Süddeutsche Zeitung

Berlin: Stadtschloss-Wiederaufbau gestoppt:Im Hauptstadt-Wahn

Der Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses ist nach einer langwierigen Diskussion gestoppt. Warum das gar keine so schlechte Idee ist.

Laura Weissmüller

Die Redewendung "Gras über eine Sache wachsen lassen" ist selten so praktisch umgesetzt worden wie gerade in Berlin. Im Herzen der Hauptstadt breitet sich eine sattgrüne Liegewiese aus, und mal angenommen, man hätte all die jahrelange Diskussion ums Berliner Stadtschloss nicht mitbekommen, als japanischer Tourist zum Beispiel, würde man sich wohl über den willkommenen Rastplatz freuen und sich neben all den Studenten, Fahrradkurieren und anderen Touristen niederlassen, die sich auf dem Rasen eine Ruhepause gönnen. Nichts ahnend, dass da unter dem Gras eines der wohl umstrittensten Bauprojekte Europas schlummert.

Und dort wohl auch noch etwas länger bleiben wird: Die Bundesregierung hat gerade beschlossen, den 552 Millionen Euro teuren Bau des Berliner Stadtschlosses im Rahmen der aktuellen Sparpläne auf Eis zu legen. Damit ist das Vorhaben, das der Bund mit 440 Millionen, die Stadt Berlin mit 32 Millionen und ein privater Förderverein mit 80 Millionen Euro finanzieren wollten, zwar noch nicht gestorben, jedoch mindestens auf 2014 verschoben.

Was bedeutet, dass eine neue Regierung und auch ein neuer Bundestag sich mit dem Wiederaufbau des Stadtschlosses beschäftigen werden - und dann wohl auch endlich damit, dass der Zuspruch in der Bevölkerung in den vergangenen Jahren rapide gesunken ist. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage sind 80 Prozent der befragten Berliner gegen den Wiederaufbau.

Krönende Pointe

Mit gutem Grund: Die Realisierung des Mammutprojekts war von Anfang an mit Fehlentscheidungen belastet. Der Vorschlag aus Peter Ramsauers Bauministerium vor ein paar Wochen, das Schloss erst einmal ohne Barockfassade zu realisieren und das "historische Gewand" erst später hinzuzufügen, las sich da nur noch wie die krönende Pointe eines Schildbürgerstreichs, schließlich war gerade die historische Fassade fester - und nicht zuletzt umstrittenster - Bestandteil im Wettbewerb um den Wiederaufbau des Stadtschlosses gewesen. Eine blanke Betonkiste mit nachrüstbarer Sandsteinzierde würde das Ganze vollends als schlechten Scherz in der jüngeren Architekturgeschichte outen, für immerhin noch 472 Millionen Euro kein allzu billiger Spaß.

Zur Erinnerung: Nach jahrelangem Schlagabtausch hatte der Bundestag 2002 schließlich entschieden, das Schloss äußerlich zu rekonstruieren. Die historische Barockfassade wurde damit vertraglich zur Pflicht und nicht zur Kür, wie das Bauministerium das jetzt suggerierte. Erst im Inneren sollte die Gegenwart mit dem Humboldt-Forum ihren Platz finden, die am Wettbewerb teilnehmenden Architekten hatten damit mehr oder weniger nur noch die Möglichkeit, die Innenordnung zu variieren, große architektonische Meisterleistungen konnte da keiner mehr erwarten.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, womit das Schloss bisher zu kämpfen hatte.

Der Sieg des Italieners Franco Stella im Wettbewerb um den Wiederaufbau war deswegen nicht nur wegen seinen viergeschossigen Monsterarkaden, die den Entwurf des ansonsten barock ummantelten modernen Baus kennzeichneten, höchst umstritten:

Bis zum Beschluss des Düsseldorfer Oberlandesgerichts Anfang Dezember im vergangenen Jahr war vielmehr nicht einmal klar, ob der siegreiche Architekt aus Vicenza überhaupt formal die Wettbewerbs-Anforderungen erfüllte. Die verlangten nämlich, dass teilnehmende Architekten über eine Zeit hinweg und während des Wettbewerbsverfahrens ein Büro betrieben, in dem mindestens drei Mitarbeiter fest angestellt sein mussten.

