Süddeutsche Zeitung

Städte verpassen sich absurde Beinamen:"Heimat der Fernwärme"

"Stadt der Brunnen", "Sailing City" oder "Stadt der Generationen": Immer mehr deutsche Städte geben sich Beinamen und sind dabei, den Wettbewerb untereinander ins Absurde zu treiben. Einige Stadtumbenennungen muten dabei weniger als würdige Taten des Stolzes an, sondern vielmehr als unwürdige Taten der Verzweiflung.

Johan Schloemann

Am Bahnhof der Stadt Herford, gelegen im soliden Ostwestfalen zwischen Bad Oeynhausen und Bielefeld, hing früher einmal unter dem Stations-Schild mit dem Ortsnamen "Herford" ein weiteres Schild. Darauf stand geschrieben: "Heimat der Poggenpohl-Küchen". Irgendwer hat das Schild später wieder weggehängt, wohl weil er ahnte, dass mit dieser Charakterisierung der Reiz der Stadt nicht vollständig ausgedrückt sei.

Fern von solcher Einsicht, sind die Städte Deutschlands heute dabei, den Wettbewerb untereinander ins Absurde zu treiben. Nicht nur streiten sie sich gerade zwischen Ost und West darum, wer an wessen Verschuldung schuld ist. Die Städte wollen auch nicht mehr einfach so heißen, wie sie heißen. Sie geben sich vielmehr, zur Anpreisung ihres sogenannten Standorts, allerlei Beinamen, die angeblich Fremdenverkehr und Gewerbeansiedlung befördern sollen. Der Beiname soll, das ist die Idee des Stadtmarketings, das Alleinstellungsmerkmal des jeweiligen Ortes, seinen unique selling point, hervorheben. Auf diese Weise, heißt es, würden die vorhandenen Menschen stolzer auf ihre Stadt und zugleich die fehlenden Menschen ebendahin attrahiert.

Wie fruchtlos dieser Kampf um Unverwechselbarkeit ist, das zeigen etwa folgende Zusatznamen: "Stadt der Moderne" - "Stadt der Kinder" - "Musikstadt" - "Lichtstadt" - "Stadt der Brunnen", "Schloss-Stadt" - "Sportstadt" - "Stadt der Generationen". Die genannten Bezeichnungen gehören, in derselben Reihenfolge, zu diesen Städten: Chemnitz - Würselen (bei Aachen) - Trossingen (Landkreis Tuttlingen, Baden-Württemberg) - Jena - Külsheim (Tauberfranken) - Hückeswagen (Bergisches Land) - Riesa (Sachsen) - Lohmar (Rhein-Sieg-Kreis).

Wer einmal über sein Stadttor und sein Tal hinauskommt, den wird leider rasch die ernüchternde Ahnung ergreifen, dass die Reihenfolge vertauschbar ist: dass also wahlweise Brunnen, Licht, Sport, Musik, Generationen oder Schlösser auch in anderen Städten zu finden sind. Wer ein Alleinstellungsmerkmal behauptet, steht in Gefahr, mit dieser seiner Ansicht allein dazustehen.

Doch auch wenn die werbenden Zusätze von etwas künden, was wirklich nur der eine Ort vorzuweisen hat, kommt oft Murks dabei heraus. Ob "Klingenstadt Solingen" ein schöner Name ist, darüber kann der Geschmack vielleicht noch streiten; eindeutig danebengegriffen aber hat die Stadt Hagen, die nun nicht mehr das "Tor zum Sauerland" sein will, sondern die "Stadt der Fern-Universität".

Wie? Sollte man bei der Selbstanpreisung nicht auf etwas verweisen, was Leben in die Stadt bringt - anstatt sich mit einer Institution zu identifizieren, die Leben, in diesem Fall studentisches, von der Stadt fernhält? Von ähnlich ansprechender Urbanität wäre eine "Stadt der Lohnsteuerbescheide" oder eine "Stadt der Fernwärme".

Wettstreit der Städte schon im antiken Griechenland

Solingen und Hagen gehören zu elf Kommunen in Nordrhein-Westfalen, die seit neuestem offizielle Namenszusätze führen dürfen. Dafür wurde im vergangenen Herbst die dortige Gemeindeordnung geändert, und in dieser Woche hat das Düsseldorfer Innenministerium die ersten elf amtlichen Städte-Beinamen genehmigt. So könnten "Gemeinden und Kreise ihre Einzigartigkeit bekannt machen", hieß es vom zuständigen Minister.

Die Regelung bedeutet, dass der jeweilige Beiname nicht einfach als Slogan oder als Motto der Stadtwerbung dient - wie etwa "Ottostadt Magdeburg" oder "Kiel. Sailing City". Vielmehr wird der Zusatz Bestandteil des alten Stadtnamens, er darf aufs gelbe Ortseingangsschild und auf den Briefkopf der Stadtverwaltung gesetzt werden, was nun auch geschieht, etwa in Saerbeck im Münsterland, das nun "NRW-Klimakommune" heißt.

Der Wettstreit der Städte ist ja ein produktives europäisches Erbe. Im antiken Griechenland, in der Renaissance in Oberitalien, sodann in Spätmittelalter und früher Neuzeit auch im nördlichen Europa wurde das Modell geschaffen: Die Städte und ihre Bürger setzten alles daran, an Macht, Schönheit und Prosperität vor den anderen zu liegen. Viele, auch die fiesesten Mittel waren dazu recht. In der heutigen internationalen Konkurrenz um Kapital und Kreativität hingegen können die jüngsten Selbstumbenennungen durch das Stadtmarketing nicht als würdige Akte des Stolzes, sondern nur als unwürdige Akte der Verzweiflung gelten. Je eher eine Stadt den Namen "Stadt" verdient, desto weniger braucht sie einen Beinamen.

Zudem droht eine Stadt durch einen Alleinstellungsnamen nicht geöffnet, sondern festgenagelt zu werden. Bei allem Respekt vor der katholischen Sozialbewegung: Was sollen die Protestanten, Atheisten und Muslime im rheinischen Kerpen mit der "Kolpingstadt" anfangen? Was die Nichtakademiker mit der "UniverCity", dem dämlichen Kunstnamen, den sich die Stadt Bochum jetzt anheftet? Nein, diesen Unsinn haben auch die ärmsten der armen Kommunen nicht verdient.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1322857
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 31.03.2012/mapo/pak
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.