Spurensuche:So süß

Paper Moon - Filmszene

Zwei Gauner: Moses und Addie.

(Foto: Paramount Pictures, Ryan u. Tatum O'Neill )

Die Leute sind das, was wir von ihnen erwarten - auch wenn das oft gar nicht stimmt. Der Trickbetrug sorgte deshalb schon immer für großes Kino.

Von Susan Vahabzadeh

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Das Spiel mit Wahrnehmungen beherrschen Trickbetrüger

Die Masche von Moses (Ryan O'Neal) läuft immer gleich ab: Er klappert die Häuser frisch verwitweter Damen ab und dreht ihnen Luxus-Ausgaben der Bibel an, eine letzte, natürlich unbezahlte Bestellung des Gatten. Einmal geht die Sache fast schief: Hinter der Witwe taucht ein Typ auf, mit Sheriffstern, der den Betrug wittert. Da greift sofort Moses' Komplizin ein, die neunjährige Addie: Sie springt aus dem Wagen, ist ganz traurig, dass ihre Mama nicht mehr ist - und der Mann mit Sheriffstern kauft die Bibel. Peter Bogdanovichs "Paper Moon" von 1973 spielt während der Großen Depression, Moses und Addie betrügen, weil sie müssen. Addie ist nicht einmal die Tochter von Moses - gespielt wird sie allerdings von O'Neals echter Tochter, Tatum, die mit dieser Rolle zur jüngsten Oscar-Gewinnerin aller Zeiten wurde.

Die Trickbetrüger des Kinos manipulieren gern die Wahrnehmung ihrer Opfer, trüben ihre Sinne. Moses jedenfalls, der sich bis dahin mehr schlecht als recht durchgeschlagen hat mit seiner Bibel-Masche, erlebt, der kleinen Addie sei Dank, eine Erfolgswelle. Die armen Witwen an der Haustür können sich nicht vorstellen, dass ein so netter Mann, ganz allein mit seiner Tochter, sie einfach ausnimmt.

Trickbetrüger, auf der Leinwand wahrscheinlich noch ausgefuchster als im richtigen Leben, machen sich gern zunutze, was der amerikanische Soziologe Peter Dreier unlängst seinen Kollegen zu beweisen versucht hat: Die Erwartungshaltung prägt die Wahrnehmung. Dreier hatte einen Vortrag verfasst, der nur aus sinnlosem Blabla bestand. Über die lobenden Reaktionen seiner Kollegen schrieb Dreier in einem politischen Magazin - "Academic Drivel Report" nannte er den Artikel, Bericht über akademisches Gefasel. Dreier hatte seine Ausführungen einfach mit den in seiner Disziplin üblichen Formulierungen und ein paar großen Namen geschmückt, das hat genügt.

Dreier wollte seine Kollegen läutern. Moses widerfährt selbst eine kleine Läuterung - er schließt das Kind, das ihm bei einer Beerdigung angedreht wurde und um das er sich nicht kümmern wollte, ins Herz. Aber rechtschaffen werden die beiden deswegen noch lange nicht. Mit ihrem Charme seifen sie sogar die Polizei ein. Da werden Moses und Addie nach dem Ertrag eines Whisky-Verkaufs durchsucht, bei dem sie dem Schmuggler seine eigene Ware angedreht haben. Aber wer würde die Beute schon im Hut eines niedlichen Mädchens vermuten?

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