Harrison Ford wird 80:Wir alle sind seine Kinder

Harrison Ford als Han Solo in "Star Wars"

Harrison Ford

(Foto: American Pictorial Collection/The Hollywood Archive/imago/Cinema Publishers Collection)

Harrison Ford versteht es, ein Gefühl zu erzeugen, das im Kino selten geworden ist. Zum 80. Geburtstag des großen Schauspielers.

Von Philipp Bovermann

Über Harrison Ford nachzudenken kann weh tun. Düstere Gedanken können dabei aufkommen. Das ist nicht gut, denn Harrison Ford feiert heute Geburtstag, da hat man als Gratulant gefälligst nicht traurig zu sein, eigentlich. Aber was soll man machen.

Es sticht eben, noch mal in "Stars Wars" reinzugucken. Noch mal in "Indiana Jones". Man könnte auch weniger historische, sicherlich hervorragende Filme mit ihm gucken - "Der einzige Zeuge" beispielsweise soll ganz toll sein -, um anschließend schreiben zu können, wie vielseitig der Actionmaulheld Harrison Ford in Wirklichkeit ist. Man könnte sich, kurz gesagt, seriös filmjournalistisch auf diesen Text vorbereiten. Aber man guckt halt noch mal "Indy" dabei zu, wie er vor einer rollenden Steinkugel davonrennt, es geht leider nicht anders.

Was sticht da? Was tut da so weh? Erster Gedanke: Es gibt solche Filme einfach nicht mehr. Saftige Abenteuerfilme, in denen Typen wie Harrison Ford spielen, vierschrötige Kumpeltypen mit dem Herz am rechten Fleck. Schaut man sich die heutigen sogenannten Stars im Actiongenre an (das Abenteuergenre, gibt's das eigentlich noch?), fallen einem erst mal ein Haufen Muskelberge in körperbetonten Kostümen ein. Chris Hemsworth mit Sixpack und einem Riesenhammer in den "Thor"-Filmen - postheroische Postkartenmännlichkeit, als Superhero zum Witz überzeichnet. Will Smith, der bei der Oscar-Verleihung Chris Rock ohrfeigt, weil er sich angeblich so reingesteigert hat in die Rolle des... was eigentlich noch mal genau? Des Mannes? Johnny "vs. Amber Heard" Depp? Puh. Dann denkt man an Ryan Gosling in "Drive", diese Kälte, sexy und leer. Ryan Gosling, der in "Blade Runner 2049" Harrison Ford jagt. Dann denkt man wieder an Harrison Ford.

Dieser Kerl, der nun unfassbare achtzig Jahre alt wird, wirkt auch in seinen aktuelleren Filmen kein bisschen aus der Zeit gefallen. Eher aus der Zeit gewachsen. Das Kino ist kleiner geworden, er gleich groß geblieben. Aber, denkt man dann, vielleicht stimmt das gar nicht.

Heute hätte Han Solo Probleme mit den Diversitätsbeauftragen der Rebellion

Vielleicht liegt Harrison Fords Talent auch einfach darin, ein bestimmtes Gefühl zu erzeugen, das es heute im Kino schwer hat. Es stellt sich jedenfalls sofort ein, wenn man den jungen Harrison Ford als Han Solo in "Star Wars" sieht: Ein Großmaul, das mit der Macht und all dem esoterischen Zeug nichts anfangen kann und lieber seinem Laser-Revolver vertraut. Ein Cowboy, der in heutigen Rebellionen gegen das finstere Imperium gewiss Probleme mit den Diversitätsbeauftragten bekommen würde, dem man aber zehn Meilen gegen den Wind anmerkt, dass hinter der Fassade ein ganz feiner Kerl verborgen ist.

Es war Anfang der Siebzigerjahre, die Zeit des New Hollywood-Kinos, dem es nicht an neuen Köpfen und Ideen, wohl aber an charismatischen Stars mangelte, die Filme durch ihre Präsenz und Anziehungskraft zu tragen vermögen. Fast ein bisschen wie heute. Ford schien ein Typ wie Clark Gable oder James Stewart zu sein, so als wäre er in einem Pferdesattel mit zwei Revolvern aus der Goldenen Zeit des Kinos herübergeritten. Doch bei genauerem Hinsehen passte er eben doch ins New Hollywood mit seinen ambivalenten Figuren - nur dass bei ihm die Ambivalenz nicht darin bestand, ins Düstere und Wilde zu kippen, wie bei vielen seiner damaligen Kollegen, sondern in die umgekehrte Richtung. Was fast noch spannender ist. Denn wohin kippt man da eigentlich?

