"Starbuck" im Kino:"Endlich stehen Männer mal gut da"

Eine schwangere Freundin und zugleich plötzlich 533 erwachsene Kinder: Die kanadische Komödie "Starbuck" über einen chaotischen Samenspender plädiert für neues väterliches Selbstbewusstsein. Ein Gespräch mit Regisseur Ken Scott und den Hauptdarstellern Patrick Huard und Julie LeBreton über einen Überraschungserfolg, der nun in die deutschen Kinos kommt.

Irene Helmes

Mit 20 war Oberchaot David stets knapp bei Kasse - und besserte diese durch fleißiges Samenspenden auf. Sein Pseudonym: Starbuck. Mit Anfang 40 verläuft Davids Leben immer noch nicht besonders glatt. Und wie es so geht: Gerade als seine Freundin überraschend schwanger wird, holt ihn die Vergangenheit ein. In Gestalt von 533 Kindern, von denen 142 durch eine Sammelklage ein Kennenlernen erzwingen wollen. Während David versucht, seine Beziehung zu retten und nicht von seinen Gläubigern in der Badewanne ertränkt zu werden, macht er sich parallel daran, seine Söhne und Töchter kennenzulernen - zunächst inkognito, unter allen möglichen Vorwänden.

Patrick Huard, Julie LeBreton und Ken Scott - Film "Starbuck"

Hauptdarsteller Patrick Huard und Julie LeBreton mit Regisseur Ken Scott (v. l. n. r.) bei der Deutschlandpremiere von "Starbuck" beim Filmfest München Ende Juni.

(Foto: 2012 Ascot Elite Filmverleih GmbH)

Die Komödie "Starbuck" mit Patrick Huard und Julie LeBreton war im kanadischen Québec die erfolgreichste einheimische Kinoproduktion 2011 und eröffnete das diesjährige Münchner Filmfest. Die Rechte für eine indische Bollywood-Version sind bereits verkauft, Regisseur und Ko-Autor Ken Scott arbeitet derweil an einem US-Remake mit Vince Vaughn. Am 16. August kommt "Starbuck" in die deutschen Kinos. Ein Gespräch mit dem Regisseur und den Hauptdarstellern des Überraschungs-Erfolgs.

Süddeutsche.de: Beschreibt "Starbuck" eine ultimative Männerphantasie - sich nahezu unendlich zu vervielfachen?

Patrick Huard (lacht): Ich glaube, für viele Männer ist das eher ein Riesenalbtraum. Ich bin selber Vater und weiß: Selbst wenn man sich wirklich ein Kind wünscht, hat man doch ein wenig Angst, wenn es soweit ist. Für Starbuck ist die Situation: Ich bekomme bald ein Kind, und dann bekomme ich noch weitere 533 auf einmal dazu. Das ist natürlich ein Ding. Damit muss er fertigwerden, und das mag ich an dem Film: Endlich stehen Männer mal gut da! In den letzten fünfzehn Jahren waren wir in Filmen und im Fernsehen doch immer entweder dumm, egoistisch, großspurig - alles Mögliche, nur nicht liebevoll. Die Männer in diesem Film schon.

Julie LeBreton: Vielleicht ist es tatsächlich eine Männerphantasie, auf eine sehr seltsame Art. Es ist wie ein Traum, der in diesem speziellen Fall zum Albtraum wird. Es ist wie Ultraelternschaft, es passieren Dinge, die eigentlich nicht möglich sind. Aber letztlich geht es um Vaterliebe, um Verantwortung und darum, ein Mann zu werden...

Süddeutsche.de: ... und darum, wie viel eine Beziehung aushalten kann, bevor eine Frau schreiend davonläuft, oder?

Julie LeBreton: Auch das. Ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist, aber in Québec haben wir eine ziemlich matriarchalische Gesellschaft. Die Frauen sind sehr stark und in den letzten paar Generationen haben die Männer darunter irgendwie gelitten. Sie tun sich schwer, ihren Platz zu finden zwischen all den Frauen, die ihnen sagen, wo's langgeht. Meine Rolle repräsentiert diese Art von dominanten, manchmal etwas barschen Frauen, im Kontrast zum chaotischen Typen. Der Film beschreibt also auch ein wenig unsere Gesellschaft. Als Komödie natürlich, aber anscheinend haben wir ein paar empfindliche Punkte getroffen, zumindest in Kanada.

