Stefanie Sargnagel:Stefanie Sargnagel sprengt das Internet

INTERVIEW MIT AUTORIN STEFANIE SARGNAGEL

Sie fordert ein radikales Matriarchat, möchte "Linkshippies wegbomben" und findet rechtsradikale Verschwörungstheorien nicht normal: Die Autorin Stefanie Sargnagel

(Foto: picture alliance / GEORG HOCHMUT)

Es geht um Flüchtlinge, Flexitarier und die FPÖ: In ihrem Buch "Statusmeldungen" entlarvt Stefanie Sargnagel die Funktionsweisen der sozialen Medien.

Von Nicolas Freund

Statusmeldungen, das klingt nach Berichten, die U-Boote auf Tauchfahrt im Kalten Krieg an die Oberfläche morsen oder nach Geheimnachrichten, die aus einer belagerten Stadt geschmuggelt werden müssen. Statusmeldungen gibt es heute nur noch bei Facebook und Twitter und meistens geht es dabei um hemmungslose Selbstdarstellung oder Banalitäten.

Die 1986 geborene Autorin Stefanie Sargnagel, die eigentlich Stefanie Sprengnagel heißt oder vielleicht auch ganz anders, gibt bei Facebook regelmäßig Statusmeldungen durch. Das Spektrum reicht von "3.10.2015 Ich will ein Minischwein" bis zu kleinen Reportagen über Flüchtlingshilfe, das Café Weidinger in Wien oder Menschen, die einen beim Kacken stören. Sie hat ein paar Bücher veröffentlicht und 2016 den Publikumspreis beim Bachmann-Vorlesewettbewerb bekommen.

2015 hat sie noch im Callcenter gearbeitet und ihre Kundenkontakte zu kleinen absurden Facebook-Dramen ausgebaut: "Rufnummernauskunft, Stefanie Fröhlich, was kann ich für Sie tun?"

"Ich hab ein Telegramm aufs Handy bekommen, und da steht drinnen 5058."

"Sie haben ein Telegramm aufs Handy bekommen?"

"Ja, heute zum allerersten Mal."

"Erstaunlich."

Diese Statusmeldungen, die jetzt in ein Buch gedruckt wurden, sind eine Mischung aus öffentlichem Tagebuch, bösen Witzen und Do-it-yourself-Journalismus.

"Der Clownworkshop wurde wegen Kolonialismus abgebrochen"

Sargnagel engagierte sich 2015 ziemlich schnell als Schlepperin während der Flüchtlingskrise, ließ das aber bald wieder bleiben. "4.10.2015 Immer dasselbe: Am Anfang bin ich urbegeistert, dann verlier ich das Interesse (Refugees)".

Sargnagel ist ein bisschen besessen von Richard Lugner, sein Einkaufszentrum mit dem so schön mondänen Namen Lugner City ist ihr Lieblingsort in Wien. "25.10.2015 Anfang November is hinduistisches Lichterfest in der Lugner City." Weitere wichtige Koordinaten ihrer Meldungen sind das Chinabuffet, dem sie zwei Gedichte gewidmet hat, und das Café Weidinger, wo man so gut scheißen kann. Im Zug diskutiert sie einmal mit einem Flexitarier (das sind Menschen, die Fleisch und Nicht-Fleisch essen, sich also völlig normal ernähren, aber ein Identitätsproblem haben) und einem Holocaustleugner, der gerade versucht, ein Rentnerpaar von seiner Sache zu überzeugen. "18.8.2016 Der Clownworkshop wurde wegen Kolonialismus abgebrochen." Außerdem macht der Supermarkt an der Ecke zu.

"Es ist kein schönes Leben unter der Fatwa"

Es geht in den Texten um die kleinen und großen Zumutungen des Alltags: Spinner, die im Callcenter anrufen, Teenies, die Frauen auf der Straße hinterherrufen, dass sie sie "ficken" wollen, die FPÖ natürlich, oder dass man ständig irgendwelche Körperfunktionen verwalten muss. Sie erinnert daran, dass auch junge Frauen aufs Klo gehen, dass sie also normale Menschen sind (bis vor Kurzem war das scheinbar Geheimwissen). Sie fordert ein radikales Matriarchat, möchte "Linkshippies wegbomben" und findet rechtsradikale Verschwörungstheorien nicht normal. Dafür hassen sie viele Menschen. Manche Kommentarspalten auf ihrer Facebook-Seite sehen eben aus wie eine Stadt im Belagerungszustand, und es ist entlarvend, mit welcher Energie FPÖ-Anhänger und ältere Männer gegen diese kleinen Provokationen anstürmen. "16.5.2016 Nach den tagelangen Drohungen sehe ich ein: Ich werde nie wieder den Propheten Norbert Hofer beleidigen. Es ist kein schönes Leben unter der Fatwa."

Sargnagel persifliert die künstliche Instagram-Fassade, die vor allem junge Frauen, aber auch viele Männer im Internet pflegen, und ist dabei natürlich selbst eine Kunstfigur, eine Karikatur der Selbstdarstellungssucht junger Erwachsener. Sie macht sich mit ihren Witzen und meist nicht ernst gemeinten Kommentaren leicht angreifbar, und es ist erstaunlich, wie viele Internetpöbler, aber auch Journalisten sofort darauf anspringen. Ihr Grundton ist immer ironisch, und ihr Stil ist perfekt an die Erfordernisse der sozialen Netzwerke angepasst, wo alles funktioniert, was provokant, wütend und witzig ist. Wer etwas sagen möchte, muss es dort auffällig unauffällig im doppelten Boden solcher Statusmeldungen verstecken. Sargnagel macht sichtbar, dass auf Facebook und Twitter vor allem Quatsch Erfolg hat und Inhalte in einer neuen Form transportiert werden müssen, wenn sie gelesen werden wollen.

Überraschenderweise funktioniert das auch in Buchform hervorragend, denn Sargnagel trifft den Ton und das Gefühl einer Generation, die offiziell erwachsen ist und trotzdem noch mit dem Handy Pokémons im Stadtpark jagt. Es ist ernst, aber nicht so ernst. Das Tagebuchartige der Einträge nimmt nebenbei die Ereignisse der letzten zwei Jahre auf. Der Text wird aber nicht zur Chronik, sondern fängt in dem zynischen Humor und der Doppeldeutigkeit auch ein vages Gefühl der Hilf- und Ratlosigkeit ein. Sargnagel gelingt es, die ganze Armseligkeit und eigenwillige Schönheit eines Ortes wie der Lugner City oder die gleichzeitige Faszination und Unsicherheit gegenüber Flüchtlingen in einzelne Sätze und kurze Szenen zu packen. Es gibt derzeit kaum eine "gehypte Jungautorin", die so traurig, aktuell und witzig ist.

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