Ausstellung zur Staatsbürgerlichkeit im DHM:Was Recht und Pflicht ist

Ausstellung zur Staatsbürgerlichkeit im DHM: Entzückend: Ein Fächer aus dem Jahr 1914 mit der Aufschrift "Ich möchte wählen", den eine französische Zeitung an Frauen verteilte, als diese um ihr Wahlrecht kämpften.

Entzückend: Ein Fächer aus dem Jahr 1914 mit der Aufschrift "Ich möchte wählen", den eine französische Zeitung an Frauen verteilte, als diese um ihr Wahlrecht kämpften.

(Foto: Roger-Viollet/Bibliothèque Marguerite Durand)

Das Deutsche Historische Museum Berlin zeigt in einer Schau die Geschichte moderner Staatsbürgerlichkeit. Und erzählt von jenen, die da lang nicht mitmachen durften.

Von Gustav Seibt

Sie ist ein Menschenrecht. Die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" von 1948 statuiert in ihrem 15. Artikel: "Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit." Dieses Postulat reagierte auf die massenhafte Erfahrung von Staatenlosigkeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dem Zeitalter der ethnischen Säuberungen, der Massenvertreibungen, der politisch motivierten Ausbürgerungen, der Flucht vor Verfolgung. Staatenlosigkeit, die vom Flüchtlingsregime des Völkerbunds nur behelfsmäßig aufgefangen werden konnte, bedeutete einen Zustand der Rechtslosigkeit, in dem nicht einmal elementare Menschenrechte einklagbar waren.

Hannah Arendt hat dieses Bedingungsverhältnis in berühmten Formulierungen umrissen: "Staatenlosigkeit in Massendimensionen hat die Welt faktisch vor die unausweichliche und höchst verwirrende Frage gestellt, ob es überhaupt so etwas wie unabdingbare Menschenrechte gibt, das heißt Rechte, die unabhängig sind von jedem besonderen politischen Status und einzig der bloßen Tatsache des Menschseins entspringen." Die Antwort lautete: nein, in der politischen Wirklichkeit eher nicht. Das fundamentale "Recht, Rechte zu haben", lässt sich nur in einem Staatsverband einklagen.

Neu war: Der Bürger sollte im Notfall sein Land mit der Waffe verteidigen

Bertolt Brecht formulierte das Problem in seinen "Flüchtlingsgesprächen" von 1940/41 sarkastisch: "Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch." Eins der bewegendsten Stücke der Schau, ein ellenlanger, zusammengefalteter und mit Stempeln und Sichtvermerken übersäter "Nansen-Pass", benannt nach dem Flüchtlingskommissar des Völkerbunds, lässt die Dramatik solcher Fluchtschicksale anschaulich werden.

Mit Brechts Sätzen eröffnet das Deutsche Historische Museum in Berlin seine Ausstellung zu den Staatsbürgerschaften in den drei Nachbarländern Frankreich, Deutschland und Polen. Die Wahl der drei Beispiele hat einen doppelten Sinn: Erstens wird verglichen, was der historischen Erkenntnis immer guttut, wenn das Verglichene sich auf einem gemeinsamen Terrain befindet; zweitens werden Bedingungsverhältnisse aufgezeigt, denn die Funktionen von Staatsbürgerschaft zeigen immer zugleich nach innen und außen - sie haben sehr viel mit Staatsgrenzen, Nachbarbeziehungen und mit Migrationsbewegungen zu tun.

Historischer Ausgangspunkt ist das Zeitalter der Französischen Revolution, das in Verfassungstexten und Gesetzeskodifikationen erstmals die Figur des Staatsbürgers jenseits ständischer Unterschiede entwarf. Der Einzelne und der Staat traten sich nun unmittelbar gegenüber. Dabei wurden nicht nur Rechte - etwa die berühmten Menschen- und Bürgerrechte von 1789 - formuliert, sondern zugleich ein neuartiger Zugriff des Staates auf seine Bürger ermöglicht, am dramatischsten in der Wehrpflicht für Männer. Der Bürger sollte im Notfall sein Land mit der Waffe verteidigen. Egalität und Erfassung gehörten fortan zusammen.

