Spurensuche:Verräter

Hans Holbein der Jüngere: Sir Thomas Morus

Hans Holbein der Jüngere malte Thomas Morus 1527.

(Foto: Michael Bodycomb)

Wo Widerspruch nicht erlaubt ist, werden Glaubensbrüder schnell Feinde. Hans Holbein der Jüngere porträtiert im Jahr 1527 einen Abtrünnigen.

Von Kia Vahland

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Streit unter Glaubensbrüdern gab es schon im 16. Jahrhundert

Fethullah Gülen und Recep Tayyip Erdoğan sahen sich einst als Glaubensbrüder, die für den Islam stritten. Davon ist in der Türkei nichts mehr zu spüren; seit dem gescheiterten Putsch lässt Erdoğan alle echten und vermeintlichen Gülen-Anhänger verfolgen. Wenn sich Religion auf die Frage zuspitzt, was jemand glaubt - nämlich das vermeintlich Richtige oder eben nicht -, dann gibt es schnell nur noch Anhänger und Verräter. Widerspruch ist nicht mehr möglich in einem Klima, in dem der jeweils Mächtige die totale Deutungshoheit beansprucht und jede Abweichung als Frontalangriff auf die eigene Person begreift.

Die Erfahrung machte im 16. Jahrhundert Thomas Morus. Der englische König Heinrich VIII. berief den Katholiken zum Lordkanzler, gemeinsam bekämpften sie mit aller Gewalt Protestanten. Dann aber lehnte der Papst ab, Heinrichs Ehe aufzulösen. Der gründete aus Protest die anglikanische Kirche. Seine Staatsdiener ließ er per Eid Gehorsam schwören und der Papsttreue entsagen. Morus weigerte sich, und Heinrich ließ den Gefährten am 6. Juli 1535 auf dem Schafott hinrichten.

Acht Jahre zuvor saß Morus dem deutschen Künstler Hans Holbein dem Jüngeren Modell. Damals war er Sprecher des britischen Unterhauses und einflussreich genug, um Holbein Aufträge am Hof zu vermitteln. Die beiden verband ihre Wertschätzung für den Humanisten Erasmus von Rotterdam. Während Holbein aber Erasmus als milden Intellektuellen porträtiert hatte, erkannte er im Gesicht von Morus etwas anderes: Entschlossenheit. Es scheint, als habe der Politiker eine Vision vor Augen, die wir, die Betrachter, nicht sehen. Mit feinem Pinsel strichelt Holbein jedes Barthaar einzeln, zeigt die Augenfältchen des 49-Jährigen und eine braune Haarspitze, die unter dem Hut hervorragt. Körperlich kommen wir Morus nah - nicht aber im Geiste, wie sein tiefer Blick suggeriert. Morus macht es sich in seinem Amt nicht bequem, trotz Samtgewand, weichem Pelz und der Kette mit Symbolen der königlichen Familie. Jederzeit könnte sich dieser Mann in einen Glaubenskämpfer verwandeln. Es ist nur noch nicht gewiss, ob als Täter oder als Opfer.

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