Stefan Raabs "TV total":Da brüllt der Teutone

Das geistreiche Bonmot ist seine Sache nicht. Doch nach dem Abgang von Harald Schmidt hält nun Stefan Raab das Monopol auf Spaß - und dabei setzt er auf die Mittel der Popmusik.

CHRISTIAN KORTMANN

Sportlich geht es allabendlich los. Stefan Raab rutscht auf dem Geländer die Showtreppe hinab. Dazu schmettert die Band die Erkennungsmelodie von TV total und ein Gast aus dem Studiopublikum deklamiert die Ankündigung. Das alles ist gut aufeinander abgestimmt, ja, choreografiert: ein Auftritt mit Verve.

Stefan Raabs "TV total": Wenn die Sendung erwachsener wird, und wir das intellektuellere Schmidt-Publikum erreichen, ist das durchaus im Sinne des Erfinders.

Wenn die Sendung erwachsener wird, und wir das intellektuellere Schmidt-Publikum erreichen, ist das durchaus im Sinne des Erfinders.

(Foto: Foto: Pro Sieben)

In seinen Anfängen war Raab der Entertainer der Jungen, der von den Alten als niveauloser, menschenverachtender Ex-Metzger geschmäht wurde. Jetzt ist er selbst nicht mehr ganz jung, der 37-Jährige wird bald Vater und hat an Pöbeleien und purem Chaos die Lust verloren. Durch den vorläufigen Abtritt von Harald Schmidt ist Stefan Raab nun alleiniger Late-Night-Unterhalter - bis auf weiteres ein Monopolist des Schmähs. Nun trägt er sogar Jacketts, als wolle er heimatlosen Schmidt-Fans Asyl bieten.

"Wir bemühen uns um ein tagesaktuelles Resümee", sagt Jörg Grabosch, Geschäftsführer der TV total-Produktionsfirma Brainpool: "Wenn die Sendung erwachsener wird, und wir das intellektuellere Schmidt-Publikum erreichen, ist das durchaus im Sinne des Erfinders." Ohnehin hätten 30 Prozent der Zuschauer von Raab (Pro Sieben) auch bei Harald Schmidt (Sat 1) eingeschaltet. Nach Ostern macht sich Graboschs TV-Firma sozusagen selbst Konkurrenz, denn dann schiebt sie Anke Engelke mit ihrer täglichen Late-Night-Show an, die Schmidts Improvisationstheater ersetzen soll. Einen Interessenskonflikt sieht Grabosch nicht: "Lieber als uns von Beckmann oder Kerner Konkurrenz machen zu lassen, machen wir das selbst!"

Stefan Raab und seine Komik sind reifer geworden. Im Jahr 2003 lockte er im Schnitt 1,56 Millionen Zuschauer, und schaffte bei den 14- bis 49-Jährigen 14,1 Prozent Marktanteil; zeitweise waren die Quoten arg abgerutscht, doch sind sie immer noch etwas besser als die Gesamtwerte seines Senders Pro Sieben. So wurde der Vertrag von Raab, der früher von privaten Weltumsegelungen geträumt hatte, bis Ende 2005 verlängert. Sein Humor ist nicht intellektuell, aber auch nicht primitiv. Er ist sportlich. Auch wenn der Mann, der von Lisa Loch und anderen bei TV total verulkten Personen schon verklagt wurde, milder geworden ist, der Vernichtungsreflex springt noch an - bei solchen Fernseh-Geschmacklosigkeiten wie dem Bachelor und der Dschungel-Show von RTL.

Das geistreiche Bonmot ist Raabs Stärke nicht - wenn seine Witze zünden, waren sie gut vorbereitet. Dafür weiß Spaßmacher Raab, was er kann, und konzentriert sich neuerdings darauf: Wie ein wortkarger Bluesmusiker, der zur Gitarre greift, um der Liebsten seine Gefühle mitzuteilen, nutzt er die Popmusik. Stefan Raab ist der Minnesänger des deutschen Humors. Am vergangenen Donnerstag, inmitten der ersten Schmidt-freien Woche, sang er Elvis ein Geburtstagsständchen: Bewusst laienhaft kostümiert, ließ er Are you lonesome tonight? in Carpendales Hello again übergehen.