Ausstellung zur Staatsbürgerlichkeit im DHM: Der Bürger sollte im Notfall sein Land mit der Waffe verteidigen: Ein Teller zum Gedenken an die Französische Revolution, die das Verhältnis Staat und Bürger neu ordnete.

Der Bürger sollte im Notfall sein Land mit der Waffe verteidigen: Ein Teller zum Gedenken an die Französische Revolution, die das Verhältnis Staat und Bürger neu ordnete.

(Foto: Arne Psille/Deutsches Historisches Museum)

Es geht also auf vielen Ebenen um einen welthistorischen Umbruch. Dessen Dramatik hätte die Ausstellung etwas stärker konturieren können, wenn sie die alteuropäischen Formen von Vergesellschaftung in Ständen und Stadtbürgerschaften veranschaulicht hätte. Die oft gerühmte polnische Verfassung von 1791 zeigt einen reizvollen Zwischenzustand von ständischem, nach dem Muster von Montesquieus Gewaltenteilung entworfenem Grundriss und der neuen Rechtsstellung freier und gleicher Bürger. Doch Polen verschwand schon 1795 für 120 Jahre von der politischen Landkarte.

Damit ist ein weiterer Reiz des Vergleichs angedeutet: die unterschiedlichen Geschichten der drei Nationen. In Deutschland entwickelte sich das Rechtsinstitut der Staatsbürgerschaft zwangsläufig zuerst auf der Ebene der vielen Einzelstaaten. Eine einheitliche Reichsbürgerschaft wurde in zwei Schritten erst 1913 und 1934 kodifiziert. Bis dahin konnte man auch bayerischer oder Lübecker Staatsbürger werden, mit der kuriosen Folge, dass man bis 1913 mehrere Versuche unternehmen konnte, um "Deutscher" zu werden: Wer in Baden abblitzte, konnte es in Coburg-Gotha probieren.

Die Behauptung der Ausstellung, die erste Verwendung des Staatsbürgerbegriffs in einem deutschsprachigen Rechtstext befinde sich in der Bayerischen Konstitution von 1808, stimmt aber bestenfalls zur Hälfte. Denn in den seit 1807 im napoleonischen Rheinbund kursierenden und dort bald Gesetzeskraft erhaltenden deutschen Übersetzungen des französischen Code Civil (Code Napoléon) taucht der Begriff gleich zu Beginn im Personenrecht auf - er steht für den französischen "Citoyen". Und vom Code Napoléon übernahm ihn der bayerische Minister Montgelas. Am Anfang stand also auch hier Napoleon.

Menschenrechte begannen als Männerrechte

Der Erwerb von Staatsbürgerschaft steht im Spannungsverhältnis von Abstammungsprinzip und Territorialprinzip. Der Code Civil privilegierte, entgegen dem Vorurteil, Frankreich sei die Heimat des Territorialprinzips, zunächst die Abstammung: Franzose wurde, wer französische Eltern hatte, egal, wo diese gerade lebten. Erst der demografische Wettbewerb um nicht zuletzt militärische Ressourcen ließ in Frankreich auch das Wohnsitzprinzip erstarken. Deutschland privilegierte immer das Abstammungsprinzip, unter anderem wegen der vielen Auslandsdeutschen.

Es ging dabei auch um Selbstdefinitionen und Identitäten, daher auch um Ausgrenzungen. Hier hat die Ausstellung ihren anschaulichen, unterhaltenden, oft bedrückenden Schwerpunkt. Sie kümmert sich um die Ausgeschlossenen und Benachteiligten der Staatsbürgerschaft: Frauen, Juden und kolonisierte Bevölkerungen. Menschenrechte begannen als Männerrechte, was sich beim Wählen und im Militärdienst auswirkte. Den Kampf ums Frauenwahlrecht seit dem späten 19. Jahrhundert illustriert die Ausstellung vor allem an französischen und deutschen Beispielen; entzückend ist ein Fächer mit dem "Wunsch zu wählen", den eine französische Zeitung an die Damen verteilte.

