Städtebau  :Mit Grund, aber ohne Boden

Städtebau  : Hätte, hätte, Fehlerkette: Die Werkbundstadt am Spreeufer wird so nun doch nicht kommen.

Hätte, hätte, Fehlerkette: Die Werkbundstadt am Spreeufer wird so nun doch nicht kommen.

(Foto: WerkBundStadt Berlin)

In Berlin wollten 33 Architekten eine Werkbund-Stadt bauen. Es kam anders. Über eine Tragödie, in der alle genau die Rolle spielen, die Bürokratie und deutsches Bodenrecht ihnen vorschreiben.

Von Peter Richter

In einer Zeit, in der so ziemlich alles, was nicht zufällig ein ausgeprägtes Spitzdach hat, zur Feier von 100 Jahren Bauhaus herhalten muss, war nicht unbedingt zu erwarten, dass auch der Deutsche Werkbund noch einmal so viel von sich reden machen würde. Denn der Hundertste dieser "Vereinigung von Künstlern, Architekten, Unternehmern und Sachverständigen" war bereits 2007 und wurde mit der Planung einer Werkbundsiedlung in München gefeiert, die allerdings am Veto des Stadtrats scheiterte.

Jetzt ist in Berlin gleich eine ganze Werkbundstadt gescheitert. Und woran sie gescheitert ist, ob an sich selber oder an den sogenannten Verhältnissen: Über dieser Frage zerlegt sich der Werkbund gerade eindrucksvoll selbst. Es gibt Austritte, Rücktritte, Schuldzuweisungen, böse Briefe und hämische Habs-ja-gleich-gesagt-Kommentare in einer Massierung, dass man sich die Augen reibt. Die beste Laune von allen Beteiligten hat noch der Architekt Arno Brandlhuber, wenn er vom Urlaub in Sizilien aus zu Protokoll gibt: "Sofern der Werkbund immer noch für modellhafte Vorhaben steht, hat er das hier eigentlich vorbildlich gemacht: Das Scheitern der Sache zeigt immerhin genau, wo die Kräfte liegen." Die Eigentumsrechte an Grund und Boden seien stärker als alle sozialen und baukünstlerischen Ziele. Auch er habe mit seiner Arbeit letztlich nur kostenlos zum knackigen Profit eines Immobilienbesitzers beigetragen. Dem könne aber noch nicht einmal ein Vorwurf gemacht werden, der habe einfach sein Geschäft gut verstanden.

Je länger man mit den Beteiligten spricht, desto deutlicher stellt sich die Sache als ein Drama im klassischen Sinne dar: Alle haben besten Gewissens getan, was ihre Rolle vorgab; wenn die Dinge einen anderen Verlauf nehmen sollen, wäre es notwendig, die Spielregeln zu ändern. Was genau war passiert? In Berlin-Charlottenburg gab es am Nordufer der Spree ein Tanklager, das nicht nur nicht mehr gebraucht wurde, sondern als innerstädtisches Gefahrengebiet galt. Der Berliner Architekt Paul Kahlfeldt, damals im Werkbund aktiv, kannte den Eigentümer und ventilierte die Idee, von vielen verschiedenen Architekten dort ein neues Viertel errichten zu lassen, eine zusammenhängende Werkbundstadt - und ausdrücklich keine experimentelle Werkbundsiedlung wie am Stuttgarter Weißenhof, wo 17 Architekten im Jahr 1927 unter der Ägide von Ludwig Mies van der Rohe tätig gewesen waren.

Das Bauhaus war in gewisser Hinsicht der pädagogische Arm des Werkbundes

Man tritt Kahlfeldt gewiss nicht zu nahe, wenn man sagt, dass er generell eher kein Mies van der Rohe ist und sein will, kein rückhaltloser Modernist, sondern ein Architekt, der für durchaus traditionsorientierte Formen steht und für den Bezug auf die gewachsene europäische Stadt. Von den 33 Architekten, die dann auf Einladung der Berliner Sektion des Werkbundes zusammenkamen, teilten viele diese Präferenzen - aber bei Weitem nicht alle, und etliche, Leute wie eben Arno Brandlhuber, stehen eher für das Gegenteil.

