Fotograf Gordon Welters:"Ich habe kein einziges Lieblingsbild"

Eine eigene Identität bedarf eines eigenen Weges: Fotograf Gordon Welters empfindet den Umgang mit Vorbildern schwierig. Er will den Stil erfolgreicher Kollegen weder bewusst noch unbewusst übernehmen. Im "Süddeutsche.de"-Fotografensteckbrief verrät er dennoch die Namen von Kollegen, die ihn beeindruckt haben.

Auf den Monitoren der SZ-Bildredaktion erscheinen tagtäglich und nahezu in Echtzeit abertausende Bilder von professionellen Agenturfotografen aus der ganzen Welt. Sie werden von uns, den Bildredakteuren, laufend gesichtet. Ein großer Teil dieses Bildmaterials sind Brot-und-Butter-Bilder, die das politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Tagesgeschäft nachrichtlich begleiten. Unser besonderes Augenmerk und Interesse gilt darüber hinaus den abgeschlossenen Fotoreportagen aus dem In-und Ausland, die in regelmäßigen Abständen von den großen Nachrichten- und Bildagenturen geschickt werden, und die uns immer wieder Menschen in faszinierenden Geschichten, kuriosen Begebenheiten, exotischen Ländern nahebringen. Wir, die Bildredakteure der SZ, wollen Ihnen eine Auswahl der Fotojournalisten, die diese fantastische Arbeit machen, in unserer Steckbrief-Reihe auf dem Bilderblog von Süddeutsche.de vorstellen. Die Fotografen beantworten hierzu einen standardisierten Fragebogen und zeigen eine von ihnen selbst vorgenommene Auswahl ihrer Arbeit.

Den Anfang macht Gordon Welters aus Berlin. Er studierte am London College of Communication und ist seit 1998 freiberuflicher Fotograf. Zu seinen Auftraggebern zählen viele der wichtigsten deutschsprachigen und internationalen Zeitungen und Magazine, seit 2006 wird er von der renommierten Fotografenagentur Laif repräsentiert. (www.gordonwelters.com)

Erzählen Sie uns die Geschichte zu Ihrem Lieblingsbild, was macht die Aufnahme so besonders?

Tatsache ist, dass ich kein einzelnes Lieblingsbild habe. Bei vielen meiner Jobs geht es vor allem um Straßenfotografie. Dabei ist es wichtig, aktuelle Themen in Fotos zu übersetzen. Klar sind da auch Aufnahmen dabei, die ich selbst sehr gelungen finde. Aber ob sie ohne den jeweiligen Kontext überleben und dann immer noch stark sind, das sehe ich sehr kritisch. Es gibt aber durchaus Fotografien, die im Laufe der Zeit nichts von ihrer Wirkung eingebüßt haben. Vielleicht liegt darin das Geheimnis von Lieblingsbildern - sie überdauern. Das bedeutet aber zugleich, dass es DAS Bild für mich nicht geben kann. Zu meinen Lieblingsfotografien gehören zum Beispiel auch viele Bilder, die ich zwar gesehen habe, aber aus irgendwelchen Gründen - zum Beispiel durch Langsamkeit, Verbote oder aus Respekt und Schutz für die Protagonisten - nicht festhalten konnte. Doch sie sind noch immer in meinem Kopf.

Wann und wie sind Sie zur Fotografie gestoßen?

Mit 20 habe ich meine erste Kamera gekauft. Ich hatte die Idee mein eigenes Leben zu dokumentieren - die Orte an die ich reiste und die Menschen, die ich dort traf. Heute sehe ich es als Auseinandersetzung mit meiner eigenen Identität.

Doch die Anschaffung neuer Teile für die Fotoausrüstung und auch die Kosten für die Entwicklung der Bilder in der Dunkelkammer wurden mir auf Dauer schlichtweg zu teuer. Also suchte ich mir Fotojobs, anfangs bei kleinen Lokalzeitungen, weil ich wollte, dass sich mein Hobby finanziell von allein trägt. Und tatsächlich ist die Rechnung gut aufgegangen.

Haben Sie Vorbilder?

