Hörbuch "Die schöne Müllerin":Ach, die Liebe!

Hörbuch "Die schöne Müllerin": Stefan Weiller hat eine intelligente Adaption von Schubert "Die schöne Müllerin" geschaffen.

Stefan Weiller hat eine intelligente Adaption von Schubert "Die schöne Müllerin" geschaffen.

(Foto: Speak Low)

Stefan Weiller erzählt in seiner freien Adaption von Franz Schuberts Liedzyklus "Die schöne Müllerin" von Obdachlosen, Suchtkranken, Gewaltopfern und Stalkern.

Von Harald Eggebrecht

Das sei vorausgeschickt: Der Künstler Stefan Weiller hat es sich nicht leicht gemacht, denn er hat von Beginn an zwar einen durchgehend melancholischen Erzählton angeschlagen in seinem vierzehnteiligen Stationendrama "Die schöne Müllerin", aber der Gefahr, in rührseligem Kitsch zu landen oder sich in sentimentaler Weinerlichkeit zu suhlen, ist er glücklicherweise entkommen. Vor der Kitschhavarie bewahren ihn auch die fabelhaften Sprecher Birgitta Assheuer, Dagmar Manzel und Jens Harzer, alle drei Schauspieler höchster Qualität. Dass diese Wanderung durch die Schattenseiten des Lebens auch musikalisch ziemlich gelungen ist, liegt am Pianisten Hedayet Djeddikar, der Franz Schuberts Musik nicht zur Effektverdopplung oder angestrengter Dramatisierung benutzt, sondern mit ihr mal eine diskrete Kommentierung betreibt oder sie verfremdend spielt, manchmal monoton wiederholt, manchmal pointiert verschrägt, jedenfalls immer intelligent und auch respektvoll mit ihr umgeht, übrigens pianistisch untadelig.

Franz Schuberts "Die schöne Müllerin", basierend auf Gedichten Wilhelm Müllers, schildert die im Suizid endende, unglückliche, weil einseitige Liebesgeschichte eines jungen Müllerburschen zur Müllerin in 20 Liedern. Weiller erzählt in vierzehn Episoden von Obdachlosen, Suchtkranken, Gewalterleidenden, Stalkern und anderen sozial Benachteiligten. Er lässt sie selbst sprechen, aber man merkt sofort, dass das kein O-Ton-Hörspiel wird, sondern dass diese Texte aus Recherchen destilliert, konzentriert und so bearbeitet wurden, dass eine raffinierte Einfachheit und in den besten Momenten eine überzeugende Dichte entsteht. Es sind keine angenehmen, gar schönen Lebens- und Leidensbeichten, sondern bittere, schreckliche und auch abstoßende Bekenntnisse der Verlorenen und an den Rand Gedrängten. In seiner bereits als Hörbuch erschienen Adaption von Schuberts "Winterreise" hat Weiller jene unter den Mühseligen und Beladenen aufgesucht, die dem Tod ins Auge schauen müssen.

Hörbuch "Die schöne Müllerin": Franz Schubert, Wilhelm Müller, Stefan Weiller: Die schöne Müllerin. 2 CDs, 107 Minuten. Speak low, Berlin 2022, 18 Euro.

Franz Schubert, Wilhelm Müller, Stefan Weiller: Die schöne Müllerin. 2 CDs, 107 Minuten. Speak low, Berlin 2022, 18 Euro.

(Foto: Stefan Weiller)

"Dabei wurde mir bewusst, wie häufig es unerfüllte oder gescheiterte Liebesbeziehungen sind, die ein Leben aus der Bahn werfen können", schreibt Weiller im CD-Booklet. So wurde Schuberts "Schöne Müllerin" gewissermaßen zur Vorbildgeschichte, die er geschickt in die Berichte der Randexistenzen einflicht und womit er deren Schicksal mit dem des unglücklichen Müllerburschen verschlingt. Man muss dieses Hörbuch nicht auf einen Sitz hören, weil es dann doch etwas monochrom wird, die Spannung nachlässt und eine geradezu anheimelnde und ermüdende Gewöhnung eintritt. Aber wohldosiert kann Stefan Weillers Schubert/Müller-Paraphrase durchaus fesseln.

Dennoch wächst während der Dauer der ganzen Produktion unweigerlich der Wunsch, doch dem originalen Liederzyklus von Schubert nach Texten von Wilhelm Müller zu begegnen, ohne wie auch immer gut gemeinte und ambitioniert in Szene gesetzte Parallelisierungen. Denn in den zwanzig Liedern sind in der Geschichte einer einzigen Seele alle Gefühlsschwankungen von glühender Euphorie bis zu abgründigem Sinnieren, von hoffnungsfrohem Gutglauben bis zu wütender Hilflosigkeit, von Selbstzweifeln bis zur Trostlosigkeit und Todeswunsch so knapp wie umfassend zu erleben - uneinholbar.

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