dem Mittelstreifen einer Autobahn spazieren. Oder während der Jagdsaison in den Wäldern von Maine. Was ich den Leuten gebe, sind Orte, an denen sie ihre Ängste sicher deponieren können. Nachher können sie sagen: War alles nur erfunden; ich habe meine Emotionen nur spazieren geführt, wie einen Pitbull-Terrier im menschlichen Hirn. Die Angst muss öfter Gassi gehen, will ein bisschen gestreichelt werden. Und dabei helfe ich. Die Leute im Film sind in dem Supermarkt gefangen, und dann geschehen unerklärliche Dinge. Doch jeder von uns wird eines Tages mit einer solchen Situation konfrontiert. Vielleicht ist es kein Monster, das aus dem Nebel steigt, sondern Krebs, aber wir haben alle Angst davor. Ich bin jedenfalls froh, dass ich mir das alles von der Seele schreiben kann und auch noch dafür bezahlt werde, statt zum Psychiater zu gehen und dafür auch noch zu bezahlen.

Auf Seite 2 lesen Sie, wovor Stephen King sich fürchtet und was er von der neuen Generation von Horrorfilmemachern hält.

SZ: Wovor haben Sie selber Angst?

Darabont: Oh, Menschen. Schauen Sie sich das 21. Jahrhundert an! Es wird das 20. aussehen lassen wie die Sesamstraße.

King: Ich habe Angst vor allem, das sieht man ja an meinen Büchern: Aufzüge, Autos... Die Idee für mein neues Buch, "Duma Key", das nächste Woche in den USA erscheint, stammte aus der Erfahrung eines Unfalls, den ich selbst hatte: Eine kleinen Szene auf der Straße, als ein Laster rückwärts fuhr. Der Warnpiepser funktionierte nicht, und jemand sagte: Vorsicht! Plötzlich wurde ein dicker Roman daraus. Ansonsten geht es mir wie Frank, und deshalb mag ich diesen Film so. Es ist als würde jemand einen an einer Stelle am Rücken kratzen, an die man selbst nicht hinkommt. Jeden Abend, wenn ich ins Bett gehe und niemand irgendwo eine Atombombe gezündet hat, fühle ich eine Mischung aus Überraschung und Dankbarkeit: Kaum zu glauben, wir sind wieder einmal davongekommen!

SZ: Sie haben schon oft mit Frank Darabont zusammengearbeitet. Was sind seine Qualitäten?

King: Zusammenarbeit würde ich es nicht nennen. Ich stehe rum und lasse ihn machen. Was ich mag ist seine kindliche Phantasie, die gepaart ist mit seiner Fähigkeit, den Kern des Materials zu erkennen und dann seine Vision umzusetzen. Es machte die Qualität von "Die Verurteilten" aus, von "The Green Mile" und jetzt von "Der Nebel". Da fällt mir eine Geschichte ein: Eines Tages gehe ich mit meinem Einkaufswagen durch den Supermarkt, da spricht mich diese alte Frau an: Ich kenne Sie, sagt sie. Sie schreiben diese schrecklichen Bücher. Ich mag lieber herzerwärmende Sachen wie "Die Verurteilten". Ich sagte: Das habe ich geschrieben! Sie: Nein, das haben Sie nicht! Ich dachte mir: Vielleicht hat sie recht. Es passt überhaupt nicht zum Rest meines Werks.

SZ: "Der Nebel" lässt an Ionescos "Nashörner" denken. Wie wichtig sind für Sie literarische Einflüsse?

King: Es schmeichelt mir, wenn Sie das Ionesco erinnert, aber den habe ich nie gelesen. Ansonsten bin ich natürlich ein Produkt meiner Lektüre: Poe, Lovecraft, aber am wichtigsten war "I am Legend" von Richard Matheson. Der gerade mal wieder verfilmt wurde.

Darabont: Eines meiner fünf Lieblingsbücher!

SZ: Die Armee spielt in "Der Nebel" eine paradoxe Rolle: Erst sieht es aus, als sei ein militärisches Experiment aus dem Ruder gelaufen - dann aber wendet sich das Blatt.

King: Wir sind alle wie Marionetten. Überall wird mit unglaublich gefährlichen Dingen herumgespielt. Wir haben keinen Einfluss darauf, wissen nicht einmal davon. Gerade habe ich gelesen, dass einige Telefonkonzerne unsere Gesprächen längst abgehört haben, bevor die Regierung es unter dem "Patriot Act" erlaubt hat. Sie hatten die Technologie und sie haben sie benutzt.

Darabont: Wer sagte noch, wir seien nicht paranoid genug? Es stimmt wohl.

King: Aber wenn sie Dich verfolgen bist Du doch nicht paranoid!

Darabont: Und sie verfolgen mich ja!

SZ: Wie entwickelt sich Ihr Schreiben? Werden Sie wütender oder milder?

King: Mein Vokabular hat sich leicht vergrößert. Ich kenne heute 2000 oder 3000 Wörter mehr. Aber im Ernst: Ich bin weniger wütend. Ich bin eben nicht mehr 25 sondern 60. Wie Elvis Costello singt: "I'm not angry, I'm just amused."

Darabont: Stephen wird milder, ich werde immer zorniger. Es gibt noch den sonnigen Optimisten in mir, aber er ist ziemlich zerzaust in letzter Zeit. Es gibt ja eigentlich kein Problem, was wir Menschen nicht gemeinsam lösen können, aber wir scheinen entschlossen zu sein, es nicht zu tun.

SZ: Mr. King, von der neuesten Generation der Horrorfilmer, Leuten wie Eli Roth, Alexandre Aja und Rob Zombie scheinen sie weniger zu halten? So klangen zumindest ihre Äußerungen über das "Spalt Pack"...

King: So habe ich das nicht gesagt. Ich habe mich unheimlich auf das Remake von "Halloween" gefreut. Bei "Hostel II" war ich am ersten Tag zur Stelle, als dieses Baby in die Kinos kam. Aber was mir tatsächlich oft fehlt, ist der Realismus. Es scheint manchmal, als habe man es mit einem winzigen Subgenre zu tun. Ein bisschen so, als sehe man sich ein japanischen No-Drama an: Man weiß immer schon, was passiert. Oft wirken die Filme, als wären sie nicht von Erwachsenen gemacht worden.

SZ: Sie haben nur einmal Regie geführt, bei "Maximum Overdrive". Wollen Sie es noch einmal versuchen?

King: Never say never. Es wäre toll, einmal Regie zu führen, ohne wie damals die Birne voller Koks und Alkohol zu haben. Aber was mich wirklich ärgert, ist, dass ich Frank abgesagt habe, als er mich einlud, in "Der Nebel" den Biker zu spielen.

Darabont: Dir fehlte nur der Bart, den abgefuckten Look hast du ja schon.

King: Hey, pass auf, meine Schrotflinte liegt draußen im Pick-up!

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Quelle:
SZ vom 19./20.1.2008/kur
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