Süddeutsche Zeitung

Solo am Berliner Ensemble:Wut tut gut

Die Vollkaracho-Schauspielerin Stefanie Reinsperger spielt am Berliner Ensemble ganz alleine "Phaidras Liebe" von Sarah Kane.

Von Peter Laudenbach

Stefanie Reinsperger ist ein wütender Mensch. Und eine spielwütige Ausnahmeschauspielerin. Gerade erst hat die 34-jährige Österreicherin ein Buch mit dem Titel "Ganz schön wütend" veröffentlicht, in dem sie von ihren Erfahrungen im Beruf erzählt und sich mit Anfeindungen wegen ihres Aussehens auseinandersetzt. Weil Reinsperger zwar groß und blond, aber nicht gertenschlank ist. Als die Österreicherin am Wochenende in Wien mit dem "Romy"-Fernsehpreis ausgezeichnet wurde (als beliebteste Serienschauspielerin in der Reihe "Landkrimi"), machte sie ihrer Wut auf stereotype Besetzungen von Frauenrollen Luft. "Es ist noch immer so, dass Frauen wie ich noch nicht genug sichtbar sind in Film und Fernsehen", sagte sie in einer Videobotschaft. "Schreibt die Rollen, schreibt uns diese Geschichten!"

Am Berliner Ensemble, wohin sie 2017 aus Wien gewechselt ist, hat Reinsperger dieses Problem nicht. Da ist die Vollkaracho-Schauspielerin ein Star im Ensemble und spielt große Rollen. Oder trägt gleich ganz alleine einen Abend, so wie nun Sarah Kanes "Phaidras Liebe", inszeniert von Robert Borgmann. In dem Frühwerk der britischen Verzweiflungsdramatikerin aus dem Jahr 1996 geht es um kaputte Sexualität als nicht besonders raffinierte Metapher menschlicher Verkommenheit und Seelennot, es ist nicht unbedingt Kanes stärkster Text. Borgmann, ein Regisseur düsterer Atmosphären, nutzt diese Horror-Sex-Comic-Variante des antiken Stoffes für eine Bilderrätsel-Installation, für die er auch die Bühne und Kostüme entworfen hat, während die Musikerin Nazanin Noori das Ambient-Rauschen, Wummern und Knistern der Sounduntermalung live beisteuert.

Reinsperger wirft sich ohne Handbremse und Sicherheitsnetz in die Schlacht

Weil es nicht um die Nacherzählung des Plots, sondern um einen Seelenhöllentrip geht, spielt Stefanie Reinsperger beide Zentralfiguren als Solo: die mit selbstzerstörerischem Verlangen in ihren Stiefsohn verliebte Königin Phaidra und den vom Leben, vom ewigen freudlosen Sex und völlig zu Recht von sich selbst angewiderten Stiefsohn Hippolytos. Zweimal jagt sich Reinsperger durch die entscheidende Begegnung, kein Dialog sondern ein reißender Fluss der Erinnerung, einmal in der Wahrnehmung von Hippolytos, einmal als Bewusstseinsstrom Phaidras: die vorsichtige Annäherung, das verzweifelte Begehren, die Demütigung Phaidras, der Selbstgenuss Hippolytos in der mürrischen Zurückweisung, der lustlose Oralverkehr, die ganze Kaputtheit, wenn schlechter Sex die innere Leere und restlose Einsamkeit höchstens kurz betäubt, aber nicht für einen Moment heilen kann.

Reinsperger ist grandios, wirft sich ohne Handbremse und Sicherheitsnetz in die Schlacht. Sie schießt sich runter in die Existenzabgründe Phaidras, in deren Verlangen es natürlich nicht um Sex, sondern um Verzweiflung, um eine unheilbare Sehnsucht nach Erlösung geht. Sie katapultiert sich in das Ego-Selbsthass-Fegefeuer des Rich Kids Hippolytos, der vor dem Fernseher immer fetter und widerlicher und jämmerlicher wird und die Menschen dafür verachtet, dass sie ihn begehren, aber vielleicht auch nur dafür, dass sie Menschen sind. Im Hippolytos-Part ist Reinspergers Monolog ein wütender Hassgesang, als Phaidra wechselt sie in ein einziges, hellsichtiges Schmerzdelirium, die Bankrotterklärung des verstörten und zerstörten Lebens. So weit, so intensiv, aber auch so Retro-Exzesstheater aus harmloseren Zeiten. Die albernen Bühnen-Gimmicks, ein riesiger Gummiball mit Emoji-Grinsen, drei große Kegel, Lichteffekte wie in der Technodorfdisco und gemächlich rieselnder Ascheregen, sorgen für eher harmlos sinnfreie Bilder - die gefällige Dekoration der Kaputtheits-Demonstration.

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