Statue für Paul Celan:Das Herz ein befestigter Ort

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Ein Auftrag ans lyrische Du - Alexander Polzins Celan-Hommage. (Foto: Maestro Arts)

Jahrzehnte hat es gedauert, bis Paris dem Dichter Paul Celan eine Statue errichtete - die Stadt, in der er lebte und schließlich den Tod suchte. Das Werk hat Kanten und ist durchaus umstritten.

Von Joseph Hanimann

Prinzipiell war niemand dagegen, aber auch nie war jemand entschieden dafür. So hat es fast ein halbes Jahrhundert gedauert, bis die Stadt Paris, in der Paul Celan lebte und sich 1970 umbrachte, dem Dichter ein Denkmal errichtete. Und 17 Jahre, bis der Berliner Künstler Alexander Polzin, der sich dieses Projekt in den Kopf gesetzt hatte, es durchsetzen konnte. Nun ist am Eingang des 2007 eröffneten Jardin Anne Frank in einer verborgenen Sackgasse zwischen Centre Pompidou und dem Viertel Marais die Doppelstatue "Hommage à Paul Celan" eingeweiht worden. Nicht ganz ohne Dissens.

Im Augenblick der Enthüllung zündete Eric Celan, der Sohn des Dichters und der Zeichnerin Gisèle Celan-Lestrange, demonstrativ eine Zigarette an. Zuvor hatte er in diplomatischen, aber klaren Worten seine Missbilligung des Werks zum Ausdruck gebracht. "Mein Vater hat kein Glück mit Denkmälern", klagte er dann abseits der Zeremonie. In der Geburtsstadt Czernowitz stehe ein Objekt im Stil des sozialistischen Realismus und in Paris nun dies - ein rücklings auf dem Boden gekrümmter Mann, die Hände vorgestreckt, als würde er sich selbst würgen, und daneben eine schwangere, mit einem Baum verwachsene Frau unter üppigem Haar. Das habe mit dem Werk Celans nichts zu tun, ärgern sich Eric Celan und seine Freunde.

Dem Künstler Polzin kann ein solcher Dissens im Grund nur recht sein. Der 43-jährige Bildhauer, der schon mehrere Werke für den öffentlichen Raum schuf, wie das Giordano-Bruno-Denkmal am Potsdamer Platz in Berlin oder "Das Paar" im Foyer der Pariser Bastille-Oper, und der auch als Bühnenbildner tätig ist, versteht Denkmäler nicht als Einladung zum feierlichen Andenken, sondern als Widerhaken zum Nachdenken. Es sei eine Kunst, "die auf dem Holzklotz entsteht und wie von selbst zum Altar hinstrebt", schrieb der Dichter Durs Grünbein im Zusammenhang von Polzins Skulptur "Requiem. Hommage an György Kurtág".

Die Doppelfigur für Celan schwebte dem Künstler gleich zu Beginn seines Projekts vor 17 Jahren vor und nahm in Modellskulpturen bald Gestalt an. Die Pariser Stadtregierung zeigte sich interessiert, doch fehlte stets entweder die Finanzierung oder ein geeigneter Standort. In der École Normale Supérieure, wo Celan unterrichtete, war nicht genug Raum, der Pont Mirabeau, von dem der Dichter sich in die Seine warf, ist zu abgelegen. Im vorigen Herbst fand sich im 3. Arrondissement, in Sichtweite zum Jüdischen Museum, schließlich ein Ort. Die Oberbürgermeisterin Anne Hidalgo gab grünes Licht, und die 120 000 Euro kamen dank Privatsponsoren und des Auswärtigen Amts zusammen.

"Ich verstehe Celans Lyrik als Liebeslyrik", erklärt Polzin zu seiner Doppelskulptur. Das sei auch in dem 2008 veröffentlichten Briefwechsel "Herzzeit" mit Ingeborg Bachmann sowie in den Erinnerungen der Czernowitzer Jugendfreundin Ilana Shmeli, die Celan kurz vor seinem Tod in Jerusalem wieder traf und die Polzin persönlich aufsuchte, nachträglich bestätigt worden. Diese "biografische Versuchung", wie der Germanist Christoph König diese Deutung von Celans Frauenbeziehungen nennt, ist aber nur ein Aspekt, wohl nicht der interessanteste. Statt den Mann mit dem Dichter selbst und die Frau mit Gisèle, Ingeborg oder Ilana zu identifizieren, führte König in Paris aus, könne man in Polzins "Hommage" eine Transposition des Selbstgesprächs sehen, das in Celans Gedichten das Subjekt-Objekt-Verhältnis syntaktisch umverteilt: Ein historisches Ich erteilt einem lyrischen Du den Auftrag, dichterisch tätig zu werden. Zwischen dem zurückgekrümmten Mann - Opfernder, Opfer und Opferaltar zugleich - und der abgewandten Frau scheinen Tätigkeit und Erleiden hin- und herzuspringen.

Anders als in den Modellentwürfen stehen die beiden Figuren nun nicht mehr auf demselben, sondern auf zwei getrennten Sockeln. Das steigert visuell noch die Spannung zwischen ihnen. Dass Paris nach all den Jahren dem Dichter nicht ein nettes Denkmal an einem belebten Durchgangsort aufstellte, wo der Verkehr vorbeidonnert und die Passanten bummeln, ist absolut passend. Man muss im klassischen Pariser Garten unter einem Sprössling des Anne-Frank-Kastanienbaums aus Amsterdam dieses Erinnerungsmal suchen, finden, erschließen. "Das Herz ein befestigter Ort", lautet die Schlusszeile des daneben plakatierten Gedichts "Nachmittag mit Zirkus und Zitadelle".

© SZ vom 02.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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