Im entscheidenden Moment, wusste man, würde Han Solo das Cowboykostüm abwerfen und ein Ritter sein - aber eben noch nicht gleich. Fords schief gezogene Mundwinkel und sein Frotzeln laborierten ewig an dieser Spannung herum, er schuf daraus die Figur und vielleicht seine ganze Karriere gleich mit. Unter der Oberfläche des harten Hundes verbarg sich, gerade so, dass man es deutlich ahnte, etwas Spielerisches, Weiches, Zerfließendes, Größeres.

In "Indiana Jones", ab 1981, wirkt dieselbe Ambivalenz, hier zwischen dem peitschenschwingenden Abenteurer und dem promovierten Archäologen, zwischen Verstand und Trieb, Vernunft und Sinnlichkeit; in "Blade Runner" (1982) schließlich als Grenze zwischen Mensch und Maschine, Mensch und Menschenkopie. Ist ein Schauspieler nicht immer eine Menschenkopie?

Nie hat das Harrisonfordianische an Harrison Ford besser funktioniert als in diesem Filmkunstwerk von Ridley Scott: Wir ahnen, dass er ein Replikant ist, aber wir sehen es nicht. Wir fühlen es nicht. Wir fühlen - nun ja, wir fühlen eben dieses spezielle Gefühl, das dieser Schauspieler, dieser Star, bitteschön, so unnachahmlich erzeugt: diese Anflutungen von etwas Menschlichem. Diese Sicherheit. Dieses Vertrauen.

Sie halten zu ihm, sie können einfach nicht anders

Die spannendste Reflexion darüber ist wohl "Mosquito Coast" (1986) von Peter Weir. Es geht um einen Abenteurer und Erfinder, eine Harrison-Ford-Paraderolle, in der er aber trotzdem gegen sich selbst, gegen seine unbezwingbare Nettigkeit besetzt ist. Der Erfinder will nämlich die aus seiner Sicht verkommenen USA hinter sich lassen und dem Dschungel in Mittelamerika ein neues Zuhause für sich und seine Familie abtrotzen. Das geht natürlich gewaltig schief, und alle außer dem zunehmend diktatorischen, verbohrten Vater wollen bald nach Hause. Und doch halten sie zu ihm. Sie können einfach nicht anders. Na klar.

Als alles noch gut und die Familie in den USA ist, hat der Vater Besuch zu Hause. Er will die Farmarbeiter für eines seiner Projekte gewinnen. Der Sohn kommt runter, um zu lauschen, da schwingt die Tür auf, einer der Männer steht vor ihm und sagt: "Dein Vater ist ein großer Mann. Er ist auch mein Vater. Wir alle sind seine Kinder!"

Wahrscheinlich ist das der Kern des Harrison-Ford-Gefühls: Ach, könnte so einer doch mein Vater sein! Einer, der sich als Präsident mit Terroristen im Flugzeug prügelt, um mich und das Land zu beschützen, wie in "Air Force One" (1997). Einer, der immer da ist. Man muss wohl in derart elementare Gefühlsbereiche vorstoßen, um zum Star zu werden.

Der andere ist, na klar, Sex. Das funktioniert immer, auch heute noch, weil sexuelles Begehren auf Augenhöhe passieren kann. Vatergefühle hingegen sind per se asymmetrisch. Sie gelten immer einem mächtigen Mann, wobei seine Macht, wie an Harrison Ford zu beobachten, nicht die der Autorität sein muss oder, wer weiß, gar darf. Trotzdem ist es verdächtig geworden, starke Männer für etwas anderes als ihren Sexappeal anzuhimmeln.

Eine der heimlich begründenden Szenen des Gegenwartskinos geht so: Adam Driver, einer der interessantesten Schauspieler seiner Generation, einer anderen Generation, durchbohrt als dunkler Jedi Kylo Ren die Brust seines Vaters Han Solo, gespielt von Harrison Ford, mit einem Lichtschwert. "Ich weiß, was ich zu tun habe, aber ich weiß nicht, ob ich die Kraft dazu habe", sagt er, kurz bevor das Lichtschwert aufblitzt. Er meint: Ich weiß, nicht, ob ich die Kraft habe, diese Liebe zu ertragen. Möglicherweise ist damit auch etwas über das heutige Kino gesagt. Auf jeden Fall aber über Harrison Ford.

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