Vorbilder zu haben, finde ich grundsätzlich okay. Gleichzeitig finde ich den Umgang mit ihnen oft schwierig. Denn häufig werden Stile erfolgreicher Fotografen von Anderen bewusst oder auch unbewusst übernommen. Das versuche ich zu vermeiden. Aber natürlich gibt es Fotografen, deren Arbeiten ich sehr spannend finde und die mich beeinflussen. Die Komplexität auf den Bildern von Alex Webb mag ich zum Beispiel sehr, ebenso die Vielseitigkeit mit der sich Paolo Pellegrin seinen Projekten nähert. Ich schätze Eugene Richards Arbeiten, wegen der unglaublichen Nähe und dem Feingefühl, mit denen er seinen Protagonisten begegnet. Anders Petersen inspiriert mich, weil seine Persönlichkeit stark und dennoch unaufdringlich jedes seiner Bilder vervollständigt. Und Homer Sykes mag ich wegen dessen Fähigkeit, den Alltag mit einem Augenzwinkern abzubilden.

Canon oder Nikon?

Ehrlich gesagt, langweilen mich Diskussionen über technische Aspekte der Kameraausrüstung. Ich denke einfach nicht darüber nach. So war es wohl auch eher zufällig, dass meine erste Kamera eine Canon war. Und dabei bin ich dann geblieben.

Das ikonographische Bild (des Jahrhunderts)?

Schwierige Frage! DAS Bild gibt es für mich nicht. Denn die Auswahl der in Frage kommenden Bilder ist riesig und zudem enorm vielschichtig. Und selbst wenn ich mich nur auf den Bereich Fotojournalismus beschränke und spontan entscheide, muss ich mehrere benennen:

[] Robert Capa - Der fallende Kämpfer aus dem spanischen Bürgerkrieg, 1936

[] Marc Ribound - Eine Frau mit Blume vor Gewehr Bajonetten auf einer Anti-Vietnam-Demo in Washington D.C., 1967

[] Elliot Erwitt - "Segregated Water Fountains" in North Carolina, 1950

[] Alberto Corda - Che Guevara - Guerrillero Heroico, 1960

[] Stuart Franklin - Tank Man, 1989

[] Eddie Adams - Hinrichtung in Saigon, 1968

[] Nick Út - Napalm-Mädchen von Trang Bang, 1972

[] James Nachtwey - Rwanda, 1994

[] Kevin Charter - Der Geier und das kleine Mädchen im Sudan, 1993

[] Henri Cartier Bresson - "Stool-pigeon, Dessau," 1945

Zoom oder Festbrennweite?

Ich denke, die Entscheidung für Zoom- oder Festbrennweite ist abhängig vom jeweiligen Termin. Ich selbst arbeite hauptsächlich mit Festbrennweiten.

Bei welchem Ereignis wären Sie als Fotograf gerne dabei gewesen?

Der Fall der Berliner Mauer war ein wichtiges Kapitel meiner eigenen Lebensgeschichte. Ich bin in der DDR aufgewachsen und an diesem Punkt, 1989, konnte ich zum ersten Mal bewusst miterleben, wie sich politische Entscheidungen direkt auf mein eigenes Leben auswirken und es entscheidend beeinflussen können. Eine spannende Zeit! Gern hätte ich den Alltag der Menschen in der DDR, den Zusammenbruch des Regimes 1989 und die Phase des Übergangs dokumentiert.

Ihr Tipp für junge, zukünftige Fotojournalisten?

Ich denke, die permanente Auseinandersetzung mit Fotografie und die kritische Reflexion der eigenen Arbeit können sehr hilfreich sein. Einfach mal über den Tellerrand hinausschauen und zum Beispiel Gemäldegalerien in Museen besuchen, die Ausstellungen und Fotobücher anderer Fotografinnen und Fotografen anschauen oder auch Gespräche mit etablierten Fotojournalisten suchen - all diese Dinge schärfen den eigenen Blick und bringen neue Impulse. Am wichtigsten und vielleicht am schwierigsten jedoch finde ich die Arbeit an der eigenen Persönlichkeit. Denn diese spiegelt sich in jedem Bild deutlich wider und entscheidet oft über die Wirkung, die von ihm ausgeht.

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