Süddeutsche Zeitung

13. Station in Banjul, Gambia:Bremen

Lesezeit: 5 Min.

Von einer Fahrt nach Banjul wurde abgeraten. Gambia habe zwar das größte Herz West-Afrikas für den Tourismus, aber das kleinste für seinesgleichen. Nun saß der Reisende in einer Bar namens "Bremen". Eine fiktive Geschichte, die auf ganz realen Beobachtungen beruht.

Von Michael Glawogger

Der Grenzbeamte wünschte ihm freundlich und in geschliffenem Englisch einen wunderschönen Urlaub und erwähnte, wie stolz man hier auf den Tourismus sei. Er wollte dem Beamten schon verschwörerisch zuraunen, dass er sich in Acht nehmen solle, da President Yahya Jammeh vor drei Tagen die englische Sprache in seinem Land abgeschafft hatte.

Er würde wohl doch nach Banjul fahren, obwohl ihm der Botschafter von Gambia in Rabat dringend davon abgeraten hatte. Zuerst hatte er sich auch daran halten wollen, denn der Mann hatte ihm in geschliffenen Worten und astreinem Englisch erklärt, dass er dort nicht erwünscht sei.

Gambia habe zwar das größte Herz West-Afrikas für den Tourismus, aber das kleinste für seinesgleichen. Der Botschafter sprach dabei die Worte "research" und "culture" aus, als würde er einen alten, schal schmeckenden Kaugummi ausspucken - was bei Leuten seiner Profession allerdings nichts Ungewöhnliches ist; seinen Europäischen Kollegen passiert das mitunter, ohne dass sie es bemerken. Die Sprache ist eben ein Hund.

Im Moment saß er jedoch mit einem Finnen in einer Bar in Conakry/Guinea und trank Weißwein. Der Wein war nicht wirklich Wein, sondern eine dickliche, weiße Flüssigkeit, die der Barbesitzer, der angeblich sein halbes Leben in Bremen verbracht hatte, schon leicht schwankend nachschenkte.

Seine Worte: "Trinken, Freunde, trinken" wurden dabei zu einer Art "Poetry Slam", die gut zu diesem schummrigen Ort passte. Die Bar war ein ehemaliger Maersk Container mit vier kniehohen Tischchen und kleinen Bänken an der Wand, für die der Finne eigentlich viel zu groß war.

Der Finne war überhaupt für den ganzen Raum zu groß. Eine blaue Sparlampe verbreitete fahles Licht, vorausgesetzt, dass es Strom gab. Wenn der ausfiel, blinkte die Lichterkette, die der Besitzer wahrscheinlich von seinen letzten Weihnachten in Bremen übrig hatte, noch zweimal müde auf, und dann wurde es ganz finster.

Versprengte Sprachfetzen

Das nimmt man hier ohne die geringste Verwunderung zur Kenntnis. Der schwarze Mann aus Bremen ließ sein: "Trinken, Freunde, trinken" hören, und der Finne wurde seinem Ruf als Finne gerecht und sagte gar nichts. Er trank auch nicht, weil der "Weißwein" nicht wirklich trinkbar war. So fiel dem Bremer das Nachschenken immer schwerer.

Er dachte noch, dass es gut war, dass der Finne nichts sagte, denn er verstand kein Finnisch. Dennoch mochte er ihn sehr und saß gerne mit ihm in dieser finsteren Bar. Nach einigem Schweigen und Nippen fragte er den Bremer, wie denn seine Bar hieße. "Bremen" antwortete dieser, und da ging das Licht wieder an.

Am nächsten Morgen beschloss er, das Hotel, in dem er schon fast eine Woche lang wohnte, zu verlassen. Es war ein gutes Hotel. Zu teuer, aber gut. Es kamen hauptsächlich Weiße hierher und taten, wie alle Weißen in Afrika, als wären die anderen Weißen nicht da.

So fühlte man sich immer als der einzige Gast hier. Für jeden gab es mindestens drei Kellnerinnen und Kellner, und auch das half bei dem Gefühl, es wäre sonst niemand hier. Gut, hie und da wehten versprengte Sprachfetzen einer französisch geführten Konversation oder einer deutschen Besprechung über undurchsichtige Geldflüsse bei der Entwicklungshilfe und "ganz neue Wege" herüber, aber da hier immer eine leichte Brise ging, hörte er das nur... an sich eben vorbeiwehen.

Irrtum Sprache

Das Personal wusste auch nicht wirklich, wie es die Gäste anreden sollte, also benutzte es ein Kauderwelsch aus Französisch, Englisch und Gebärdensprache. "Trinken, Freunde, trinken" rief er aus dem offenen Fenster seines Zimmers, das wie eine Kommandobrücke über dem Pool thronte. Die "Neuen Wege" fühlten sich in ihrer Nachtruhe gestört. Am nächsten Morgen flüchtete er.

