Theater:Jetzt knallen alle durch

Theater: "Spiel des Lebens" am Münchner Residenztheater: Max Mayer mit Rentier.

"Spiel des Lebens" am Münchner Residenztheater: Max Mayer mit Rentier.

(Foto: Sandra Then)

Stephan Kimmig gräbt am Münchner Residenztheater Knut Hamsuns "Kareno-Trilogie" aus. Ein Ereignis.

Von Egbert Tholl

Liest man Knut Hamsuns "Kareno-Trilogie", entstanden zwischen 1895 und 1898, in der Druckfassung, erscheint es einem sehr verwunderlich, dass der Autor mehr als 20 Jahre später den Literaturnobelpreis erhielt. Für ein ganz anderes Buch freilich, "Segen der Erde", das jedoch für den Nachruhm des norwegischen Schriftstellers eine kleinere Rolle spielt als "Hunger", Hamsuns früher Ausflug in die bewusstseinsströmende literarische Moderne. Ein wenig von diesem findet man in den Kareno-Stücken wieder, deren herausragendes Merkmal allerdings eine geradezu umfassende theatralische Untauglichkeit ist. Was den Regisseur Stephan Kimmig aber nicht daran hindert, sie am Münchner Residenztheater unter dem Titel "Spiel des Lebens" zu einem ungeheuer dichten Abend zusammenzubauen, in welchem ein fantastisches Ensemble brilliert und am Ende der Zuschauer auf wundervoll schwebende Art zum eigenen Nachdenken aufgefordert wird.

Karenos Text verteufelt Demokratie und Liberalismus und feiert dafür Despotismus

In Teil eins, "An des Reiches Pforten", hadert der Philosoph Ivar Kareno mit seinem Werk, der Welt und allen Menschen. Worum es konkret geht, erfährt auf Seite 95 des Stücks: Um ein nietzscheanisch unterfüttertes Gedankengebräu, das jegliche Form von Demokratie und Liberalismus verteufelt und Despotismus feiert. Das will niemand drucken, und Kareno läuft seine Frau Elina davon. Zehn Jahre später baut Kareno in "Spiel des Lebens" - das Stück gibt Kimmigs Inszenierung den Titel - am Meer einen gläsernen Turm der Erkenntnis, der Unternehmer Otermann findet unter dem Moor Marmor, wird reich und darüber irre, eine Typhusepedemie breitet sich aus, ein Schiff sinkt, Otermanns eigensinnige Tochter Teresita geistert als erotische Verheißung herum und am Ende kracht alles zusammen. In "Abendröte" schließlich, wiederum zehn Jahre später, umgarnt das bürgerliche Lager Kareno, der schwört nach sehr langem Nachdenken seinen rechten Theorien ab und fällt fast einem Attentat seiner ehemaligen Gesinnungsgenossen zum Opfer.

Hamsun trat später massiv für den Nationalsozialismus ein, traf Hitler, wurde nach dem Krieg, inzwischen steinalt, in Norwegen zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Doch Kareno als frühen Stellvertreter für Hamsuns spätere Haltung zu begreifen, griffe zu kurz. Vielmehr, und das arbeitet Kimmig sehr schön heraus, macht sich Hamsun aber beide Seiten lustig, den irren Rechten und das bürgerliche Lager, dem ein Wahlsieg wichtiger ist als Gesinnung.

Die Bühne von Katja Haß ist ein klug multifunktionales Gestänge, das erste Drittel wird auf der Vorderbühne aufgeführt. Max Mayer und Lisa Stiegler spielen mit Präzision Ehekrieg im Hause Kareno, Robert Dölle kommt als listiger Journalist vorbei, Lukas Rüppel zusammen mit Hanna Scheibe als irrlichterndes Paar, ideologisch verfeindet. Öffnet sich der Raum, knallen alle herrlich durch. Mayer wird zum flackernden Ereignis, stakst wie ein Flamingo durchs Seegras, hält keine Sekunde still, Liliane Amuat verkörpert aufs Schönste jene flirrende Verheißung der Teresita, Oliver Stokowski ist ein saukomischer reicher Geizkragen. Am Ende ist Karenos bester Freund ein ausgestopftes Rentier, alles Menschliche scheint ihm Lüge, und Kimmig liefert, wie zuletzt mit der Judith-Herzberg-Trilogie am Residenztheater, abermals eine überlegen souveräne Leistung besten Schauspieltheaters ab.

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