Die Juden, zunächst nicht gleichberechtigt, bemühten sich durch freiwillige Teilnahme an den vaterländischen Kriegen um Anerkennung als Mitbürger. Ein bewegendes Gemälde von Moritz Daniel Oppenheim, das die Heimkehr eines Freiwilligen von 1813 zeigt, spricht von solchen Hoffnungen auf patriotisch-rechtliche Teilhabe.

Ausstellung zur Staatsbürgerlichkeit im DHM: Der Wunsch auf Teilhabe, erkämpft von Juden, die freiwillig in den Krieg zogen, dargestellt in Moritz Daniel Oppenheims Ölgemälde zur Heimkehr eines Freiwilligen von 1834.

Der Wunsch auf Teilhabe, erkämpft von Juden, die freiwillig in den Krieg zogen, dargestellt in Moritz Daniel Oppenheims Ölgemälde zur Heimkehr eines Freiwilligen von 1834.

(Foto: bpk / DHM)

Unvermeidlich wurde Staatsbürgerschaft aber auch zum Instrument von Entrechtung und ethnischer Homogenisierung. Jeder Gebietswechsel - etwa in Elsass-Lothringen oder in Westpreußen - warf Fragen nach staatsbürgerlicher Zugehörigkeit und entsprechenden "Optionen" zum Bleiben oder Auswandern auf. Im besetzten Polen agierten die Deutschen im Zweiten Weltkrieg mit abgestuften Listen von Volksdeutschen, die nach 1945 auch für die Vertreibungen genutzt werden konnten. Die Nürnberger Gesetze von 1935, die die Juden zu Staatsangehörigen ohne Reichsbürgerstatus herabstuften, sind gut im Gedächtnis. Die letzte Vertreibung von Juden aus Polen seit 1969 dürfte kaum bewusst sein.

Die zwei düsteren Seiten von Staatsbürgerschaft hat die Holocaustüberlebende Ruth Klüger zusammengefasst: "Dazu fällt mir das DDR-Wort ,Republikflucht' ein: Der Mensch ist dem Staat leibeigen. Das Gegenteil heißt staatenlos sein. Das heißt, obwohl du geboren bist, darfst du eigentlich nirgendwo leben. Das sind geläufige Alternativen meiner Generation." Absurde Erfahrungen mit Halb- oder Nichtexistenz machen Angehörige ehemaliger Kolonien bis heute. Ein deutscher Fremdenlegionär konnte mit einer asiatischen Frau Kinder haben, die Franzosen wurden, während beide Elternteile Ausländer blieben.

Die positive Seite ist das Versprechen auf Rechte und Teilhabe, das die, die sich einbürgern lassen wollen, am lebhaftesten spüren. Das DHM lässt seine Besucherinnen und Besucher diese Prozeduren an Bildschirmen miterleben - die Behördengänge, die Tests und Gespräche, in Polen oft auch ein Bewerbungsbrief direkt an den Staatspräsidenten. Frankreich ist feierlich, in Berlin gab's schon einmal den Stoffeisbären Knut. Hinter den bürokratischen Abläufen stehen Fragen an alle: Was heißt es heute, Franzose, Pole oder Deutscher zu sein? Doppelte Staatsangehörigkeiten stellen auch Identitätsfragen. Mit ihnen kehrt aber auch etwas von der Vielgliedrigkeit des alten Europa zurück.

Die Ausstellung "Staatsbürgerschaften - Frankreich, Polen, Deutschland seit 1789" ist bis zum 15. Januar 2023 im Deutschen Historischen Museum zu sehen. Mehr Informationen unter www.dhm.de.

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