"Staub auf unseren Herzen" im Kino:Mit 30 in die Pubertät

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Wer macht sich mehr zum Clown, wenn die dominante Mutter (Susanne Lothar) auch noch die Wandfarbe für ihre Tochter (Stephanie Stremler) aussucht? (Foto: dpa)

Kathi wird von ihrer Mutter ständig drangsaliert und muss einen Weg finden, sich zu emanzipieren. Hanna Doose hat einen bestechenden Film über eine junge Schauspielerin erschaffen, die nach der passenden Rolle sucht - vor der Kamera und im Leben.

Von Philipp Stadelmaier

Kathi (Stephanie Stremler) ist dreißig, Single und versucht sich in der Schauspielerei. Sie wohnt in Berlin, der Stadt, in der sich solche Zustände noch länger hinziehen können als eine Flughafeneröffnung. Sie gehört zu denen, für die es langsam mal in jeder Hinsicht "an der Zeit" wäre. Aber der Regisseur, mit dem Kathi in der Abendsonne Bier trinkt, hat seine Zweifel, ob die Rolle, für die sie vorgesprochen hat, wirklich die richtige ist. Aufmunternd fummelt er ein bisschen an ihr herum - während ihr noch die klassische Rolle der Verführerin, die jemanden für eine Rolle in einem Film verführt, gründlich misslingt.

Später dann ein anderes Vorsprechen. Die Probeszene ist aus Godards "Verachtung". Was könnte weiter von ihr entfernt sein als Brigitte Bardot? Als ihr die behornbrillte Regisseurin ihren Spielpartner - Typ Unterwäschemodell - auf den Leib hetzt und sie mit ganz ausgesucht intelligenten Anweisungen traktiert ("Sag ihm: du liebst ihn und lieb' ihn nicht mehr dabei!"), wird Kathi ganz schwindlig.

Kathi findet ihre Rolle nicht

Man könnte sagen, dass Kathi nicht in ihre Rolle findet, nicht vor der Kamera und nicht im Leben. Wie auch, bei dieser Psychologinnen-Mutter, die Susanne Lothar in einer ihrer letzten Rollen als leicht irreale Agentin einer sehr mütterlichen Unruhe spielt und deren Verletzlichkeit nur von ihrer Dominanz übertroffen wird? Wie auch, bei diesem Rabenvater, gespielt von Michael Kind, einer sächselnden, viril-behaglichen Mischform aus Gérard Depardieu und Mario Adorf, einem alternden Sänger und Lebemann, der nach Jahren der Abwesenheit nun wieder vor der Tür steht?

Hanna Dooses "Staub auf unseren Herzen" hat zwar ein bisschen etwas von dieser autobiografisch eingefärbten Auseinandersetzung mit der eigenen Identität, die Hochschulabschlussfilmen wie diesem eine "persönliche Note" verleihen sollen. Ihr Porträt der traumatisierten Frau von dreißig Jahren ist aber gerade deswegen so intelligent und komisch, weil es hier gar nicht um die Auseinandersetzung mit einer eigenen Identität gehen kann. Denn um selbst den Anflug einer solchen auch nur minimal aufrechterhalten zu können - dazu scheint Kathi zunächst gar nicht erst in der Lage zu sein.

Rebellion in Lederjacke

Gegenüber ihrer Übermutter protestiert sie unentschieden und halblaut, wenn diese die Wände der Wohnung, die sie für Kathi und ihren kleinen Sohn gekauft hat, nach ihrem eigenen Gusto streicht, oder wenn sie ihren Enkel bei sich behalten will, nachdem ihn Kathi im Marktrummel verloren hatte. Sie verstellt sich zwar oft ihr gegenüber, gesteht sie ihr einmal - habe dazu aber gleichzeitig nicht das geringste Talent. Kathi kann nie sie selbst sein, aber auch nicht eine andere - sie kann sich noch nicht einmal verstellen.

Dadurch, dass Doose in ihrem Drehbuch auf jede sadistische Tour de Force des Drehbuchs verzichtet (selbst das Verschwinden des kleinen Jungen wird hier nicht ausgeschlachtet) und die Dialoge am Set frei improvisieren ließ, bekommt der Film die Spontaneität und das Probenhafte eines einzigen großen Vorsprechens, bei dem Kathi verzweifelt einen Ausdruck sucht und sich ständig beweisen muss.

Sie spricht langsam, hängend, kämpft mit ihrem Text. Bis zuletzt ringt sie mit ihrer Stimme - dennoch verändert sich etwas an ihr. Mit einem Puppenspieler in Lederjacke, der sich in sie verliebt, wird sie die Marionetten tanzen lassen; anstatt selbst eine zu sein, wird sie Figuren aus Schaumstoff ihre Stimme leihen und voller Inbrunst "Staub ist der einzige Dreck, der uns was anhaben kann" intonieren, ebenfalls in Lederjacke.

Mit verstellter Stimme entdeckt Kathi die Rebellion, findet sie zu kindlichem Zorn und ihrer eigenen Sprache. Beim Scrabbeln beharrt sie trotzig auf ihrer Version von Banane mit zwei "n" und prügelt sich dafür mit ihrer Mutter durch die halbe Wohnung. Der Film ist von einer bestechenden Konsequenz: um sich zu emanzipieren, muss Kathi erst mal in die Pubertät kommen. Und da es dafür mit Anfang dreißig etwas spät ist, wird die Pubertierende eben Kathis erste Rolle werden.

Kurzkritiken zu den Kinostarts der Woche
:Alle gegen Django

Nein, es kommt in dieser Woche nicht nur Tarantinos "Django Unchained" ins Kino. Auch anderswo fließt Blut - mal mit einer glänzenden Pornoqueen a. D., mal in schönster Splatter-Tradition. Außerdem faszinieren in "Mavericks" die ganz großen Surfwellen und die verstorbene Susanne Lothar hinterlässt in einer ihrer letzten Rollen "Staub auf unseren Herzen".

Rezensionen ausgewählter Filme. Von den SZ-Kritikern.

Staub auf unseren Herzen , Deutschland 2012 - Regie und Drehbuch: Hanna Doose. Kamera: Markus Zucker, Hanny Mayser. Schnitt: André Nier. Mit: Susanne Lothar, Stephanie Stremler, Michael Kind, Andreas Christ, Oskar Bökelmann, Florian Loycke, Luis August Kurecki, Daniel Kraus, Birgit Schade, Anett Heilfort und Jana Hampel. Movienet, 91 Minuten.

© SZ vom 21.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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