Diese "nicht ganz einheitliche Mischung", wie der begeisterte Hochhausmodernist Christoph Ingenhoven aus Düsseldorf es formuliert, war vielleicht das eigentlich Bedeutsame an der Sache und wurde nebenbei auch dem ursprünglichen Werkbund am besten gerecht. Denn der war einst ebenfalls denkbar disparat: Als Lobbyverband der deutschen Gestaltungskultur war es ihm jedenfalls nicht an der Wiege gesungen, der Mechanisierung, gegen die er am Anfang noch angetreten war, später entscheidend auf die Sprünge zu helfen - nicht zuletzt am Bauhaus, das in gewisser Weise der pädagogische Arm des Werkbunds war und entsprechend selbst ein einziger Widerspruch aus mittelalterseligem Handwerkskult und radikaler Industrialisierung.

Die Gruppe der 33 Werkbundmitglieder, zu der bald nur noch 32 gehörten, nachdem Max Dudler wegen Verärgerung über das Verfahren wieder ausgestiegen war, hatte dann eine Reihe von Treffen, die unter den Teilnehmern heute als legendär gelten, weil sie einem Westfälischen Friedensschluss nach einem dreißigjährigen Berliner Architekturstreit gleichkamen: Radikale Neuerer wie Brandlhuber und Ingenhoven in einem Raum mit Traditionalisten wie Hans Kollhoff oder den Gebrüdern Patzschke, ohne dass Stahlträger und Sandsteinplatten flogen, ohne dass Blut und Tränen flossen - wann hatte es das zuvor gegeben?

Vielleicht wirkte schon das komplexe Verfahren befriedend. Jeder durfte nämlich drei verschieden große Parzellen planen, die ihm zugelost wurden; daraus wählten Kahlfeldt und die damalige Vorsitzende der Berliner Sektion des Werkbunds, Claudia Kromrei, jeweils einen Entwurf aus, der dann ins Gesamtmodell kam, das sich auf diese Weise zu einem denkbar dichten Konglomerat denkbar unterschiedlicher Architektursprachen zusammenschob. Sogar ein ausgeprägtes Spitzdach war vorhanden (nach einem Entwurf von Christoph Mäckler).

Es gab keinen Bauauftrag - es sollte ohne die üblichen Zwänge geplant werden

Dass es zu alldem noch gar keinen Auftrag gab, bezeichnen sowohl Claudia Kromrei als auch Paul Kahlfeldt als den Reiz an der Sache: Es sollte bewusst ohne die üblichen Zwänge geplant werden, die sich bei öffentlichem Grund durch die Regularien sofort ergeben; es sollte nach dem alten Werkbundmaßstab der Qualität geplant werden - und dann erst ein Bauherr gefunden werden. Aber das ist auch schon das Letzte, worin die beiden heute noch übereinstimmen. Denn über das, was dann passiert ist, dreht sich jetzt der Streit.

Die einen - Brandlhuber zum Beispiel und auch Ingenhoven - beklagen, dass nicht umgehend ein Vertrag mit den Besitzern des Grundstückes geschlossen wurde, der die Architekten oder wenigstens die Allgemeinheit am Wertgewinn beteiligt hätte, der sich aus der Beplanung der Industriebrache ergab. Denn jede Umwidmung für den Wohnungsbau katapultiert im Moment erwartungsgemäß den Bodenpreis in die Höhe.

Hierzu sagte Kahlfeldt, dass der Werkbund das als gemeinnütziger Verein gar nicht gedurft hätte. Schon ihr Steuerberater hätte ihnen das verboten. Auch habe nicht erst das Projekt der Werkbundstadt zu der lukrativen Umwidmung in Bauland fürs Wohnen geführt. Das habe der Bezirk Charlottenburg schon vorher avisiert, konkret bis zur angepeilten Geschoss- und Grundflächenzahl (in Höhe von 3,0 und 0,4 um exakt zu sein.) Anlass für das Engagement der Werkbundarchitekten sei gewesen, dort für Qualität zu sorgen, bevor wieder alles nur mit stupiden Wärmedämmkisten vollgewürfelt wird, weil Wohnungen gebraucht werden.

