Spurensuche:Zeit für den Männer-Harem!

Spurensuche: Harem, kritisch zu betrachten: „Das türkische Bad“ von Jean-Auguste-Dominique Ingres, 1862 (Ausschnitt).

Harem, kritisch zu betrachten: „Das türkische Bad“ von Jean-Auguste-Dominique Ingres, 1862 (Ausschnitt).

(Foto: mauritius images)

Montesquieu, bekannt als Ahnherr der Gewaltenteilung, schrieb auch die "Persischen Briefe". Dies Werk von 1721 zeigt: Die Debatte über Feminismus und Islam begann in der Aufklärungszeit.

Von Gustav Seibt

Die Welt verändert sich, nicht aber die großen Fragen. Wir suchen in Kunst und Theorie nach neuen alten Motiven. Die Debatte über Feminismus und Islam begann schon in der Aufklärungszeit.

Die Stellung der Frauen in Religion, Familien und Gesellschaft: Das ist nicht erst heute ein großes Thema in den Kulturkonflikten zwischen dem Islam und dem Westen. Die heute geläufige, durchaus umstrittene Verbindung von Feminismus und Islamkritik hat einen Ahnherrn: Charles-Louis de Montesquieu, der vor allem als Theoretiker der Gewaltenteilung berühmt ist, als Ahnherr liberalen Verfassungsdenkens. Montesquieus erstes Hauptwerk, das ihn bekannt machte, waren 1721 die "Persischen Briefe" ("Lettres persanes"), ein essayistischer Briefroman unter persischen Reisenden, die Europa, vor allem Paris, zu Beginn des 18. Jahrhunderts besuchten und von ihren Erfahrungen nach Hause berichteten.

Ein fremder Blick des Orients auf den Westen also, der alles Geläufige ironisch und satirisch infrage stellte. Dabei kam auch die Herkunftswelt der klugen Perser in den Blick, denn diese mussten sich auch in der Ferne über ihre häuslichen Sorgen auf dem Laufenden halten. Hier ging es vor allem um die von Eunuchen bewachten Serails voller dienstbarer Frauen. Der durchaus anzügliche Blick in diese Haremswelt trug ebenso zum sensationellen Erfolg der "Persischen Briefe" bei wie die zeitkritischen Betrachtungen von Pariser Sitten und Unsitten: ein Spiegelkabinett wechselseitiger Infragestellung.

Hauptthema des Vergleichs sind die Geschlechterverhältnisse, vor allem Freiheit und Unfreiheit der Frauen. Man kann Montesquieu als frühen Feministen bezeichnen, der auch in seiner Welt für ein selbstbestimmtes weibliches Leben warb. Umso kritischer ist daher auch sein Blick auf die streng bewachten Serails, in denen Dutzende Frauen auf einen Gebieter warten müssen. Am Ende der "Persischen Briefe" bricht sogar ein Aufstand im Serail von Isfahan aus - Zeit für die Reisenden, schleunig heimzukehren.

Brillant ist ein orientalisches Märchen im 151. Brief. Hier entwirft Montesquieu ein alternatives Paradies für Frauen, das die Verhältnisse des orthodoxen islamischen Männerparadieses, in dem angeblich zahllose Jungfrauen auf gottgefällige Helden warten, umdreht: "Deshalb werden auch die tugendhaften Frauen an einen Ort der Freuden gelangen, wo sie sich mit göttlichen Männern, die ihnen untertan sind, in einem Strom wollüstiger Genüsse berauschen werden. Jede von ihnen wird ein Serail haben, in dem die Männer eingeschlossen sind, und um sie zu bewachen, Eunuchen, die noch treuer sind als unsere."

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