Süddeutsche Zeitung

Spurensuche:Umgedreht

Die Welt verändert sich ständig, nicht aber die großen Fragen. Wir suchen in Kunst und Musik nach wiederkehrenden Motiven. Ein Sturm stellt Haus und Gedanken auf den Kopf - in Erwin Wurms Kunst findet sich diese Tragikomik wieder.

Von Gerhard Matzig

Die Welt verändert sich ständig, nicht aber die großen Fragen. Wir suchen in Kunst und Musik nach wiederkehrenden Motiven. Ein Sturm kann Haus und Gedanken auf den Kopf stellen - Erwin Wurms Kunst auch.

Wer auch immer den ersten schweren Sturm in diesem Herbst "Fabienne" getauft haben mag - man hat sich jedenfalls einen bemerkenswerten Namen dafür ausgedacht. Fabienne heißt eigentlich "die Edle". Das ist allerdings nur schwer in Einklang zu bringen mit dem tragischen Todesopfer und den Verwüstungen, die vor mehreren Tagen Fabienne in Süd- und Mitteldeutschland bis hinein nach Thüringen und Hessen verursacht hat. Zum medial-ikonischen Abbild solch orkanhafter Raserei wurde dann aber ein nachrichtlich-sachliches Foto, das trotz aller Ernsthaftigkeit und entgegen aller Besorgnis auch ein unfreiwillig heiteres Moment beinhaltet.

Es ist das mittlerweile vielfach herumgereichte Foto vom Gartenhaus oder Schuppen, der auf dem Kopf steht. Mitten in einer urbanen Situation besetzt das aus seinem ursprünglichen Kontext wie von Riesenhand gerissene Häuschen den Straßenraum und beerdigt fast nebenher ein Motorrad. Das komische Element in einer Situation, wie sie gefährlicher, verletzlicher oder auch tödlicher kaum sein kann, verdankt sich vermutlich der Erinnerung an jene auf dem Kopf stehenden Hausobjekte, wie sie in Kunst und Architektur, aber auch zu Werbezwecken oder im Dienste der Tourismusbranche schon länger bekannt sind. Zum Beispiel war ein auf den Kopf gestelltes Haus auch in der Hamburger Retrospektive über das eigenwillig-skulpturale Werk des österreichischen Künstlers Erwin Wurm zu sehen. Titel der Ausstellung: "Das lächerliche Leben eines ernsten Mannes - Das ernste Leben eines lächerlichen Mannes". Die Kritik war seinerzeit begeistert und ernannte Wurm zu einer Instanz des Perspektivwechsels. Manchmal müsse man die Dinge eben vom Kopf auf die Füße oder auch umgekehrt von der Kellerplatte auf den First stellen, um das Wesen der Dinge in ihrer verrückten Entrücktheit vollständig zu begreifen.

Insofern nun aber die Natur der Kunst ihren Witz streitig macht und diesen gleichzeitig lächerlich und todernst erscheinen lässt, darf man hoffen: Vielleicht sind Bilder von auf dem Kopf stehenden Häusern, die in Zukunft womöglich öfter zu sehen sein werden, ja auch ein Moment, da man beim Nachdenken über den Klimawandel die eigene Verantwortlichkeit mindestens mal einem Perspektivwechsel unterwirft.

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Quelle:
SZ vom 29.09.2018
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