Süddeutsche.de: Der Film wirkt wie ein Statement für die Emanzipation von Vätern. In einer Szene sagt Starbuck zu seiner Freundin sinngemäß, "du kannst sagen, was du willst, aber ich entscheide, dass ich Vater bin".

Julie LeBreton: Auf jeden Fall. Weil Väter in der Vergangenheit so sehr zur Seite gedrängt worden sind. Es ging nur noch um die Mutter. Die Mutter, die das Kind zur Welt bringt, die alle Rechte hat bei der Erziehung. Ich glaube, Männer kümmern sich inzwischen viel stärker um die Kinder und wollen sagen: Hey, wir sind auch wichtig! Ken und Patrick sind beide sehr engagierte Väter.

Patrick Huard: Eine ganze Weile lang sind Männer doch oft - auch in den Medien - wie Samenspender wahrgenommen worden, selbst wenn sie mit ihren Familien zusammenleben. Ich habe schon öfter gehört, wie Frauen sagen, "ich will eigentlich nur jemanden, der mir ein Kind macht, und dann bye-bye". Ich denke aber, Männer sind sehr wichtig für die Entwicklung von Kindern. Der Film ist auf jeden Fall eine Bestätigung des Vaterseins, aber auch des Mannseins insgesamt.

Süddeutsche.de: Wie kommt man auf die Idee zu so einer ungewöhnlichen Geschichte?

Ken Scott: Mein Ko-Autor wollte eine Geschichte über einen Samenspender machen, und kam von da irgendwie auf das Thema Vaterschaft allgemein. Wir hatten den Eindruck, dass das Vatersein sich in den letzten Jahren sehr verändert hat. Vor zehn, fünfzehn Jahren wäre dieser Film nicht entstanden.

Süddeutsche.de: Die meisten Menschen haben heutzutage ein, zwei, höchstens drei Kinder, und die Erwartungen und Hoffnungen an jedes einzelne sind riesig. In "Starbuck" ergibt sich dagegen ein Mosaik aus hunderten Kindern, so dass sich individuelle Schwächen und Probleme - Drogensucht, Schwierigkeiten im Job, chaotisches Liebesleben - ausgleichen. Es entsteht so etwas wie ein Superkind.

"Plötzlich ist es überhaupt nicht mehr lustig"

Patrick Huard: Dieser Typ hat Mitgefühl für sie alle. Und das ist doch, was wir alle haben sollten. Eigentlich versuchen wir doch, wie er zu sein, wie dieser Typ, der eigentlich überhaupt nichts auf die Reihe bekommt, außer eben das. Dass er sie so schnell ins Herz schließen kann, obwohl sie nicht perfekt sind und falsche Dinge tun, ist doch das Wesentliche am Vatersein. Es ist immer möglich, dass dein Kind zum Beispiel eines Tages damit rausrückt, dass es Drogenprobleme hat - oder dass es das alles eben nicht erzählt. Was Starbuck im Film in wenigen Wochen alles erlebt, ist natürlich überwältigend. Man glaubt aber irgendwie, dass es möglich sein könnte - was total verrückt ist, aber super.

Patrick Huard in einer Szene von Starbuck

Patrick Huard als David (2.v.r.) mit drei seiner bereits erwachsenen Filmkinder - noch ahnen sie nicht, dass er "Starbuck" ist.

(Foto: 2012 Ascot Elite Filmverleih GmbH)

Julie LeBreton: Der Sohn, der als erster David alias Starbuck als Vater enttarnt, ist zum Beispiel echt seltsam. Ein schräger Typ, nicht unbedingt liebenswert, fast wie ein Stalker, düster. Ein perfektes Kind würde man sich anders vorstellen. Aber er gehört dann eben auch dazu. Viele Eltern projizieren extrem viel in ihre Kinder hinein, wollen sich in ihnen verwirklichen. Wir erzählen eine Geschichte, die zeigt, wie unterschiedlich Kinder sein können und dass es nicht darum geht, dass sie sein sollen wie man selbst, sondern dass sie Individuen sind.

