Stasi-Verwicklungen bei der "Berliner Zeitung":Niemand wird vergessen

Keine Ruhe bei der Berliner Zeitung: Nach der Akte von Magazin-Chef Thomas Leinkauf, der als IM für die Stasi gearbeitet hat, sind nun Dokumente über den stellvertretenden Politik-Chef Ingo Preißler zusammengetragen worden.

Constanze von Bullion

Die Debatte um Stasi-Verwicklungen bei der Berliner Zeitung geht in die nächste Runde. Nach der Akte von Magazin-Chef Thomas Leinkauf, der als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) gearbeitet hat, sind nun Dokumente über den stellvertretenden Politik-Chef Ingo Preißler in der Stasi-Akten-Behörde zusammengetragen worden. Preißler hatte sich in einer Redaktionskonferenz freiwillig als ehemaliger IM geoutet und erklärt, er habe mehr als zehn Jahre lang bis zum Ende der DDR dem Geheimdienst zugearbeitet. Die 23 Seiten aus dem Archiv, die der SZ vorliegen, wären ohne Preißlers Eingeständnis wohl nie ans Licht gekommen - und geben relativ wenig Aufschluss.

Stasi-Verwicklungen bei der "Berliner Zeitung": "Da rutscht mir nicht noch einmal jemand durch": Schwere Zeiten bei der "Berliner Zeitung"

"Da rutscht mir nicht noch einmal jemand durch": Schwere Zeiten bei der "Berliner Zeitung"

(Foto: Foto: ddp)

Eine Karteikarte weist Preißler als "IM Peter" aus, der unter der Registriernummer XV 2873/78 seit Oktober 1978 bei der Stasi gearbeitet hat. Er wurde von der Botschaftsabteilung III der Hauptverwaltung Aufklärung geführt, also der DDR-Auslandsspionage, die ihre Akten nach der Wende weitgehend vernichtet hat. Die Berichte, die IM Peter lieferte, sind verschwunden, eine elektronische Spur der Datenbank Sira belegt aber, dass er regelmäßig Informationen übermittelte. Die ersten stammen aus der Zeit, als Preißler an der Akademie für Staats- und Rechtswesen studierte. Er ging zur DDR-Nachrichtenagentur ADN, wurde 1986 USA-Korrespondent. Als seine politische Einstellung geprüft werden sollte, war er schon IM bei der Stasi, die ihn als "zuverlässig" einstufte.

Preißler schreibt dann aus Washington IM-Berichte über die US-Friedensbewegung, das Raketenabwehrsystem SDI, Kernwaffen und ein geplantes Treffen zwischen Ronald Reagan und Michael Gorbatschow. Aus den Aktenkürzeln lässt sich nicht schließen, dass er sensationelle Informationen lieferte. Ob er ein kleines Licht war oder nicht, das könnte er derzeit nur selbst beantworten, da seine Berichte fehlen. Preißler aber will nur mit seiner Redaktion sprechen.

Dort wird weiterdiskutiert, wie die Vergangenheit nun sinnvoll aufgearbeitet werden soll. Der Berliner Anwalt Johannes Weberling wurde in dieser Woche als Leiter einer Kommission eingesetzt, die die Stasi-Verstrickungen im Haus untersuchen soll. Weberling, der als Aufklärer innerhalb der Berliner Zeitung auch umstritten ist, war 1996 Personalchef, als Leinkauf seinem Chefredakteur Michael Maier eröffnete, dass er IM war. Maier ging damals zu Weberling und fragte, ob Leinkauf eine Stasi-Akte habe. Weberling verneinte. Er habe nicht geahnt, dass Leinkauf sich bei Maier schon als IM geoutet hatte, versichert Weberling heute: "Ausgerechnet dazu hat er mir nichts gesagt."

Die Sache wurde unter den Teppich gekehrt, und wenn man Weberling fragt, ob er nicht zu dieser Mogellösung beigetragen hat und es deshalb einen Interessenskonflikt gebe, stößt man auf Unverständnis. Er sei schon damals sehr unzufrieden mit dem mangelnden Rechercheeifer im Haus gewesen, sagt er. Eine Stasi-Studie über die Berliner Zeitung wurde 1996 abgebrochen, Akten, die schon auf dem Tisch lagen, kassiert. "Ich habe damals in die Tischkante gebissen vor Ärger, aber ich habe mich nicht durchsetzen können", sagt Weberling. Heute dagegen gebe es grünes Licht von oben - und neben neuen Akten auch seine eigene Erinnerung an Namen, die damals nicht mehr überprüft wurden. "Ich mache da weiter, wo ich aufgehört habe", sagt er. "Da rutscht mir nicht noch einmal jemand durch."

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