Spurensuche:Wie Großkatzen lieben

Bacchus and Ariadne

Tizian: "Bacchus und Ariadne" (1523).

(Foto: The National Gallery, London)

Ein Zeichen von Dekadenz sei die "Ehe für alle", sagen manche Kritiker. Das klingt, als seien Begehren und Liebe zweierlei. Tizian sah das in einem Gemälde von 1523 anders.

Von Kia Vahland

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Bei Tizian mündet die Ausschweifung in Liebe.

Was genau spricht gegen die "Ehe für alle", die gerade vom Bundestag beschlossen wurde? Sie sei Ausdruck gesellschaftlicher Dekadenz, war von ganz rechts außen zu hören. Dies greift eine Sicht auf, die in Frankreich der Front National gegen die Gleichstellung von Homosexuellen angeführt hatte. In Deutschland erklang nun die Klage über die "Auflösung der gesellschaftlichen Ordnung" (Hans-Peter Friedrich, CSU) bis hinein in einige Kreise der katholischen Kirche und der christdemokratischen Parteien.

Dem liegt die unausgesprochene Vorstellung zugrunde, eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft sei keine Liebe wie jede andere, sondern ein leistungs- und reproduktionsfeindlicher Luxus, der die Gesellschaft verweichliche und verweibliche. Man kann, wenn man will, ein bisschen Neid auf so viel vermeintliche erotische Ausschweifung heraushören. Und sollte doch einmal daran erinnern, dass Liebe und Leidenschaft, feste Bindung und freie Partnerwahl keine Gegensätze sind, sondern einander nicht nur in der westlichen Kulturgeschichte bedingen.

Tizian schuf im Jahr 1523 für den Herzog von Ferrara eine Hommage an die Liaison von Liebe und Begehren. Ariadne ist verzweifelt, weil ihr geliebter Theseus sie auf der Insel Naxos zurückgelassen hat. Doch dann stürmt der junge Bacchus herbei, mit einem klirrenden Tross voller Lebensfreude. Nymphen und Satyrn schwingen Instrumente und Tierbeine; die beiden Großkatzen, die Bacchus' Wagen ziehen, blicken einander tief verliebt an. Erschreckt wehrt Ariadne die Verführertruppe mit einer Hand ab, doch sie kann ihren Blick von dem schönen jungen Gott nicht lassen. Dieser ist bei allem Tamtam nicht fordernd in seiner Annäherung. Er fixiert sein Schamtuch an der richtigen Stelle, hält kurz inne und weist die Frau mit einem Fingerzeig und großen Augen auf den bunten Trubel hin, den sie in ihrer Trauer ansonsten verpassen könnte. So beginnt bei Tizian das Spiel aus Anziehung und Zurückhaltung, Wagnis und Vertrauensgewinn, an dessen Ende die Ausschweifung in eine nicht minder genüssliche Liebe münden kann.

Im Kern meint eine solche "Dekadenz" die Freiheit persönlicher Entscheidungen. Diese Freiheit ist in der Tat Grundlage der gesellschaftlichen Ordnung - weswegen es ansonsten eher die Islamisten sind, die vor der "Dekadenz" des Westens warnen.

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