Stefanie Sargnagel:Boah, eine so von ganz unten und derb lustig dazu

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Zelebriert das gut gelaunte Schlechtgelauntsein: Stefanie Sargnagel. (Foto: dpa)

Die Österreicherin Stefanie Sargnagel ist der neue Liebling der Feuilletons. Und hat ein Problem: Texte gegen das Establishment schreiben sich schlechter, wenn man dazugehört.

Von Alex Rühle

Noch vor zwei Jahren war Stefanie Sargnagel eine Wiener Callcenter-Mitarbeiterin, die sich von Dosenbier und Zigaretten ernährte, in grindigen Kneipen unterwegs war und ihre Gedanken auf Facebook festhielt. Jetzt hat sie die Bachmann-Tage in Klagenfurt eröffnet. Darüber, ob das nun Glück oder Pech für sie war, wird viel orakelt werden in den nächsten Tagen. Vielleicht ist es weder noch, sondern einfach nur wurscht, weil sie sich ja immer noch von Dosenbier und Zigaretten ernährt und weil sie diese Lesung wahrscheinlich auch nicht als Glück oder Pech, sondern nur als bizarren Ausflug in die Welt der Hochkultur verbucht.

Vielleicht lügt sie sich damit aber auch in die eigene Tasche, schließlich lecken sich die Feuilletons längst die Finger nach ihr, boah, eine so von ganz unten und derb lustig dazu. Eine, die scharfe Texte liefert aus gleich zwei fremden Welten, einmal aus dem Soziotop der Wiener Beisel, in denen die Abgehängten und Untergeher rumhocken. Und dann noch aus dem Callcenter, dieser absurden Welt des unterbezahlten Dienstleistungssektors. Weshalb sie plötzlich als "Stimme einer Generation" und "lustigste Depressive des Landes" gilt.

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Auch solche Zuschreibungen können ihr egal sein. Gefährlicher ist, dass jetzt alle Texte von ihr wollen, weshalb sie kaum noch zu ihrer Lieblingsbeschäftigung kommt, dem zweckfreien Amorpheln und gut gelaunten Schlechtgelauntsein. Gleichzeitig wird es schwierig mit den Texten aus dem Anti-Establishment, weil sie ja mittlerweile selbst "die Sargnagel" ist.

Damals war sie Zaun-, jetzt ist sie Stargast

Schon letztes Jahr merkte sie, als sie für den "Zündfunk" in Klagenfurt war, als Reporterin, dass sie sich irgendwie zu ihrer Bekanntheit verhalten muss. Sie schrieb damals über die Autoren-Stars: "Ihr Blick geht immer leicht über die andern Menschen hinweg, da sie wissen, dass Augenkontakt als Einladung wahrgenommen wird, die bekannte Person anzusprechen. Der Blick versucht darüber hinwegzutäuschen, dass man in Wirklichkeit aus dem Augenwinkel darauf achtet, ob die Leute einen erkennen. Ich kenne den Blick und die Körperhaltung mittlerweile von mir selbst, wenn es mir auffällt, versuche ich es abzustellen, was alles noch schlimmer macht."

Diesmal ist sie nicht Zaun-, sondern Stargast. Und erste Leserin. Und fängt ihren Text am Donnerstagmorgen damit an, dass sie ja jetzt dauernd entsetzlich sinnlose Broterwerbstexte schreiben müsse und dann auch noch dieses Klagenfurt, weil "ich bin ja jetzt Autorin und mit jedem Tag wird mein Poesievögelchen schwächer. Es schluckt die Münzen gierig, bis es nicht mehr fliegen kann, weil sie so schwer sind, und so landet es Flügelschlag für Flügelschlag auf dem Boden der Realität, auf dem es keine Phantasie gibt, nur Energydrinks und Umsatzsteuern."

Abgesehen davon, dass es nicht wirklich der Kracher ist, nach hundert Jahren selbstreflexivem Klagenfurt in Klagenfurt mit einer Klage über Klagenfurter Schreibblockaden anzufangen, wäre es jammerschade, wenn Sargnagel jetzt Betriebsschriftstellerin wird. Weil sie als Bloggerin und En-passant-Autorin tatsächlich eine sehr eigene Stimme hat. Für alle, die ihr nicht ohnehin im Netz folgen, hat der Berliner Mikrotext-Verlag ein Best-of ihrer Postings zu einem hosentaschenkompatiblen Büchlein zusammengeheftet, bei dem schon der Titel den Grundton vorgibt: "In der Zukunft sind wir alle tot".

Der erste Teil sind Aufzeichnungen aus der Callcenterzeit. Absurde Gespräche mit Anrufern wechseln sich mit Miniaturen aus ihrem extrem unaufregenden Alltag ab: Es geht um ihr freiwillig prekäres Leben ("Arbeit eh, wozu das Ganze?"), Liebeserklärungen ans Trashfernsehen, einen ungesunden, der allgemeinen Fitnesskultur diametral entgegenstehenden Lebensstil ("Joggen ist so geschmacklos") und heftige Abstürze, die aber nie auf Kosten ihrer aphoristischen Schärfe gehen, ja sie kann ein ganzes Soziotop in einem Witz zusammenfassen: "Hören die Ethnologiestudenten in Gambia Hansi Hinterseer auf ihren Parties?"

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Ein großer Spaß wäre es, sie einmal mit Houellebecq zusammenzubringen, der trinkt und raucht ähnlich gern, und hat sich ähnlich wohlig eingerichtet in hässlichen Randzonen unserer Hedonismuskultur und der totalen Sinnlosigkeit des Daseins, weil sinnlos okay, aber kann ja trotzdem unterhaltsam sein.

Ihren untrüglichen Lebenslügendetektor richtet sie am liebsten gegen sich selber

Noch besser als die Callcenter-Postings sind dann aber die "Refugee McMoments", der zweite Teil des Büchleins, in dem sie die Wochen im Sommer 2015 mitstenografiert, als die Flüchtlinge plötzlich in Ungarn nicht mehr weiterkommen und sie zur Schleuserin, Packerin, Aktivistin wird, sich selbst vor lauter Engagement kaum wiedererkennt, aber genau weiß, es geht gar nicht anders. (Übrigens kann man an dieser Stelle ruhig mal dazusagen, dass Sargnagel eine der mutigsten Stimmen in Österreich ist, sie legt sich immer wieder mit den Identitären an, gründete mit anderen Feministinnen die "Burschenschaft Hysteria" und - ach, lassen wir sie lieber selbst zu Wort kommen: "Was mir am meisten Freude bereitet: mit Witzen den Leuten die Wahrheit ins Gesicht zu scheißen.") Dieses Engagement wird dann aber nie überhöht. Im Gegenteil, ihren untrüglichen Lebenslügendetektor richtet sie am liebsten gegen sich selber: Als sie eines Nachts von einer Demo heimkommt und einen Mann im Hinterhof rassistisches Zeug grölen hört, schreibt sie, der Mann ruiniere "mein ganzes Demo-Pathos".

Da all die Postings meist wie szenische Polaroids funktionieren und auf eine Schlusspointe hinformuliert sind, liest man das Büchlein am besten etappenweise, so wie eine Aphorismensammlung. Und hofft dabei leise, dass der Ausflug nach Klagenfurt nebst Erstellung eines Langtextes eine einmalige Pflichtübung bleibt und Sargnagel danach genau so weitermacht wie bisher, einfach ins Internet schreiben, zwischendurch die Synapsen mit Bier schmieren und das eigene Leben leben. Statt es den Juroren plötzlich novellenkompatibel zu apportieren.

© SZ vom 01.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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