SS-Debatte mit DDR-Bezug:Sichtbare Lebenslügen

Lesezeit: 3 min

Das neue einheitliche Deutschland entledigt sich seiner Helden: Nach der SS-Debatte um Günter Grass kommt nun heraus, dass auch der DDR-Volksschriftsteller Erwin Strittmatter über seine SS-Vergangenheit geschwiegen hat.

Jörg Magenau

Wenn es im vereinigten Deutschland um die DDR ging, schnurrte die Debatte häufig auf ein Kürzel zusammen: IM. Darin verdichteten sich alle moralischen Implikationen und ideologischen Verstrickungen.

Jetzt kommt ein weiteres Kürzel dazu: SS. Damit steht die antifaschistische Grundlage des selbsternannten antifaschistischen Staates in Zweifel.

Der Schriftsteller Erwin Strittmatter hat, wie der Germanist Werner Liersch in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung berichtet, seine NS-Vergangenheit geschönt und wichtige Details verschwiegen.

Partisanenbekämpfung

Liersch zufolge gehörte er seit 1941 einem Bataillon der Ordnungspolizei des Polizei-Gebirgsjäger-Regiments 18 an, das 1943 der SS eingegliedert wurde. Die Einheit war in Griechenland, Oberkrain und Untersteiermark in der Partisanenbekämpfung im Einsatz und hat Erschießungen, Massaker und Zerstörungen von Dörfern zu verantworten.

Strittmatter hatte als Bataillonsschreiber die Funktion eines Chronisten. Dass seine spätere Beteuerung, "nie eine Pistolen- oder Gewehrkugel abgefeuert zu haben", gelogen sein könnte, behauptet Liersch nicht. Er stellt auch nicht die Frage, ob und wie er sich hätte entziehen können.

Strittmatter muss aber sehr genau gesehen und gewusst haben, was um ihn herum vorging. Das DDR-Schriftstellerlexikon - eher der antifaschistischen Legendenbildung verpflichtet als der widerspruchsreicheren Wirklichkeit - teilt von seiner Kriegszeit nur so viel mit: "Desertierte als Soldat der Hitlerwehrmacht gegen Ende des Krieges."

Verweis auf "lähmende Scham"

Strittmatter selbst bekannte 1959, "Handlangerdienste für den NS-Staat" geleistet zu haben, wollte sich aber auch nicht durch "dauernde Scham lähmen" lassen. Die SED wusste wohl um seine Vergangenheit, ahnte zumindest, dass in seinen Angaben nicht alles stimmte, verzichtete aber darauf, dem nachzugehen.

Nicht zuletzt der Verweis auf die lähmende Scham erinnert an den Fall Günter Grass und dessen spätes Bekenntnis, als 17-Jähriger 1945 zur Waffen-SS eingezogen worden zu sein.

Doch Strittmatter, Jahrgang 1912, war entscheidende Jahre älter. Sein Schweigen wiegt schwerer, weil er in viel stärkerem Maße in den verbrecherischen Krieg verwickelt war. Er, der 1994 gestorben ist, hat es versäumt, selbst für Klarheit zu sorgen und seine Biographie ehrlich zu machen.

Mehr als nur ideologische Abziehbilder

Deutschland ist immer noch ein geteiltes Land. Man merkt das, wenn es um Erinnerungspolitik und Literaturgeschichte geht. Im Osten muss man niemandem erklären, wer Erwin Strittmatter war.

Da steht er mit Helden wie "Ole Bienkopp" für ein knurriges Eigenbrötlertum, für aufrechten Antifaschismus ebenso wie für eine funktionärskritische Haltung. Sein sozialistischer Realismus machte ihn gleichwohl zu einem Bestsellerautor, vielleicht deshalb weil seine Figuren mehr waren als nur ideologische Abziehbilder.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum es möglicherweise gut ist, dass Strittmatter ausgerechnet in der FAZ angegriffen wurde.

Im Westen galt er dagegen als eher biederer Erzähler und systemkonformer Repräsentant der DDR. Hier wurde er allenfalls durch die Verfilmung seiner Romantrilogie "Der Laden" in den neunziger Jahren bekannt.

Nach der SS-Debatte um Günter Grass könnte nun eine Neuauflage mit DDR-Bezug ins Haus stehen. Das Ächzen und Knarren im moralischen Gebälk der Nation ist unüberhörbar.

Garanten moralischer Integrität

Mit Grass und Strittmatter werden zwei herausgehobene Repräsentanten aus West und Ost in Frage gestellt, die in ihren Staaten in besonderem Maße als Garanten moralischer Integrität galten.

Was Grass als Bürger für die Erneuerung der Demokratie und das Ansehen der Bundesrepublik geleistet hat, hat Strittmatter als kritischer Antifaschist in der DDR versucht. Beide stehen gleichermaßen für den Wandel Deutschlands nach 1945 - gerade weil sie in der NS-Zeit zu Mitschuldigen geworden sind und daraus ihre Konsequenzen zogen.

Das neue, einheitliche Deutschland entledigt sich dieser Helden, indem ihre Lebenslügen sichtbar werden. Doch was folgt daraus? Wie beim Palast der Republik in der Mitte Berlins sind die Abrissarbeiten bereits in vollem Gange, ohne dass man erkennen könnte, was an ihre Stelle tritt.

Seltsam auch, dass Werner Liersch ausgerechnet die FAZ als Forum gewählt hat, um seine wichtige Entdeckung publik zu machen.

Notwendige Kritik der Gegenwart

Liersch war in der Nachwendezeit Herausgeber der "ndl", der Zeitschrift des ostdeutschen Schriftstellerverbandes, und gehörte eher zu denen, die ostdeutsche Identität gegen die Übermacht des als usurpatorisch empfundenen Westens verteidigten.

Wenn er nun in der FAZ ein ostdeutsches Denkmal angreift, lässt sich das als Indiz dafür deuten, dass die schlichten Frontstellungen überwunden sind.

Wenn sich heute ohne ideologische Vorbehalte und Hintergedanken über alte Legendenbildungen sprechen ließe, wäre das ein gutes Zeichen.

Man sollte dabei allerdings nicht vergessen, dass Opportunismus und Schönfärberei keine Privilegien früherer Zeiten sind. Ohne die Kritik der Gegenwart bleibt die Besichtigung der Vergangenheit und die moralische Bewertung derer, die in weniger harmlosen Zeiten lebten, zwangsläufig hohl und selbstgerecht. Das gilt für das Kürzel SS genauso wie für IM.

© SZ vom 10.6.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: