Süddeutsche Zeitung

"Starbuck" eröffnet Filmfest München:Viel hilft viel

Was tun, wenn man plötzlich aus heiterem Himmel Hunderte Kinder hat? Ein einst eifriger Samenspender, Typ verpennter Tagedieb, wird mit den Spätfolgen seines Tuns konfrontiert. Der Kanadier Ken Scott eröffnet mit der Komödie "Starbuck" das Filmfest München.

Doris Kuhn

Der Vater von 533 Kindern sein? Sultan Mulai Ismail, der zweite und ziemlich grausame alawitische Herrscher von Marokko, hätte über diese Zahl nur verächtlich gelacht. Bis zu seinem Tod im Jahr 1727 soll er mit 500 Haremsfrauen mehr als 850 Nachkommen gezeugt haben. Wo also liegt das Problem? In diesem Fall liegt es darin, dass der Vater ein zutiefst normaler, jede Verantwortung meidender, leicht verpennter kanadischer Tagedieb ist.

Als junger Mann - mehr als zwanzig Jahre ist es her - folgte David Wozniak (Patrick Huard) einer klaren und einfachen Strategie zur Finanzierung seines Lebensunterhalts: Samen spenden. Er wohnte neben der einschlägigen Klinik, das machte die Sache einfacher. Wirklich leicht war es aber trotzdem nicht: Unzählige kanadische Hustler mussten als Vorlage herhalten, leider fand er den Text da oft interessanter als die Fotos. Der Becher Sperma brachte 35 Dollar ein, gut 600 davon konnte David füllen. Seinen Namen hielt er dabei geheim, er operierte unter dem leicht größenwahnsinnigen Pseudonym "Starbuck" - denn mit dem coolen und effizienten Steuermann aus "Moby Dick" hatte er schon damals wenig gemein.

Die Probleme in der Gegenwart beginnen damit, dass Davids Freundin (Julie LeBreton) ihm erklärt, sie sei schwanger. Allein auf seinen Gesichtsausdruck hin wirft sie ihn aus der Wohnung - bekanntlich erzieht man ein Kind besser allein als mit einem widerstrebenden Vater. Dann bekommt David Besuch von einem Anwalt, der ihm eröffnet, seine Samenspenden hätten zwischen 1988 und 1990 den besagten 533 Kindern das Leben geschenkt. Rund hundert von ihnen haben nun eine Sammelklage eingereicht - sie wollen den Namen des Mannes erfahren, der sich hinter dem Pseudonym "Starbuck" verbirgt, und ihn anschließend kennenlernen. Das reicht, um David in größere Panik zu versetzen.

Schallplatten, Fußballpokale, Kühe auf der Kuhtapete

Dabei geht es in Ken Scotts Film "Starbuck" tatsächlich um das Prinzip "strength in numbers": Warum wenig, wenn auch mehr geht? Davids Wohnung zum Beispiel ist ein Lager für Souvenirsammlungen aus der Vergangenheit: Turnschuhe, Schallplatten, Fußballpokale, Kühe auf der Kuhtapete sind dort in großer Anzahl und säuberlich sortiert vorhanden. Würde ihm nicht auch eine Sammlung von Kindern gut stehen? Als Bär mit breiten Bärenschultern und einem Bärengemüt, das die Ruhe eines kompletten Winterschlafs in sich gespeichert hat, trotzt er nicht nur seinen hektischen Brüdern, Freunden und Kollegen. Wenn es jemandem gelingen könnte, 533 Kinder in Schach zu halten, dann ihm.

Sobald David das Dossier mit den Namen, Adressen und Fotos der Kläger in der Hand hält, beginnt der surrealere Teil des Films: Wie ein Memory-Spiel hängt er sich die Schriftstücke verdeckt an die Wand, dreht täglich eines um und macht sich auf, das unbekannte Kind zu besuchen. Der Neugier auf die Nachkommen kann er nicht widerstehen - und schon befindet sich David mitten im Gewirr bis dahin unbekannter väterlicher Gefühle. Sie verführen ihn dazu, seinen vielen Kindern immer öfter als Schutzengel an die Seite zu treten - und wenn der Film hier sentimental wird, dann ist das zum Glück gepaart mit genug Situationskomik und niedlichkeitsfreien Dialogen, um das Verhältnis von Erwachsenen und Kindern präzise charakterisieren.

Stolz finden und Vorurteile ablegen

Dass man in "Starbuck" auf die Sprache achten sollte, merkt man schon am Anfang: Vier Männer mit Duschhauben führen vier Mal denselben Dialog über Fußballtrikots, und dabei sieht man David changieren zwischen Überzeugung, Beteuerung, Hilflosigkeit, Wut. Nur dank solcher Dialoge wird auch erreicht, dass der Zuschauer sich völlig zu Hause fühlt in einer Welt, die in keinem Moment der Wirklichkeit entspricht.

Hier kriegt man Kinder, wenn sie selbständig genug sind, um Geld zu verdienen; hier verlieren sich die tatsächlichen Familien dieser Kinder im Nichts - und selbst die Problemstellung des Films ist, rational betrachtet, schwer haltbar: "Starbuck" wird als verantwortungsloser Erzeuger angefeindet, aber Samenspenden sind schließlich die Verantwortung derer, die sie annehmen.

Solche Gedanken aber blitzen nur manchmal auf zwischen den vielen Figuren des Films und den Turbulenzen, in die sie ständig hineingeraten. Selbst die Kamera braucht mindestens Cinemascope-Format, um sie alle und ihre Gefühle ins Bild hineinzuzwängen, und die Schauspieler sind großartig. Im Lauf der Geschichte finden die Beteiligten ihren Stolz und legen Vorurteile ab, und die Kinderscharen, Halbgeschwister, die sie sind, schließen sich zusammen, um zu entdecken: Viel hilft viel.

Sa, 21.30 Uhr, Rio 1, mit Regisseur und Darstellern; So, 19.30 Uhr, HFF Audimax; Mittwoch, 10.00 Uhr, Cinemaxx 3

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SZ vom 30.06.2012/ihe
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