Um einer der größten Humanisten der Fernsehgeschichte zu werden, musste Gene Roddenberry ein ziemliches Schlitzohr sein. Es ist überliefert, dass Nichelle Nichols, die in der Originalserie Uhura spielte, einmal sagte, dass er doch immer nur Moralgeschichten schreibe. Roddenberry antwortete: "Pssst! Du weißt das, ich weiß das, die Vorzimmerdame weiß das. Nur das Studio hat keine Ahnung."
Mit "Star Trek" hat Roddenberry (geboren 1921 in Texas, gestorben 1991) nicht nur ein wahnsinnig erfolgreiches TV-Franchise geschaffen, dem immer noch neue Serien und Kinofilme entspringen. Er hat eine bessere Welt geschaffen. Auf der Brücke der ersten Enterprise standen beim Start der Originalserie 1966 ein Schotte, ein Japaner, ein Russe, ein diabolisch aussehender Vulkanier und eine schwarze Frau. Der Captain, James Tiberius Kirk, war zwar ein klassischer weißer Abenteurer-Held aus Iowa, aber eine solche Gleichberechtigung der Ethnien gab es im Fernsehen der USA in der Zeit des Kalten Kriegs sonst nirgends. Aber um seine Vorstellung einer guten Zukunft ins Fernsehen zu bringen, musste Gene Roddenberry zu einigen Tricks greifen.
Zuerst einmal verkaufte er dem TV-Netzwerk NBC Anfang der Sechzigerjahre ein Konzept, das die Herren dort bereits kannten: einen Western, nur eben im Weltall. Roddenberry, der im Zweiten Weltkrieg Bomberpilot war, dann kommerziell flog und später als Motorradpolizist in L.A. arbeitete, kannte sich damit aus. Seit den Fünfzigern schrieb er nebenher für Western- und Polizeiserien.
Dem Studio war das anfangs alles zu intellektuell
Was die NBC dann aber bekam, in einer Pilotfolge, die schnell in der Schublade verschwand, war zu wenig Weltraumwestern und zu viel Modernität. "The Cage" hieß der Pilot vor dem Piloten, die bis dahin teuerste Folge der TV-Geschichte. Der Captain hieß noch nicht Kirk, sondern Christopher Pike, und sein erster Offizier war eine Frau, gespielt von Roddenberrys Ehefrau Majel Barrett. Spock gab es schon. Beide gingen der NBC zu weit, überhaupt war ihnen alles zu intellektuell. Roddenberry musste einlenken. Barrett bekam trotzdem eine Rolle - als Krankenschwester.
Daran, dass Gene Roddenberry noch eine weitere Startfolge drehen durfte, sieht man, dass es damals doch etwas gemütlichere Zeiten im Fernsehbusiness gewesen sein müssen. Die neue Version wurde akzeptiert. Obwohl Spock blieb und die Frau auf der Brücke nun zwar kein Vizechef mehr war, dafür aber schwarz. Fortan war es Roddenberrys Aufgabe, sein extrem progressives Denken zu Themen wie Kapitalismus, Rassismus, Gewalt, Sexismus und zur Prägung durch Kultur so geschickt in Weltraumabenteuer zu verpacken, dass man ihn weiter gewähren ließ.
Manche Autoren klagten, ihnen fehle jegliches Material für Konflikte
Die eigentliche Erfolgsgeschichte von "Star Trek" begann erst nach dem Ende der Originalserie. In den Siebzigern wurden die Folgen so oft auf allen Kanälen der NBC wiederholt und ins Ausland verkauft, dass die Zahl der Fans wachsen konnte. "Star Trek" kam zurück, erst, aus Kostengründen, als Zeichentrickserie und 1979 als erster von mittlerweile 13 Kinofilmen. 1987 startete in "Star Trek: The Next Generation" eine neue Enterprise unter dem intellektuellen Diplomaten Captain Jean-Luc Picard, deren Besatzung aus so netten, kooperativen Figuren bestand, dass manche Autoren klagten, ihnen fehle jegliches Material für Konflikte. Roddenberry hatte eine schmale "Bibel" mit Regeln für sein Universum verfasst. In ihr stand, neben viel Technikkram und Ausführungen über solche Dinge wie die Sexualität der Spezies der Ferengi, dass die Sternenflotten-Figuren immer etwas besser sein sollten als echte Menschen.
"Star Trek" war für seinen Schöpfer immer mehr als reine Unterhaltung. In einem seiner seltenen Interviews sagte Roddenberry, dass er mit seiner Serie eine Art Kreuzzug führe, "um zu zeigen, dass Fernsehen nicht gewalttätig sein muss, um aufregend zu sein. Wir betonen Humanität und zahlen dafür einen hohen Preis. Viel von dem Drama, mit dem andere Sendungen arbeiten - Promiskuität, Gier, Eifersucht. Nichts davon gibt es bei 'Star Trek'".
Es liegt ein riesiges Fernsehglück in den klugen Dialogen
Von Dauer war sein Konzept nicht. Wer sich "Raumschiff Enterprise: Das nächste Jahrhundert" heute, im Fernsehzeitalter des Antihelden, nochmal ansieht, mag befremdet sein von all den hochintelligenten, rationalen, gutherzigen Sternenflottenoffizieren in ihren Schlafanzuguniformen. Es liegt aber auch ein riesiges Fernsehglück in den klugen Dialogen, in Picards Shakespeare-Zitaten und der stillen Konzentration auf Fragen der Interkulturalität. Die jüngsten "Star Trek"-Serien, "Discovery" und auch "Picard", wirken verglichen damit oft wie verzweifelte Wiederbelebungsversuche, die sich nicht mehr trauen, "langweilig" und damit in Roddenberrys Sinne utopisch zu sein.
Vielleicht hat aber auch der Weltraum an Faszinationskraft eingebüßt. Wenn Milliardäre aus Spaß ins All fliegen, Werbung in den Orbit schießen und die Privatwirtschaft plant, die Bodenschätze von Mond und Mars auszubeuten, dann ist der große Traum von der Wissensvermehrung zum Wohle aller im Weltraum ausgeträumt. Gene Roddenberrys eigenes Ende ist passenderweise ein Symbol für beides, für den Traum wie für dessen Verlust: 2014 sollten Teile seiner und der Asche seiner Frau mit einer Rakete in eine Umlaufbahn um die Sonne geschickt werden. Diesen Service kann man bei dem in Houston, Texas, ansässigen Unternehmen Celestis, Inc., buchen.