"Ich möchte Ihnen nun etwas zeigen, meine Damen und Herren . . .", lautet Raabs Standardsatz zum Showbeginn. Die Leinwand, auf der er Fundstücke aus dem Fernsehleben präsentiert, ist sein Sidekick, eine unerschöpfliche Quelle für Komik. Aus dem Ozean des verbalen TV-Geblubbers steigen Versprecher auf: "Ist Spanien ein Sport für Kombinierer?" und "British Airways musste zwei Flüge zwischen Weihnachten und London streichen" lauteten die schönsten Fernsehfrüchte der vergangenen Woche. Am Rand von Raabs Schreibtisch befindet sich eine Klaviatur, über deren Tasten er kommentierende TV-Schnipsel einspielt - die Fernsehrealität als Instrument. Die Symptome des Wahnsinns, bis hin zu Daniel Küblböcks "Mutproben" mit 30 000 Kakerlaken, sind seine Tonleiter.

Als Gäste bevorzugt Raab Sportler: Susi Erdmann und Ronny Ackermann stellte er keine Sportreporterfragen, sondern die des interessierten Amateurs, der sich gerne auch mal in Nordischer Kombination und Bobfahren versuchen will. Ja, Erdmanns Nacktfotos im Playboy kümmerten Raab nicht besonders - statt dessen wollte er sie zur Teilnahme an der nächsten Wok-WM überreden, seinem wahren Fetisch! Er betreibt das Fortbewegen mit Wok-Pfannen wie ein ernstes Spiel und testet damit olympische Eiskanäle. Raab hat auch öffentlich geboxt, gerungen und eine Skisprungschanze erprobt.

"Wer Stefan Raab kennt, der weiß: Bei Musik hört der Spaß auf", sagte am Freitag Gastmoderatorin Annette Frier. Zwangsläufig veranstaltet Raab nun seine eigene Castingshow. "SSDSGPS" heißt das Unterfangen bei Pro Sieben - "Stefan sucht den Super-Grand-Prix-Star". Der Sieger darf an der nationalen Vorausscheidung zum Eurovision Song Contest teilnehmen, jenem Grand Prix, dem Stefan Raab im Jahr 2000 schon mit dem eigenen Hit Wadde hadde dudde da diente. Jetzt staunte er, dass "wir hier bessere Kandidaten als bei all den anderen 20 Castingshows zusammen haben".

TV total stellt den Anspruch, die Fernsehwelt im Ganzen zu erfassen - und erhebt sich so mit "SSDSGPS" über andere Castingshows. Das Verfahren hat nichts Formatiertes und Pathologisches, anders als bei der RTL-Bohlen-Variante. Dabei wirkt die Jury, die neben Raab aus Joy Fleming und Thomas Anders besteht, auf den ersten Blick wie ein Witz. Doch am Freitag leistete das Trio gute Arbeit. Joy Fleming fand alle Interpreten "super" aussehend und relativierte selbstironisch: "Na gut, ich sehe scheiße aus." Es war gelungenes Entertainment.

Dagegen wirken andere Sende-Elemente - wie die selten komischen Filmchen mit gespielten Witzen - als Relikt der Humorepoche um 1999, als die Show startete. Dort muss man auch Raabs Juniorpartner Elton ansiedeln, von dem sich der Meister ebenso abkoppelt wie von seinem alten grobschlächtigen Ich. Stefan Raab hat noch seine Chance, eine eigene Form der Unterhaltung zu entwickeln. Auch ein Wok-Weltmeister hat eine Agenda 2010.

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