Die Elektrodynamik war von nie gesehener Schönheit. Um 1890 herum galt diese erste Weltformel als "Ende der Physik". Der Münchner Professor Philipp von Jolly riet Heinrich Hertz, Max Planck und Albert Einstein gar vom Studium der Physik ab, da es nichts mehr zu entdecken gebe.
Nun kommt Gott ins Spiel
Aber kaum so gesagt kamen Zweifel auf. Der fehlende Nachweis des Äthers als Träger der Welle, der von Heinrich Hertz beobachtete und mit Wellen nicht zu erklärende foto-elektrische Effekt, und die Lichtgeschwindigkeit, die, egal wie man sich zur Lichtquelle bewegt, immer dieselbe ist, führten innerhalb von wenigen Jahrzehnten zu den Theorien der relativistischen Quantenfelder mit ihrer friedlichen Koexistenz von Welle und Teilchen. Zu ihnen gehört auch das heute gültige Standardmodell aller beobachteten Kräfte. Nach der Weltformel aber sucht man noch immer, was mit der Bühne der Welt zu tun hat: der Raumzeit.
Auch die Raumzeit hatte still und leise den Paradigmenwechsel vom Konstrukt aus starr getrennten Elementen zu größerer Lebendigkeit hinter sich. Betonte Gotthold Ephraim Lessing in "Laokoon oder die Grenzen der Mahlerey und Poesie" Mitte des 18. Jahrhunderts noch, der Maler habe das Räumliche gleichzeitiger Ereignisse festzuhalten und der Dichter die Bewegung der Körper im Zeitlichen, so schrieb der Computerpionier Charles Babbage 1837 über den Schall, dieser treffe auf Atome, speichere dort seine Energie und erstelle dadurch ein Archiv alles jemals Gesagten. Lügen natürlich inklusive. Nun kommt endlich Gott ins Spiel: Der Allmächtige kann dieses Archiv immer lesen und wird jeden Mörder ausfindig machen, vom Ungläubigen ganz zu schweigen. Beinahe unbemerkt ist hier erstmals die Zeit zum Raum geworden, der Raum zum Speicher und Überwinder der Zeit.
Den nächsten Schritt machte der preußische Jurist Felix Eberty, indem er Babbages Überlegung auf das Licht übertrug. Der Mann im Mond sieht nämlich, dass Sie, verehrter Leser, sich vor einer Sekunde an der Stirn gekratzt haben, denn so lange braucht das Licht bis zu ihm. Und jener Kollege auf der fernen Galaxie beobachtet Sie bei dem, was Sie im letzten Jahr oder Jahrzehnt unternahmen. Schlimmer noch: Unterwegs ist jede Einzelheit gespeichert. Gottes Auge kann an diesen Lichtbildarchiven entlangfahren und jeden vergangenen Zeitpunkt aufsuchen. Eberty publizierte "Die Gestirne und die Weltgeschichte" 1846 noch anonym, die kurze Abhandlung hat mit Hawkings neuem Buch seine begnadete Eleganz und den raschen Welterfolg gemein.
1923 erschien eine Auflage mit einem Vorwort von Albert Einstein, die den kritischen Geist lobt und die glückliche Beziehung zur Relativitätstheorie anmerkt. Höchst wahrscheinlich hatte er das Buch schon 1889 in Händen, als die Familie Einstein in München-Schwabing die ersten elektrischen Straßenlampen installierte, wo man künftig vor lauter Licht jenen Nachthimmel nicht mehr sehen konnte, der den Menschen die Gottesfurcht einflößte. Später fiel es Einstein leicht, Raum und Zeit mit der kuriosen Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zusammen zu bringen: Er bog die Koordinaten einfach entsprechend hin.
Edwin Hubbles Beobachtungen der kosmischen Hintergrundstrahlung führten dann auf das heutige Modell des expandierenden Universums, das einmal sehr klein und heiß gewesen muss. Im Urknall freilich, bei unendlicher Dichte hört der Geltungsbereich der aktuellen Theorien auf. Das ist unbefriedigend. Und damit nicht genug: Wenn man sich über die mittlerweile noch schöneren Formeln beugt, um physikalische Aussagen über Teilchen auch lange nach dem Urknall zu machen, fühlt man sich, als stünde man in Unterhose mit rohen Eiern in der Hand auf der Kegelbahn. Viele Tricks sind nötig, um überhaupt etwas näherungsweise ausrechnen zu können, wenn ein Teilchen eine Masse hat. Die Masse ist seit Einstein die Ladung der Gravitation: An allen Ecken fehlt die Quantengravitation.