Süddeutsche Zeitung

Spurensuche:Wehrpflicht radikal

Die Welt verändert sich, nicht aber die großen Fragen. Wir suchen in Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven.

Von Fritz Göttler

Die Auserwählten tragen ein dickes Zeichen auf dem Rücken, P für Prisoner. Es sind Sträflinge, verurteilte und ausgestoßene Soldaten in einem Militärgefängnis in England. Aber nun brauchen die Generäle sie wieder, für einen Spezialeinsatz, ein Himmelfahrtskommando. Ein Schloss in der Normandie soll erobert werden, das von starken deutschen Truppen bewacht wird. Die höchsten deutschen Wehrmachtsoffiziere sind dort auf Erholung, bei Kartenspiel und Kammermusik. Sie auszuschalten, das könnte den Verlauf des Krieges beeinflussen. Der amerikanische Major Reisman soll aus zwölf Gefangenen einen schlagkräftigen Trupp formen, das dirty dozen. Lee Marvin ist Major Reisman. Zu den ausgewählten Leuten zählen John Cassavetes, Charles Bronson, Telly Savalas, Clint Walker, Jim Brown. Die zwölf sind verurteilt wegen Vergewaltigung, Mord, Raub und anderen Gewaltverbrechen.

Eine Rückkehr zu deutscher Wehrpflicht hat vor einigen Tagen die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer angeregt - aber auf eine Debatte, ob und wie das funktioniere könnte, hat offensichtlich keiner so recht Lust in Deutschland. Die bizarrste Form einer solchen Debatte spielt Robert Aldrichs Film "Das dreckige Dutzend" durch, eine radikale Zwangsrekrutierung (Tarantino wurde von diesem Film zu "Inglorious Basterds" inspiriert, er ist ein Aldrich-Fan). Wie kann man, fragt der Film, ein paar Typen für den totalen Einsatz motivieren, die wenig zu verlieren, aber noch weniger zu gewinnen haben. Manchen droht die Hinrichtung. Es sind Psychopathen in dem Dutzend, Stoiker und Verstörte. Einer hat einfach einem Mann, der ihn schubste, einen einzigen kräftigen Schlag versetzt, der dann tödlich war.

Robert Aldrich ist einer der großen und unabhängigen Liberalen des amerikanischen Kinos. Patrioten kann Major Reisman sicher nicht aus seinen Leuten machen, wie also kann er sie disziplinieren, zum Heroismus zwingen? Verurteilte müssen nicht zum Drill, erklärt der fiese John Cassavetes mit bösem Blick Lee Marvin, und da können Sie gar nichts machen, Mister.

Wie die zwölf da zusammenstehen, sind sie wie Schulbuben auf dem Pausenhof, widerspenstig, rebellisch, böse, lauernd auf eine Schwäche des Lehrers - es steckt viel vom antiautoritären Geist von '68 in diesem Dutzend. Einen schönen Haufen Soziopathen haben Sie da, sagt ein Adjutant angewidert. Ich wüsste keine bessere Art, erwidert der Major, einen Krieg zu führen.

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Quelle:
SZ vom 11.08.2018
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