Zwar beschäftigte Stella drei Architekten, doch wie die Architektenkammer von Venetien mitteilte, gehörten die "betrieblich" zu der Firma seines Bruders. Franco Stella hatte sie nur vorübergehend ausgeliehen. Obwohl das Düsseldorfer Gericht trotzdem entschied, dass - nach einer vertraglichen Nachbesserung - die Beauftragung des italienischen Architekten erfolgen könne, war dennoch klar: Neben dem winzigen Büro in Vicenza würden die beiden deutschen Architekturbüros Hilmer & Sattler und Albrecht (HSA) sowie Gerkan, Marg und Partner (gmp) eine maßgebliche Rolle beim Großprojekt spielen. Nicht unbedingt der Sinn bei einem international ausgeschriebenen Wettbewerb wie diesem.

Äußerst schleppend

Nicht nur architektonisch kam das Prestigeprojekt äußerst schleppend voran. Bis zuletzt blieb das Nutzungskonzept des Humboldt-Forums unklar: Neben der Landesbibliothek und der Sammlung der Humboldt-Universität sollten hier auch die außereuropäischen Museen einziehen, die bislang in Dahlem untergebracht waren

Wie das alles hinter einer Barockfassade gelingen sollte, war weder einleuchtend noch in der Zusammenstellung wirklich schlüssig. Die unterschiedlichen Mieter, darunter die Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Hauptnutzer, wirkten da eher wie die Fahrgäste in einem Zugabteil: gleiche Richtung zwar, aber doch mehr zufällig zusammengewürfelt als eine gemeinsame Reisegruppe.

Gerade im Fall der außereuropäischen Sammlungen konnte man die Notwendigkeit des Umzugs auch nicht wirklich nachvollziehen - mal abgesehen von dem fast schon französischen Hauptstadtwahn, der sich langsam in Berlin ausbreitet, alles zentral in der Mitte versammeln zu müssen -, stehen in Dahlem doch zum Teil perfekt zugeschnittene Häuser zur Verfügung. Die sind zwar stark sanierungsbedürftig wie der Kulturstaatssekretär André Schmitz betont, der die Sanierungskosten für den Dahlemer Museumskomplex sogar mit 150 Millionen Euro angibt. Dass damit ein Stopp des Wiederaufbaus des Schlosses wirtschaftlich "einem völligen Unsinn" gleichkommen würde, wie Schmitz deswegen erklärt, stimmt trotzdem nicht.

Fingerhütchen-Status

Schließlich ist auch das Schlossprojekt rein rechnerisch nie über den Fingerhütchen-Status hinausgekommen. Selbst wenn das Bauvorhaben wie veranschlagt mit 552 Millionen Euro auskommen würde, fehlte bislang doch stets ein entscheidender Posten: der jährliche Etat. Dieser dürfte nicht zu knapp ausfallen, soll doch das Humboldt-Forum mehr sein als ein gewöhnliches Museum, nämlich ein Ort des kulturellen Dialogs.

So schön sich dieses Ziel gerade in Zeiten einer globalen Krise liest, so sehr verlangt die Realisierung nach konkreten Inhalten, ansonsten setzt sich das Projekt dem Vorwurf der Beliebigkeit aus. Die angekündigten Sparpläne der Regierung bieten damit die Chance, das Bauvorhaben im Herzen von Berlin noch einmal neu zu diskutieren - und sie nicht zuletzt der heutigen Situation anzupassen.

Vielleicht können wir uns das Stadtschloss tatsächlich nicht mehr leisten, aber möglicherweise haben wir auch gute Gründe dafür. Die grüne Wiese sollte deswegen nicht als Zeichen des Scheiterns gesehen werden, sondern als Chance noch einmal nachzudenken. Wie sich die Berliner und ihre Besucher schon in wenigen Wochen den Platz erobert haben, ist dabei mehr als motivierend.

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Quelle:
SZ vom 08.06.2010/rus
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