Stadt gegen Land:Parasiten im Speckgürtel: Warum wir die City brauchen

Gigantische Pendlerströme fallen Tag für Tag in die Großstädte ein. Doch bislang wollten immer weniger Menschen in den Metropolen wohnen. Jetzt feiert die Stadt Renaissance.

IJOMA MANGOLD

"Ich bin doch aus Bernau!" - so irrt Mieze in Alfred Döblins Roman "Berlin Alexanderplatz" durch den Großstadtdschungel aus Schlachthausdunst und Jazzrhythmen, Verkehrschaos und Reklamegeschrei. Bernau - das ist die vormoderne, aber heile Welt. Berlin dagegen ist Babylon.

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Wie ein rettendes Mantra führt Mieze den Ortsnamen ihrer Herkunft im Mund. Der Gegensatz von Stadt und Land, Zentrum und Peripherie war früher keiner des schleichenden Übergangs: Wer von einer Seite zur anderen wechselte, konnte dabei leicht ins Straucheln geraten, so unterschiedlich waren die beiden Welten, was Lebensform, Tempo, Moral, Stabilität und Kommunikation betraf. Es sollte mit Mieze denn auch ein schlimmes Ende nehmen.

Ländliches gibt es nur noch im "Tatort" aus Österreich

Doch auch in die andere Richtung konnte die Antithese dramaturgischen Reiz entfalten: In jenen Softpornos, die die Privaten in den späten achtziger Jahren ausstrahlten, reiste sehr gerne eine Preußin aus Berlin mit herben Gesichtszügen, die überhaupt keinen Spaß verstand, in den Bergurlaub: Nur allmählich und vor dem gesunden Alpenpanorama pflegte sie ihre Steifheit - die sie zuerst noch für eine zivilisatorische Errungenschaft hielt - abzulegen, um sich von der naturnäheren Vitalität bajuwarischer Bauernsöhne überzeugen zu lassen.

Heute gibt es das Land als abgeschiedenen und in sich geschlossenen Mikrokosmos eigentlich nurmehr in österreichischen "Tatort"-Folgen, die stets auf besondere Milieu-Intensität setzen. Dabei werden dann aber vor allem die traumatisch-neurotischen Seiten des Dorflebens abgebildet, wenn etwa der Pfarrer während der Beichte sich an der jungen Maid vergreift, und alle wissen es, halten aber vom Apotheker über den Tierarzt bis zum Bürgermeister still...

In der Wirklichkeit ist der Stadt/Land-Gegensatz heute gerade keiner hermetisch getrennter Welten mehr. Durch vielfache mobile Ausnutzungs- und Parasitärbeziehungen sind beide eng miteinander verflochten. Und ob einer in der Stadt oder auf dem Land wohnt, ist kein lebenslanges Schicksal mehr, sondern eine Frage der Optionen. Urbanität und Provinzialität sind bewegliche Lebensformen geworden, die man von einer biografischen Etappe zur nächsten wechseln kann. Eine im strengen Sinne dörfliche Lebensweise spielt dabei in Deutschland ohnehin keine nennenswerte Rolle mehr. Die Zahlen gehen kontinuierlich zurück. Laut Statistischem Bundesamt in Wiesbaden leben nur noch etwa fünfzehn Prozent der Bevölkerung in ländlichen Gebieten.

Häuschen im Grünen

Was hingegen bisher dramatisch wuchs, ist der Anteil der Menschen, die in halbstädtischen oder mitteldicht besiedelten Gebieten wohnen. Gut 35 Prozent der Bevölkerung zählen dazu. Sie sind es, die sich in den Speckgürteln der großen Ballungszentren niedergelassen haben. Und dieser Gegensatz von Zentrum und Peripherie ist tatsächlich auch einer der widerstreitenden Interessen und der massiven Verteilungskämpfe.

Seit den sechziger Jahren gibt es den Trend zum Häuschen im Grünen. Er war über Jahrzehnte politisch gewollt, steuerrechtlich begünstigt und zugleich verantwortlich für die schleichende Auszehrung der Städte und die Zerstörung der Umwelt. 93 Hektar wurden im Jahr 2003 in der Bundesrepublik täglich verbaut (bis zum Jahr 2020 will die Bundesregierung den täglichen Flächenverbrauch jedoch auf 30 Hektar reduzieren).

