"St. Vincent" im Kino:Ein Fest für Knalltüten

"St. Vincent" im Kino: Zigarette krumm, Gesicht zerknautscht: Bill Murray in der Feel-good-Komödie "St. Vincent".

Zigarette krumm, Gesicht zerknautscht: Bill Murray in der Feel-good-Komödie "St. Vincent".

(Foto: Sony)

Bill Murray setzt in "St. Vincent" sein schönstes Knautschgesicht auf - und ertrinkt in Sentimentalitäten. Dass der Film wirkt wie aus der Zeit gefallen, liegt aber nicht an ihm.

Von Tobias Kniebe

Alles muss locker hängen, das ist das Wichtigste. Der Bierbauch braucht Luft unterm bunten T-Shirt, über dem dann noch ein labbriges Hemd weht, aber bitte offen. Untenrum baumelt meist eine alte Tarnfarben-Armeeshort in mehrfacher Übergröße, ein Monument der freien Luftzirkulation. Nur der zerbeulte Pepitahut, der für Ausflüge herhalten muss, hängt stylish und ein bisschen zu klein am Kopf.

Ein Mann, der so durch den Tag geht, braucht in diesem Leben niemandem mehr zu gefallen. Der scheißt sich nichts. Das trifft zwar nur bedingt für Vincent MacKenna zu, die Hauptfigur in Theodore Melfis Debütfilm "St. Vincent", einen trinkfreudigen, vermutlich irischstämmigen Mittsechziger, der ein schwer mit Hypotheken belastetes Haus im Russenviertel von Brooklyn sein eigen nennt und ansonsten schon lange nicht mehr arbeitet.

Auf jeden Fall aber gilt es für Bill Murray, der diesen Vincent spielt. Undenkbar in diesen Jahren, dass er sich für die Filmindustrie noch mal ernsthaft in einen scharf geschnitten Anzug zwänge. Oder, Gott bewahre, einen Vertrag unterschriebe, der ihm Abnehmen oder extensives Styling seines Knautschgesichts aufzwingen würde - da könnte die Rolle noch so verlockend sein.

Geist des heroischen Faulenzertums

Nein, der Mann ist, wie er ist, und er spielt nur noch, wenn es passt. Hier passt es, aber es passt fast ein bisschen zu gut. Eine luftige, dünngewebte Storyline umweht Murray wie seine zerknitterten Hemden: Vincent, der unter seinem bärbeißigen Äußeren ein Herz aus Gold verbirgt, freundet sich widerwillig mit seinen neuen Nachbarn an, einer gutherzigen Working Mom (Melissa McCarthy) und vor allem ihrem Sohn, einem 12-jährigen Scheidungskind auf der Suche nach ein paar ehrlichen Lebensweisheiten.

Die Befähigung für diese Rolle hat Murray quasi mit der Muttermilch eingesogen, er würde sie selbst im Wachkoma noch einwandfrei spielen. Der Geist des heroischen Faulenzertums, das hier gefeiert werden soll, überträgt sich dann aber leider auch auf alles andere: Das Drehbuch macht nie einen Hehl daraus, dass all seine Boshaftigkeiten, Geldprobleme und Kinderängste nur ein Fake sind - ihr einziger Sinn ist es, sich alsbald in Wohlgefallen aufzulösen.

Soziales Bewusstsein, etwa für die Wut des ramponierten amerikanischen Mittelstands, täuscht der Regisseur zwar vor, löst es dann aber rückstandsfrei in warmer Sentimentalitätssoße auf. Die Idee des Titels - dass Vincent im Grunde fast ein Heiliger ist - könnte sogar beinahe ernst gemeint sein. Besonders deutlich wird die Denkfaulheit aber an der Figur einer schwangeren osteuropäischen Prostituierten mit starkem Akzent, die irgendwann bei Vincent, ihrem treuesten Stammkunden, einzieht.

Vorgetäuschte Independent-Grimmigkeit

Die Idee, daraus ein Knallchargenfest für die englische Schönheit Naomi Watts zu machen, wirkt unglaublich altmodisch und wie aus der Zeit gefallen - wie inzwischen das ganze Kino des Produzenten- und Filmverleiher-Gorillas Harvey Weinstein, dessen Ästhetik im Hintergrund immer spürbar ist.

Kaum zum glauben heute, dass er mit diesem Kino der vorgetäuschten Independent-Grimmigkeit, das eigentlich nur auf die Tränendrüse drücken will, früher erfolgreiche Oscar-Kampagnen bestritten hat - und es auch jetzt wieder versucht, mit Bill Murray als Galionsfigur. Keine Frage, man gönnt das Murray natürlich alles.

Seine genuine Hänger-Philosophie ist selbst hier unantastbar. Aber man hofft doch, dass die Zeit - und mit ihr der harte neue Serien-Realismus Amerikas, der inzwischen den Stand der Dinge definiert - über diese Art von Kino längst hinaus ist.

St. Vincent, USA 2014 - Regie, Buch: Theodore Melfi. Kamera: John W. Lindley. Mit Bill Murray, Melissa McCarthy, Naomi Watts, Chris O'Dowd, Terrence Howard. Verleih: Polyband/Sony, 103 Minuten.

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