Man darf trotzdem hinzufügen, dass es für Architekten neben einer Verschönerung der Welt schon immer auch um die Akquise von Bauaufträgen geht. Und man darf auch annehmen, dass ihr Engagement die Sache zumindest deutlich vorangetrieben hat. Claudia Kromrei hatte dann seitens des Werkbundes eine sogenannte Zielvereinbarung mit den Grundstücksbesitzern und dem Bezirk ausgehandelt, in der die Baumassen festgeschrieben waren und der damals übliche Satz von 25 Prozent Sozialwohnungen. Es blieb bis heute das einzige Papier, das alle Parteien unterschrieben haben.

Der Schönheitsfehler war: Es verpflichtete zumindest die Besitzer zu nichts. Nun sei es heute aber einmal so, dass derjenige, der ein Grundstück verkauft, das geringste Risiko und den größten Gewinn hat, sagt Ingenhoven: "Der, der es dann bebaut, hat viel weniger davon." Und der Besitzer des größten Teilstücks, eine Gesellschaft aus Hamburg, sah sich am Ende eher nicht als Bauherr.

Brandlhuber vermutet, dass das Tanklager vor zwei Jahren noch zwischen elf und 17 Millionen Euro wert gewesen sein mag und jetzt für irgendetwas zwischen 60 und 70 Millionen verkauft wurde - und er erinnert an Hans-Jochen Vogel von der SPD, der immer gemahnt hatte, solche "leistungslosen Gewinne" am besten zu einhundert Prozent abzuschöpfen. Dann hätte die Stadt zumindest das Geld für die Kindergärten schon drin, die die Allgemeinheit jetzt dem privaten Bauprojekt aus eigener Tasche beisteuern darf.

"Ist mir lieber als irgendein Wärmedämmhandlanger der Baywobau."

Kahlfeldt sieht ebenfalls die Legislative in der Pflicht, auf eine Verschlankung der Bürokratie hinzuwirken, die das Bauen in Deutschland lähmt. Denn die angestrebte Parzellierung ließ sich bei den Banken nicht durchsetzen, bevor das langwierige Bebauungsplanverfahren aus dem Tanklager ein Wohngebiet gemacht hat. So ging im Sommer alles an Investoren über, die groß genug sind, um das auszusitzen: Baywobau, Investa und Bauwens.

Diese wiederum hatten mit einem Werkbund zu tun, der sich intern immer mehr zerstritt, immer weniger mit einer Stimme sprach. Je weiter das Projekt gedieh, desto mehr Leute redeten mit, hatten Kritik, andere Vorstellungen, Nachforderungen. Es gibt idealere Partner für einen Immobilienentwickler. Es gibt nun, wie bei anderen Beziehungen auch, unterschiedliche Versionen darüber, wer zuerst mit wem Schluss gemacht hat. Jedenfalls haben sich die neuen Eigner einen neuen Planer gesucht, und der heißt: Christoph Ingenhoven. Sie haben auch eine Beraterin für das Projekt engagiert - die nach der Kritik an ihrer Zielvereinbarung als Berliner Werkbundchefin nicht wiedergewählte Claudia Kromrei.

Beide versprechen nun, dass das, was statt der Werkbundstadt dort entstehen wird, im Zweifel noch besser wird: gleiche Zielvereinbarung, aber modernerer Städtebau, mehr Grün vor allem, weniger bis gar keine Anklänge an die Enge der klassischen europäischen Stadt, für das die Riege um Kahlfeldt stand. Der wiederum sieht zumindest die Personalie Ingenhoven sportlich: "Ist mir lieber als irgendein Wärmedämmhandlanger der Baywobau". Ingenhoven will den Entwurf im Februar präsentieren. Bauen werden dann er und womöglich drei bis vier Kollegen, Armand Grüntuch und Almut Ernst vielleicht, die nebenan schon mit der Vermählung von Architektur und Biomasse experimentieren.

Wird also doch noch alles gut am Spreeufer?

Nicht für eine Gesellschaft, die sich solche Spekulationsgewinne weiter entgehen lässt. Und auch nicht für den Werkbund. Kahlfeldt sagt, dass sich viele aus der Gruppe der 33 diesen Samstag noch einmal zusammensetzen wollen. Vielleicht werde eine Art Sezession daraus.

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