Staatstheater Nürnberg:Raue Zeiten

Calixto Bieito verwandelt Hector Berlioz' Oper "Les Troyens" in einen geradlinigen Bühnenessay, Anna Bader kapituliert vor Volker Schmidts "Textil-Trilogie"

Von Egbert Tholl

Selbst wenn man keine Ahnung hätte, wo man sich gerade befindet: Kaum geht der Vorhang auf, ahnt man, dass es wohl eine Inszenierung von Calixto Bieito ist. Auf der Bühne des Staatstheaters Nürnberg steht weit hinten starr der Chor, trägt irgendwelche Kampfwesten; in der Mitte hinten ist eine große Leinwand, ein Bub malt darauf mit langem Pinsel ein Pferd. Hinter der Leinwand, das sieht man, wenn bald alles zugrunde geht, verbirgt sich ein offenes Gerüst aus massiven Holzbalken, das die Bühnenbildnerin Susanne Gschwender für alles stehen lässt, das zu zerstörende Troja wie den Palast von Dido, Karthagos Königin, aus dem der Krieg die Liebe vertreibt: Hector Berlioz' Oper "Les Troyens" ist nicht lustig.

Entscheidend für den Wiedererkennungswert ist aber der Chor. Bieito misstraut grundsätzlich jeder Art von Masse, eine Haltung, für die es hier hinreichend Anlass gibt. Denn die Oper erzählt den Mythos vom Untergang Trojas und der sich in der ferne ankündigenden Gründung Roms, wie sie der Staatsdichter Vergil aufschrieb. Berlioz schätzte dessen "Aeneis" außerordentlich. Die Dichtung begleitete ihn jahrzehntelang, bis er sich am Ende seines Lebens - er starb 1869 - zu seiner Vertonung durchringen konnte. Die Aufführungsgeschichte war dann erst einmal eine bemerkenswert unglückliche, das Werk wurde verstümmelt und zerteilt; wohl erst 1957 kam "Les Troyens" in London mehr oder weniger in der Gestalt heraus, die sich Berlioz vorgestellt haben mag.

Staatstheater Nürnberg: Die Masse huldigt in Calixto Bieitos Inszenierung von Berlioz’ „Les Troyens“ am Nürnberger Staatstheater ihrem eigenen Untergang.

Die Masse huldigt in Calixto Bieitos Inszenierung von Berlioz’ „Les Troyens“ am Nürnberger Staatstheater ihrem eigenen Untergang.

(Foto: Ludwig Olah)

Berlioz komponierte vier Stunden Musik, von denen bei Bieito weniger als drei übrig bleiben. Seine Fassung ist roh und rau, es holpert auch ein wenig. Massive Chorblöcke werden hin und her geschoben, gern stellt Bieito die völlig entindividualisierten Sängermassen an die Rampe, was zu nervenaufreibenden Lautstärke-Erlebnissen führt. Dazu bereinigt der Nürnberger Generalmusikdirektor Marcus Bosch die Partitur um jede französische Eleganz, im Graben geht es meist so grob zu wie auf der Bühne. Das kann man auch Synästhesie nennen.

Der erste Teil, der in Troja spielt, wird dominiert von Roswitha Christina Müller als Kassandra, ein rasendes Ausdruckstier, das irgendwann so heiß läuft, dass einem jede Empathie verloren geht. Im zweiten Teil, Karthago, lässt Bieito mehr Lyrik zu, können Mirko Roschkowski als Aeneas und Irina Maltseva als Didos Schwester Anna die Poesie ihrer Stimmen entfalten. Und Katrin Adel ist als Dido wahrhaft königlich. So freudlos der Abend ist, so entwickelt er doch eine harte Wucht, die zwar kaum zu Rührung führt, aber die Aufführung wie einen abstrakten Bühnenessay wirken lässt, in dem alle Flüchtlinge, Geschundene, Verfolgte, vom Krieg Versehrte sind. Da ist Bieito extrem konsequent.

Nebenan, im Nürnberger Schauspielhaus, ist es um die Welt keineswegs besser bestellt. Anne Bader inszeniert die "Textil-Trilogie" von Volker Schmidt. Teil eins und zwei von dieser kamen am Wiener Schauspielhaus heraus, den dritten, einen Epilog in reiner Phrasenhaftigkeit, ergänzte Schmidt für Nürnberg. In den ersten beiden Teilen kann man durchaus einen grimmigen Humor aufspüren in der Art und Weise, wie Schmidt das Los von Näherinnen in extrem prekären Job-Verhältnissen schildert. Die "Textil-Trilogie" spielt in der Zukunft: Ganz Europa scheint Billiglohnland für Asien geworden zu sein, die Grenze zwischen Sklavenarbeit und Prostitution ist fließend, aber noch haben die Frauen Stolz und Mut.

Die Bühne von Luisa Wandschneider ist zunächst ein riesiger, mit bunten Textilien vollgestopfter Schrank, dann eine Art abstrakter Striptease-Club, der den drei Schauspielrinnen Gelegenheit gibt, mit elastischer Körperlichkeit zu beeindrucken. Es sind diese Drei, die den Abend tragen, denn Anne Bader fällt zu den leicht besserwisserischen Textmassen Schmidts nichts ein. Die Aufführung ist ein langes Reden, reines Reden, und hätte Lilly Gropper nicht einen feinen, verdutzten Humor und hätte nicht Ruth Macke eine grantige Würde, man wäre verloren im reinen Diskurs.

Doch auch dieser insgesamt fade Abend verfügt über eine Sensation, Svetlana Belesova. Die junge Dame mit dem Porzellan-Kopf hat an der Bayerischen Theaterakademie in München das Schauspielen gelernt. Und sie hat viel davon gelernt. Eine sezierende Präzision in der Sprache, eine durch nichts zu erschütternde, eigentümlich gelassene Präsenz auf der Bühne, die jeden emotionalen Ausbruch plausibel macht. Ach hätte Bader allen Dreien Anleitungen zum Spiel gegeben, statt jede Silbe von Schmidt umzudrehen, es hätte was werden können. Doch so: harte Ware wie in der Oper, ohne deren Konsequenz.

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