Die Umlandgemeinden der großen Ballungszentren weisen günstiges Bauland aus, um Bewohner und damit künftige Steuerzahler anzulocken. Wer auf der grünen Wiese baut, wird dabei vom Staat durch die Eigenheimpauschale steuerlich entlastet. Die Länge seines Arbeitsweges wird ihm sodann durch die Pendlerpauschale mit barem Geld aufgewogen.

Parasiten im Speckgürtel: Warum wir die City brauchen

Gigantische Pendlerströme fallen so täglich in die deutschen Städte ein, bringen Feinstaub und Verkehrslärm mit sich, nutzen die Infrastruktur und kulturellen Einrichtungen der Stadt, um ihre Einkommenssteuer im Speckgürtel zu zahlen. 417000 sogenannte Einpendler hat München täglich. Man hat für die Stadt Frankfurt am Main errechnet, dass ihre Arbeitnehmer im Landesvergleich am meisten verdienen. Allerdings sind es die Pendler, die diese hohen Einkommen erzielen, während die Frankfurter Privathaushalte unterdurchschnittlich wenig verdienen.

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Das wirkt sich auf die Einkommenssteuer aus, die bei den Umlandgemeinden üppig ausfällt, während sie in Frankfurt nur 17 Prozent der städtischen Steuereinnahmen ausmacht. Zugleich aber muss Frankfurt jene kulturellen Einrichtungen finanzieren, die vor allem von den saturierten Taunusgemeinden genutzt werden. 62 Prozent der Besucher der Alten Oper, hat man ausgerechnet, kommen nicht aus Frankfurt.

Der Städter ist der Gewinner

In den neuen Bundesländern hat man in den neunziger Jahren eifrig den Neubau auf der grünen Wiese subventioniert, während die verödeten ostdeutschen Städte längst einen gespenstischen Leerstand aufwiesen. Es ist die offensichtlich unausrottbare Lieblingsbeschäftigung eines besserwisserischen Staats, durch Steuerpolitik das Verhalten seiner Bürger lenken zu wollen. (Die besserverdienenden Investoren dieses absurden Baubooms konnten übrigens damit ihre zu versteuernden Einkommen Richtung Null bringen.)

Mittlerweile sind die fatalen Folgen der Suburbanisierung erkannt - und langsam beginnt ein Gegensteuern. Der Gewinner wird der Städter sein, der künftig nicht mehr durch die eigenen Steuern die ohnehin günstigeren Lebenshaltungskosten der Speckmade subventionieren muss. Aber auch die demografische Entwicklung prämiert städtische Lebensformen. Denn je niedriger die Besiedelungsdichte ist, desto höher fallen die Kosten für die Bereitstellung von Infrastruktur aus. Schon heute beobachten Immobilienentwickler deshalb den Trend, dass die alternde Gesellschaft wieder stärker in die Städte zurückdrängt, die eine Lebensform der kurzen Wege begünstigt, über Pflegeeinrichtungen verfügt, die bessere medizinische Versorgung und bequeme öffentliche Verkehrsmittel bereitstellen kann.

Kinderfreundlichere Metropolen

Aber natürlich müssen auch die Städte in ihrer Immobilienentwicklung umdenken. Denn dauerhaft können sie nur überleben, wenn sie das volle demografische Spektrum zu binden wissen - und nicht nur Studenten und Rentner. Das heißt, den Städten muss es gelingen, junge Familien mit Kindern zu halten, indem sie Wohnformen entwickeln, die kinderfreundlicher sind - das bessere Schulangebot haben sie ohnedies.

Die bisher politisch gewollte Trennung von Wohnen und Arbeiten ist obsolet - und das nicht nur wegen des hohen Ölpreises. Tatsächlich hat jetzt das Institut für Urbanistik in Berlin eine "Renaissance der Stadt" festgestellt. Die Stadtflucht gehe langsam zurück. Gerade die gut verdienende Mittelschicht mit hohem Bildungsniveau und sehr heterogenen Lebensentwürfen zwischen Single-Existenz und Patchworkfamilie strebe wieder in die Innenstädte. Ein Schaden ist das nicht.

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