Als er dem Grenzbeamten von Guinea-Bissau gegenübersaß, wusste er, dass Sprache ein Irrtum war. Der Mann schwieg auf das Interessanteste. Er hatte ja auch zu tun. Er musste seine Brille finden, sie aufsetzen, ein Lineal unter einem Stoß Akten hervorkramen, den Pass zur Hand nehmen, alle Details handschriftlich in das große Buch eintragen, das sich in seiner ganzen karierten Pracht vor ihm ausbreitete, und dann nach dem Visum im Pass suchen.

Das fand er auch, aber nach eingehendem Studium fiel ihm auf, dass es abgelaufen war und nur eine Einreise gestattet hatte, die schon stattgefunden hatte und daher aufgebraucht war. Jetzt aber brauchte er noch eine, um nach Gambia zu gelangen, das er zuvor ausgelassen hatte. Jetzt wollte er doch dorthin. Er musste dorthin.

Der Grenzbeamte wusste von all diesen Gründen nichts, auch darüber nichts, dass sie mit Sprache zu tun hatten. Er wusste nur, dass hier eine Amtshandlung nötig war. Nachdem sie einander eine Weile gemustert hatten und er aufgestanden war, um gemeinsam mit dem Beamten das Visum zu inspizieren, hatte der Mann wortlos wortreich eine Lade aufgezogen, und er hatte einen Schein hineinfallen lassen. Auch das eine Sprache.

Schön, wenn man sich auf diese Art versteht. Schwierig wird es, wenn man sich versteht, aber auf beiden Seiten vorgegeben wird, sich nicht zu verstehen. Ein Polizist in Guinea spricht zwischen zwei und dreizehn Sprachen. Für Touristen aus den umliegenden Ländern kann das zu einem Wort-Pingpong führen, vor allem, wenn die einen die anderen nicht verstehen wollen.

Die Polizisten können plötzlich kein Fulani und der Tourist kann kein Wolof, ganz zu schweigen von Französisch oder Englisch. Der eine will Geld, der andere nicht zahlen. Das ist ganz sprachfrei und glasklar verständlich. Es fällt ihnen auch nicht auf, dass sie einander verstehen, wenn sie sich eine Viertelstunde lang in fließendem, mit Französisch gespicktem Mandinga anschreien.

Erst als sie bemerken, dass sie nicht nur dem gleichen Stamm angehören, sondern auch in der gleichen Stadt aufgewachsen sind, liegen sie einander in den Armen und halten sich glücklich an den Händen - und in denen wechseln dann Geldscheine ganz natürlich den Besitzer.

Das böse Wort "Kultur"

Er fürchtete sich vor der Grenze nach Gambia. Die Rückreise in den Senegal war dank eines biometrischen Double-Entry-Visums kein Problem gewesen, und das Passieren der Straßensperren des Militärs, von denen niemand wusste, ob sie nicht doch Sperren der Rebellen waren, war sprachlich glimpflich verlaufen.

Aber jetzt hatte er, dank des Gambischen Botschafters, der die bösen Worte "Kultur" und "Recherche" in den Deutungen "Problem" und "Probleme" in den falschen Hals bekommen hatte, kein Visum. Der Botschafter - oder war es der Konsul gewesen, schwer zu sagen - hatte nach dem dritten Besuch und dem dritten Interview versprochen, seinen Namen im Computer zu speichern und das Kulturministerium von seiner möglichen Reise in das Land zu informieren.

In letzterer Deutung des Wortes konnte man natürlich annehmen, dass das Problemministerium also schon wusste, dass er zum Problem werden würde, und dass dieses Problem auch landesweit als solches bekannt war. Er hatte gehört, dass Probleme in diesem Land an einem Ort gelöst wurden, der "Das Krokodilloch" hieß. Er wollte sich gar nicht vorstellen, was er sich hätte vorstellen müssen, hätte er das Wort "Krokodilloch" beim Namen genommen.

Zurück zu den Ursprüngen

Der Grenzbeamte wünschte ihm freundlich und in geschliffenem Englisch einen wunderschönen Urlaub und erwähnte, wie stolz man hier auf den Tourismus sei. Er wollte dem Beamten schon verschwörerisch zuraunen, dass er sich in Acht nehmen solle, da President Yahya Jammeh vor drei Tagen die englische Sprache in seinem Land verboten hatte. Er wolle damit dieses koloniale Relikt abschaffen und den Menschen ihre ursprüngliche Sprache zurückgeben. Er verkündete dies auf Englisch und vergaß zu erwähnen, welche Sprache denn von nun an gesprochen werden sollte.

Er kam nun also in eine auf gespenstische Art schweigende Hauptstadt, in der niemand mehr auch nur ein lautes Wort zu sagen wagte. Als er sich mit seinem Freund, dem Finnen, in eine Bar setzte, flüsterte ihm ein Betrunkener ins Ohr: "Trinken, Freunde, trinken ".

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