3. Staffel: "Türkisch für Anfänger":Alles so schön gaga hier

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Das Fernsehvolk hat gesprochen: Eine Unterschriftenaktion hat die ARD zur Fortsetzung von "Türkisch für Anfänger" bewegt. Bis Weihnachten beschert sie uns 16 herrliche neue Folgen.

Tom Schimmeck

Was nur vermag, in Zeiten von Billionenverlusten, Bildungsmisere und Klimakatastrophe, unseren Schmerz noch zu lindern? Wir haben keinen Obama, die SPD wird demnächst wohl wegen Dummheit geschlossen. Doch die ARD zeigt Erbarmen, zerstreut uns von diesem Dienstag an vier Wochen lang mit 16 neuen Lieferungen von "Türkisch für Anfänger", lässt uns lachen oder doch zumindest schmunzeln. Hernach wird Weihnachten sein und das Jahr endlich vorbei.

Und immer noch können sie nicht mit-, aber genauso wenig ohne einander: das Stiefgeschwisterpaar Lena (Josefine Preuß) und Cem (Elyas M'Barek). (Foto: Foto: dpa)

Die Serie, unter Fans schlicht "TfA" genannt, schafft es seit 2006, auch Menschen, denen TV-Unterhaltung sonst eher zurecht ein Graus ist, in ihren Bann zu schlagen. Sie treibt ein flottes und geschicktes Spiel mit den Klischees, bläst sie auf, bis sie platzen. Der Plot ist gerne mal gaga, aber nie dumpfe Comedy.

So konnte das Auf und Nieder der Patchwork-Familie Schneider-Öztürk, der linken Althippiemutter und Psychologin Doris (Anna Stieblich), des türkisch-stämmigen, aber ach so vorbildlich integrierten Kriminalkommissars Metin (Adnan Maral) und ihrer bald unter einem Dach vereinten vier Nachwuchskräfte eine breite und loyale Fangemeinde erobern.

Auch räumte das Multikulti-Spektakel etliche Trophäen ab: den deutschen Fernsehpreis, den Grimme Preis, den Prix Italia, die Goldene Nymphe. Die Serie wurde von Russland bis Spanien, von Schweden bis ins französischsprachige Afrika verkauft. Gleichwohl schienen den ARD-Werbern, die zwischen 18 und 20 Uhr gut Kasse machen müssen, die Quoten ursprünglich nicht üppig genug. Die nun startende dritte Staffel hat das Fernsehvolk per Unterschriftenliste regelrecht erzwungen.

Gealterte Bekannte

Zum Einstieg sind wir noch einmal an der Anna-Freud-Oberschule, bei der Abifeier. Alle Akteure sind real wie im Film fast zwei Jahre älter geworden. Sohn Cem hat keinen Abschluss, aber einen Bart. Tochter Lena macht immer noch coole Sprüche. Als die Mutter laut von ihrer goldenen Zukunft in der Automobilindustrie schwärmt, raunzt sie quer durch die Aula: "Doris, nimm die Finger aus der Steckdose, klar?" Yagmur (Pegah Ferydoni) ringt weiter mit Costa (Arnel Taci) und dem Islam. Auch Doris' pragmatische Schwester Diana bleibt präsent. Genau wie Opa Hermi, der bräunlich-geifernde Repräsentant einer morbiden deutschen Leitkultur.

So ein Zeitensprung ist nicht leicht. Man merkt den ersten Folgen an, dass sich Autoren und Darsteller erst wieder warmlaufen müssen. Auch der wohlgesonnene Zuschauer will aufs Neue eingefangen werden, beäugt zunächst ein wenig skeptisch den skurril-chaotischen Gang der Dinge. Zuweilen kippt der meist schön trocken gehaltene Humor ins Burleske ab.

Das Stiefgeschwisterpaar Lena (Josefine Preuß) und Cem (Elyas M'Barek) - immer noch in unmöglicher Liebe zueinander verfangen - errichtet gleich in der ersten neuen Episode ein gigantisches Lügengebäude. Das alsbald von einer eifersüchtigen Lena in Trümmer geschlagen wird.

Überhaupt agiert Lena zickiger denn je. Während Cem zwischen Machismo und Romantik, zwischen Frühstücksfernsehen und Kleinkriminalität taumelt. Auch Yagmurs und Costas Liaison stürzt im Nu aus kitschigen Höhen in die Katastrophe. Selbst der nahezu perfekte Metin, meist der Fels in der wilden Brandung, verliert zuweilen die Beherrschung.

Neue Gesichter

Neues Personal eilt hinzu: Kathi, 36 Folgen lang nur gesichtslose Adressatin von Lenas Verzweiflungsvideos, kehrt aus Los Angeles zurück, entpuppt sich schnell als ziemlich karrieregeil und durchlebt mit und gegen Lena die Tücken der Generation Praktikum.

Oma Öztürk kommt überraschend aus der Türkei, um die kulturelle Transformation ihrer Enkeltochter zu verhageln. Und dann ist da noch die mies-moderne Chefredakteurin Jette. Aber erst ein bisschen später.

Bald ist man voller Vorfreude auf die nächste Portion. Da entfaltet sich wieder diese viel zu selten gelingende Magie der guten Seifenoper: Dass man Teil des Spektakels wird, all der Schicksalsschläge und Desaster; dass man fiebert und hofft und manchmal eine Träne der Rührung zerdrückt.

Der Vorgang mag bei grellem Licht vorhersehbar sein. Schon in den neunziger Jahren hat ein findiger amerikanischer Student einen computergesteuerten Sitcom-Generator entwickelt. An dunklen Vorabenden im November und Dezember ist es gleichwohl ein Genuss.

Nur manchmal trägt Türkisch für Anfänger das "politisch Unkorrekte" ein bisschen zu kokett vor sich her. Manchmal ist da auch ein halber Gag zu viel. Doch es bleibt Klamauk mit Tiefsinn. Viel Herzschmerz, Tränen, Kerzenschein und Geigenmusik werden aufgeboten. Und doch vermag es diese Sitcom auf eine süchtig machende Weise, am Zuckerguss unserer (Fernseh-)Welt zu nagen. Als Yagmur sich in schwülstigsten Verlobungsphantasien zu verlieren droht, kommandiert Lena kühl: "Für Dich kein Sat 1 mehr."

Türkisch für Anfänger, ARD, immer Dienstag bis Freitag um 18.50 Uhr.

© SZ vom 18.11.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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