Süddeutsche.de: Wenn wir mal alle biologischen und medizinischen Komplikationen ignorieren: Könnten Sie sich die Komödie auch umgekehrt vorstellen? Mit der Frau, die plötzlich mit hunderten Kindern konfrontiert ist und ihrem Freund, der damit zurechtkommen soll?

Ken Scott: Ich habe tatsächlich darüber nachgedacht, dass - bei der Geschichte eines 42-jährigen mentalen Teenagers mit 533 Kindern - die Leute das lustig finden, obwohl es ja eigentlich eine ernste Sache ist. Wenn es um eine Frau gehen würde, dann wirkt es plötzlich überhaupt nicht mehr witzig, sondern wie ein Drama. Die Wahrnehmung der Rolle von Frauen und Männern ist also sehr unterschiedlich.

Julie LeBreton: Es ist ja sehr selten, dass man Mutterschaft humorvoll angeht. Irgendwie scheint es lustig und herzerwärmend, zu zeigen, wie ein Mann nicht mit Kindern klarkommt und unverantwortlich ist. Für einen Mann scheint es normal zu sein, das Vatersein mit allen Höhen und Tiefen zu erleben, aber bei einer Frau sollte es wohl wie von selbst laufen. Dann heißt es: Du bist jetzt eine Mutter, fast eine Heilige, so hat es die Natur vorgesehen. Ich weiß nicht, ob man aus dem umgekehrten Szenario eine Komödie machen könnte, es wäre wohl ein anderer Film.

Süddeutsche.de: Und nun in diesem Szenario?

Julie LeBreton: Nun, meine Figur ist ja zum ersten Mal in ihrem Leben sprachlos. Zum ersten Mal muss sie etwas einfach hinnehmen. Es ist ein Sprung ins Ungewisse, aus Vertrauen: Sie weiß nicht, wie er als Vater ihres Kindes sein wird, aber sie lässt es drauf ankommen. Das finde ich schön. Aber insgesamt spielt die Mutterschaft in diesem Film einfach nur die Nebenrolle. Es hat so viele Filme über Schwangerschaften und so weiter gegeben, dieser ist nun eben über Väter. Wenn ihr was über Mutterschaft sehen wollt: Schaut euch einen anderen Film an!

Süddeutsche.de: Ist "Starbuck" ein Plädoyer für Patchwork-Familien?

Patrick Huard: Ich glaube schon, dass es etwas reflektiert, was viele von uns erleben.

Julie LeBreton: Es gibt inzwischen so viele Wege, eine Familie zu werden, Patchwork, künstliche Befruchtung, usw. Es geht nicht mehr nur um Vater, Mutter, Kind. Familie ist doch letztlich das, was man draus macht. "Starbuck" zeigt eine Reihe ganz unterschiedlicher Väter: Es gibt Starbucks eigenen Vater, der inzwischen Witwer ist, es gibt seinen Kumpel, der vier kleine Kinder alleine großzieht und dann ihn selbst. Es zeigt, was ein Vater alles sein kann.

Süddeutsche.de: Hatten Sie Reaktionen von Konservativen auf Ihren ja äußerst liberalen Familienfilm?

Julie LeBreton: Nein, Kanada ist schließlich recht offen, aber ich bin gespannt, was passiert, wenn der Film in den USA rauskommt.

Ken Scott: Bei Festivals in den USA haben wir sogar schon Publikumspreise gewonnen, in Palm Springs und in Santa Barbara zum Beispiel.

Süddeutsche.de: Aber nicht in Texas.

Ken Scott: Stimmt, das war alles in Kalifornien.

Süddeutsche.de: Denken Sie über eine Fortsetzung nach, zum Beispiel eine Art Extremvariation von "Meet the Parents" mit den Eltern von Starbucks Kinderschar?

Ken Scott: Das Bedürfnis habe ich nicht direkt. Der Film endet mit der Andeutung eines neuen Anfangs, das stimmt. Ich könnte natürlich meine ganze künftige Karriere auf "Starbuck"-Fortsetzungen aufbauen. Aber nein, jetzt habe ich mit dem US-Remake zu tun.

Julie LeBreton: Das wäre ganz schön hektisch zu drehen. Ich glaube, wie jedes Märchen sollte auch dieses hier enden, damit jeder seine eigene Geschichte weiterdenken kann.

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