Stephen Frears: Jury-Präsident in Cannes:Gefährliche Liebschaften

Stephen Frears ist nicht nur "Queen"-Regisseur, sondern derzeit auch Jury-Chef von Cannes mit bewegter Vergangenheit.

Fritz Göttler

So an die 4000 bis 6000 Interviews seien es wohl gewesen, die er in New York und Los Angeles habe geben müssen, erklärte Stephen Frears, als er vor ein paar Jahren für seinen Film "Dirty Pretty Things" Werbung machen musste. Und auf die Nachfrage, wie oft er dabei die gleiche Frage gestellt bekommen habe, sagte er: "4000 bis 6000 Mal." Naja, räumte er dann ein, "es war eigentlich gar nicht so schlimm - ich hatte nur mit einem einzigen echten Idioten zu tun."

Als Filmjournalist kann man ein Lied singen von den Erlebnissen mit Stephen Frears. Verweigerung scheint bei ihm programmiert zu sein. Weshalb so mancher sich genüsslich ausgemalt haben mag, wie der unwirsche Frears das wohl hinbekommen mag auf dem roten Teppich des Filmfestivals in Cannes, das am Mittwochabend beginnt. Dort muss er sehr gute Miene machen zum bösen Spiel der Selbstdarstellung. Es ist sehr selten, dass einer vom britischen Kino der Ehre des Jury-Vorsitzes teilhaftig wird - ein britischer Film ist dagegen im Wettbewerb dieses Jahr nicht vertreten. Die britische Filmindustrie kann zwar regelmäßig amerikanische Großproduktionen bei sich begrüßen - die James Bonds und Harry Potters werden gern in den Londoner Studios gedreht, manchmal sogar von britischen Regisseuren. Aber was das größte Filmfestival der Welt angeht, gehört England zu den Stiefkindern; auch wenn ausgerechnet im vorigen Jahr, völlig überraschend, der britische Beitrag "The Wind That Shook the Barley" von Ken Loach gewonnen hatte, ein Film über den Bruderkrieg in Irland.

Zur A-Klasse der Großfilmregisseure hat Stephen Frears nie gehört, und hat das auch sicher nie gewollt. Er wurde 1941 in Leicester geboren, studierte Jura in Cambridge, machte sich in den Siebzigern im Fernsehen einen Namen und sorgte Mitte der Achtziger mit seinen Filmen "Mein wunderbarer Waschsalon" und "Sammy und Rosie tun es" für Furore. Es waren Geschichten aus den Randzonen Londons, mit Leuten, die sich dem Lauf der Zeit entgegenstellten, Alltagsrevoluzzern aller Couleur: Pakistanis, Schwule, Kleinkriminelle. Dazu kam der skandalbereite Bühnenautor Joe Orton in "Prick Up Your Ears" - mit diesem Film war Frears 1987 im Wettbewerb von Cannes. Nach "Dangerous Liaisons", der wenig zimperlichen Choderlos-de-Laclos-Verfilmung mit Glenn Close und Michelle Pfeiffer, sackte er in den Neunzigern ein wenig ab, drehte in den USA und meldete sich zurück mit dem Nick-Hornby-Stück "High Fidelity" - ein Loblied auf die alten Schallplatten!

All das wird freilich seit einem halben Jahr von einem einzigen Film überstrahlt: "The Queen", für den Hauptdarstellerin Helen Mirren als Elizabeth II. so ziemlich alle Lorbeeren und Statuetten einsammelte, bis hin zum Oscar. Das Schmuddelkind Stephen Frears bringt die britische Monarchie zum Strahlen - durchaus lustvoll. Und watscht dabei alle neben der Monarchin ab, vom täppischen Prinzgemahl bis zum zynischen Jungspund Tony Blair und seinem tölpelhaften Weib. " Damals wollte er allen gefallen", kommentierte Frears das Wesen von Blair. "Nun hat er Freude daran, niemandem zu gefallen." Man sieht, Frears ist sich treu geblieben.

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