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Sebastiano del Piombo malt Vittoria Colonna in den 1520er Jahren. (Foto: OH)

Nur ein Fünftel aller Experten im deutschen Fernsehen ist weiblich. Dabei gab es schon in der Renaissance einflussreiche Expertinnen.

Von Kia Vahland

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Expertinnen zu übersehen, war schon in der Renaissance falsch.

Gerade bestätigte sich ein böser Verdacht: Nur etwas mehr als ein Fünftel aller im deutschen Fernsehen interviewten Experten ist weiblich. Das ergab eine Studie der Kommunikationswissenschaftlerin Elizabeth Prommer von der Universität Rostock. Kurz darauf veröffentlichte die BBC die Gehälter ihrer Top-Moderatoren, und siehe da: Die bestbezahlte Frau, Leiterin einer beliebten Tanz-Show, verdient gerade ein Fünftel der Gage des höchstbezahlten männlichen Stars.

Gut sichtbare Autorität, die Stimme und Geld verdient, scheint in unserer Kultur überwiegend männlich zu sein - oder? Dieses Klischee wird immer wieder von Neuem Fakt, weil dann doch viele daran festhalten, bewusst oder unbewusst. Das aber heißt, Realitäten auszublenden und alles zu übersehen, was den eigenen Vorannahmen widerspricht.

Schon in der italienischen Renaissance, lange vor der Frauenemanzipation, gab es Expertinnen von beachtlichem gesellschaftlichen Einfluss. Und nein, sie waren nicht auf Kindererziehung, Schminktipps oder Kochen spezialisiert, sondern auf Theologie, Literatur und Politik. Donne da lettere nannte man die zumeist adeligen Damen, Frauen des Wortes. Mit ihren Gedichten, ihrem untadeligen Ruf und ihrem Einfluss auf die geistige und weltliche männliche Elite trieben sie zu Zeiten Luthers die innerkatholische Reformbewegung voran, so sehr, dass die eine oder andere dieser frommen Italienerinnen am Ende die Inquisition am Hals hatte.

Das schönste Bildnis einer donna da lettere malte Sebastiano del Piombo. Zu sehen ist die gefeierte Dichterin Vittoria Colonna, eine resolute Adelige, die Intellektuelle wie Michelangelo in Glaubensfragen beriet. Sebastianos Porträt ist eines der ersten Bilder, das eine Autorin mit ihren eigenen Gedichten zeigt. Ihr gut lesbares Sonett in dem offen daliegenden Buch beschreibt, wie eine Seele nach dem rechten Lebensweg sucht und ihn im Kontakt mit Christus findet. Dazu greift die gemalte Dichterin an ihr Herz und schaut uns auffordernd an. Diese Expertin mischt sich ein, in das Leben ihrer Leser und Betrachter.

© SZ vom 22.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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